Die "2. Bundesweite Ensemble-Versammlung" des Ensemble-Netzwerk in Potsdam ruft nach besseren Arbeitsbedingungen
Zurück in die Gewerkschaft!
von Nikolaus Merck
Potsdam, 14. Mai 2017. Wo gibt's denn sowas? Arbeitgeber rufen auf zum Eintritt in die Gewerkschaft? Hallo? Im deutschen Theaterland gab's das am Wochenende. Das ensemble-netzwerk, aus der Taufe gehoben vor knapp zwei Jahren, hatte zu seiner "2. Bundesweiten Ensemble-Versammlung" geladen. Nach ersten Erfolgen mit der Aktion 40.000 Bühnenmitarbeiter*innen treffen ihre Abgeordneten sollte nun auf einem Pow Wow beratschlagt werden, wie es weitergehen soll mit der Grass-Roots-Bewegung der Theater-Solist*innen aus Schauspiel, Musiktheater, Tanz, aus den Dramaturgien und Regie(assistent*innen)-Stuben.
Niedrige Gagen, Einstufung in die Entgeltgruppe E2 des Öffentlichen Dienstes zusammen mit Hilfsköchen und Boten, Arbeitszeiten, die der gesetzlichen Begrenzung auf 48 Stunden spotten, Wochenendarbeit ohne Freizeitausgleich, schlechter Schutz für Familien und Schwangere waren einige der Gründe, die in den vergangenen zwei Jahren zu einer (vor allem im Internet) massenhaften Mobilisierung vor allem der Schauspieler*innen geführt hatten.
Bessere Arbeitsbedingungen für alle
Schon in ihrem Potsdamer Begrüßungsvortrag machte Netzwerk-Vorfrau Lisa Jopt klar, was es nach einem Lehrjahr der Netzwerker in der Theater-Realpolitik nicht mehr geben soll: die Konfrontation mit den "Sonnenkönigen". Die im letzten Jahr als Mitschuldige an den miserablen Gagen und beklagenswerten Arbeitsbedingungen ausgemachten Intendant*innen sitzen doch im selben Boot, lautete der Generalbass, der sich durch die 45-stündige Veranstaltung zog. Das Leitmotiv dazu bildete der allseits geteilte Gemeinplatz: "Wir alle wollen doch 'volle Hütten' und die Bedingungen, um gute Kunst zu machen". Womit eins der zentralen Themen der Zusammenkunft im Grunde erledigt war.
Zwar war der Jubel am Freitagabend groß gewesen, als der Schauspieler Sebastian Rudolph ausrief: "Wenn mehr eigenständige Kreativität von uns verlangt wird, müssen Intendanten, Regisseure und Dramaturgen Macht abgeben." Auch stieß das Referat der Dramaturgin Stephanie Gräve über Thomas Schmidts Studie Theater, Krise und Reform. Eine Kritik des deutschen Theatersystems am Sonntagmorgen auf starkes Interesse. Die anschließende Diskussion jedoch beherrschten die Intendanten Ulrich Khuon und Hasko Weber. Wo sich Khuon selbstkritisch gab ("wenn wir als Sonnenkönige gesehen werden, brauchen wir einen Neuaufbruch"), misstraute Weber weitgehenden Forderungen von schlecht informierter, sprich Schauspieler-Seite. Auch das ein Ergebnis des gemeinsamen Lernprozesses in dem Jahr nach Gründung des Netzwerkes, in dem gerade Hasko Weber das "Greenpeace der Theater" tatkräftig beraten und unterstützt hatte.
Mitbestimmungsmodell hintenangestellt
Wohl möglich ist es auch politisch für das Ensemble-Netzwerk sinnvoller, den dritten Schritt, Demokratisierung des Theaters, nicht vor dem ersten zu tun. Immerhin ließe sich ja aus der Mitbestimmungsbewegung der 1970er Jahre lernen, dass eine Selbstüberforderung von Künstler*innen eher Enttäuschung und Erschöpfung als mehr Produktivität hervorbringt. Eine bessere "work-life-balance", wenigstens ein Quäntchen freie Zeit, ließe sich neben der Ausübung des Kunstberufes und den Bildungsanforderungen für eine fest eingerichtete Mitbestimmung wahrscheinlich nur schwer erreichen. Wohl möglich ist die Konzentration auf gewerkschaftliche Forderungen der notwendige Move, weil es zunächst darauf ankommt, das Gewicht der im Vergleich zu Orchestern, Chören und Gewerken beklagenswert schlecht organisierten Tänzer-, Sänger- und Schauspieler*innen am Theater zu stärken, um danach höhere Ziele ins Auge fassen zu können.
"Ich will mich nicht um meine Arbeitsbedingungen kümmern müssen", hatte Sebastian Rudolph am Freitagabend zu Beginn der Tagung formuliert. "Ich will probieren, spielen, Texte lernen, empfindlich sein. Es ist mein Job empfindlich zu sein". Und war doch zu dem Schluss gekommen, dass es damit nicht sein Bewenden haben dürfte. "An welchem Schauspieler-Gen liegt es", fragte der Protagonist des Hamburger Thalia Theaters, einer der wenigen Stars der Versammlung, "dass wir nie etwas Sinnvolles machen?" Womit Rudolph das mangelnde Engagement seiner Berufskolleg*innen aufspießte. Gerade einmal 213 Leute sind bis dato dem Verein "ensemble-netzwerk" beigetreten. Andrerseits: bei nur 3.260 nach Normalvertrag Solo angestellten Solist*innen an deutschen Theatern sind die 250 in Potsdam versammelten Künstler*innen doch eine beachtliche Anzahl.
Ungehörter Ruf: Treten Sie in die Gewerkschaft ein!
Auffällig immerhin, dass die Kolleg*innen der großen Häuser unterrepräsentiert und die Student*innen und Anfänger stark vertreten waren. Auffällig auch, dass die Forderungen der ersten Versammlung nach wie vor unerfüllt sind. War 2016 in Bonn zum massenhaften Eintritt in die Schauspielergewerkschaft GDBA (Genossenschaft Deutscher Bühnenangehöriger) aufgerufen worden, versammelten sich gerade kümmerliche 25 Figuren zum Gewerkschafter*innen-Gruppenfoto am Sonntag. "Treten Sie in die Gewerkschaft ein!", hatte ausgerechnet Bühnenvereins-Geschäftsführer Marc Grandmontagne in einer mitternächtlichen Rede am Freitag unter dem Jubel der Zuhörer gefordert. "Werden sie politisch! Gehen Sie an die Öffentlichkeit."
"Tretet in die Gewerkschaft ein!", forderte auch der Weimarer Intendant Hasko Weber, "Ihr müsst kommen, immer wieder kommen und nerven", pflichtete ihm der Kultursprecher der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus Notker Schweikhardt im abschließenden Stuhlkreis am Sonntag bei. "Die Politiker*innen haben keine Ahnung von Euren Arbeitsverhältnissen", für die seien allein Auslastung, Vorstellungsanzahl und ob die Häuser mit den Etats auskommen, interessant.
Info-Updates an die Politik
Eine Erkenntnis, die den Aktivisten auch bei der wieder und wieder beschworenen Aktion "40.000 Theatermitarbeiter*innen treffen ihre Abgeordnete" aufgegangen war. Politiker freuen sich, wenn die Spaßmacher und Performer anrücken. Von deren Arbeitsbedingungen hat niemand einen blassen Schimmer.
Ob allerdings das schiere Informations-Update nützt? Der politische Diskursraum, in dem mit Niveau über Theater diskutiert werden kann, bröckele, hatte Marc Grandmontagne zu bedenken gegeben. Auch Hasko Weber konnte seine Skepsis nicht verhehlen, wenn er auf die Diskussionen mit Politikern zu sprechen kam. Allein Ulrich Khuon zeigte abermals, warum er als guter Hirte des deutschen Theaters gilt. Dass man mit ihm einen Theatermann für die Moderation einer Bürgerversammlung zum Thema Rassismus ins thüringische Altenburg geholt hatte, betrachtete er als gutes Zeichen, "wir sind doch die Expert*innen für die Offene Gesellschaft". Für Marc Grandmontagne ist auch das kulturpolitische Auftreten der AfD nicht nur ein Schreckgespenst. Dadurch hätten sich Politiker der demokratischen Parteien erst wieder darauf besonnen, dass es doch etwas in der liberalen Gesellschaft zu verteidigen gäbe, zum Beispiel die Theater.
Die 14-Millionen-Musterrechnung
Selbst die leidige Frage des Geldes, an dem im Theater so ziemlich alles hängt, jedenfalls die gerechten Gagen und verbesserten Arbeitsbedingungen, die das Netzwerk fordert, könnte demnächst noch einmal anders und neu diskutiert werden. 14 Millionen Euro im Jahr bräuchte es nach einer Musterrechnung des ehemaligen Thalia Theater- Verwaltungschefs Ludwig von Otting und des art but fair- sowie netzwerk-Aktivisten Sören Fenner, um alle Solist*innen-Gagen in Deutschland auf ein angemessenes Niveau zu bringen. 14 Millionen, und wo sollen die herkommen? "Ich bitt' Sie", brummelt Ludwig von Otting, "54 Milliarden Euro mehr Steuereinnahmen werden laut FAZ bis 2021 prognostiziert. Wenn einer sagt, es wäre kein Geld da, wissen Sie was das ist? Bullshit!"
Mehr zur Debatte um die Zukunft der deutschen Stadttheater.
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Nein, ich denke nicht, dass es der Beruf eines Schauspielers ist, empfindlich zu sein. Was bitte soll das heißen? Dass alle Nicht-Schauspieler - also zum Beispiel die optionalen oder reale Theaterzuschauer - nicht empfindlich sein können? Schon allein, weil das ja nicht ihr Beruf ist?
(Sehr geehrte/r Villaverdi, können Sie mit einem Link zu den Videos weiterhelfen? Mit freundlichen Grüßen, Christian Rakow / Redaktion)
Sie können mir auch gern begründen, WARUM ich mir Ihrer Ansicht nach "alle" von "Alle(n) Reden" die von der Konferenz online sind, anschauen soll.
Ihre Interpretation vom Umkehrschluss, dass Sebastian Rudoplph meinen könnte, dass das Publikum nicht "empfindsam" sei, entspringt einer nicht gerade wohlgesonnenen Deutung. Ich kann Herr Merck keinen Vowurf machen, da ich finde, dass der Artikel auch ohne Ihre Unterstellungen implizierende Deutung gelesen werden kann. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Kritik an Inhalten der Reden: gerne! Aber so vorverurteilen Sie nur das wohlwollende Engagement eines Schauspielers und das ist mir sehr unsympathisch.
Deswegen sitzen khuon und Hasko Weber ja mit da.
Wer Interesse hat, sich mit zeitgemäßen Organisationsformen und Ästhetiken von Theaterensembles zu beschäftigen, die nicht nur erfolgreich, sondern auch vergleichbar gut sozial gesichert arbeiten und dabei alle Entscheidungen über Arbeitsbedingungen und über die künstlerische Ausformulierung bei sich behalten, der kann sich am kommenden Samstag, 20. Mai um 15 Uhr in der Akademie der Künste, Pariser Platz, einen guten Überblick verschaffen. https://www.facebook.com/events/265896423873469/
Dass Ihr mit Euren schnittigen Freie-Szene-Yachten viel leichter navigieren könnt, ist richtig. Und ja, ich finde auch - Ihr habt die zeitgemäßeren Orga-Formen und seid inzwischen vergleichbar gut abgesichert. Und Du, der BFDK, das PAP, die Koaltion der Freien - Ihr macht einen fantastischen Job, von dem sich die Intendanten, der Deutsche Bühnenverein und alle Künstlergewerkschaften eine große Scheibe abschneiden könnten.
Aber zurück zum Tanker: Ein Staatstheater ist nicht so manövierfähig und heftige plötzliche Bewegungen können wie gesagt einen großen Schaden verursachen. Daher ist unsere ensemble-netzwerk-Vorgehensweise nicht naiv, sondern verantwortungsbewusst. Und ehrlich gesagt ist die "Wir-sind-eine-große-Theaterfamilie"-Melodie von Euch abgeguckt: Ihr habt damit bei der Durchsetzung der Mindesthonorare großen Erfolg gehabt.
Ich hätte es auch gern schneller mit den Stadttheatern. Aber wir wollen ja das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Daher - bitte gib uns die Zeit, und bedenke, dass wir diese schwierige Baustelle ehrenamtlich und voller Leidenschaft bestellen. Und bitte spiele die beiden Systeme nich gegeneinander aus. Dabei gibt es keine Gewinner.
Der andere "Onkel vom e-n", Sören