Zarathustra 1.2 - Die Schweizer Theatergruppe 400asa virtualisiert Zürich, um zu Nietzsche zu kommen
Geil animiert!
von Julia Stephan
Zürich, 13. Oktober 2013. Schweizer Städte sind beim Theaterkollektiv 400asa derzeit riesige Spielwiesen. Die Gruppe um den findigen Regisseur Samuel Schwarz hat ein Fantasy-Computerspiel kreiert, das im öffentlichen Raum spielt und die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verwischt. Es heißt "Der Polder" und hat inzwischen so viele Versionen, dass einem davon schwindlig wird.
Auch der szenische Spaziergang "Zarathustra 1.2" gehört zu diesem Story-Universum. Das Vorgängerprojekt "Zarathustra 1.1" hatte im Juli Zuschauer und Nietzsche-Experten mit einem Bus von Zürich nach Sils Maria befördert. In jenes Engadiner Alpidyll also, von dem sich der wandernde Philosoph Friedrich Nietzsche zu seinem Hauptwerk "Also sprach Zarathustra" (1883-1885) inspirieren ließ. Im August folgte in Sils Maria "Zarathustra 1.2." Von einer Smartphone-App geleitet, spazierte man durch die Landschaft – und begegnete Schauspielern, die einen mit Nietzsche-Zitaten aus den ersten beiden Zarathustra-Büchern konfrontierten.
Im Gänsemarsch hinter Zarathustra her
In der Zürcher Adaption von "Zarathustra 1.2" sollte alles noch realistischer werden. Wer am Sonntagnachmittag beim Theaterhaus Rote Fabrik auf den Beginn des Stückes wartete und damit rechnete, dass er sich mit einem Smartphone auf einen Sonntagsspaziergang machen dürfe, wurde enttäuscht. Eine Lautsprecherstimme erklärte die Wartenden gleich selbst zu Avataren – so werden Game-Figuren im Fachsprech genannt – und den Zürcher Stadtteil Wollishofen zu einer virtuellen Welt.
Und die war so unsäglich gut programmiert, dass man meinen könnte, sie wäre echt. Bewegungsschauspieler Sebastian Kläy alias Zarathustra nimmt das Zuschauergrüppchen in den Schlepptau und berührt auf dem Weg zum Bahnhof Wollishofen Mauervorsprünge und Wasserspeier, schnuppert an Ziersträuchern und Nadelbäumen und murmelt in verzücktem Berndeutsch: "Geil animiert." Zarathustra-Kläy ist da, und dann wieder ganz woanders. Immerzu sieht er Dinge, die wir nicht sehen, deutet auf etwas, und geht dann zielstrebig weiter. Nur wohin? Wir laufen durch eine Unterführung, wo ihn ein Plakat mit christlicher Botschaft "Gott ist tot" brüllen lässt. In der Tageshelle angekommen, streckt er seinen Arm zum Himmel, ruft: "Seht ihr die zwei identischen Wolken da? Die haben die Wolken kopiert." Ein cleverer Programmiertrick. So eine Animation bedeutet schließlich verdammt viel Arbeit. Da darf man auch mal schummeln.
Am Bahnhof Wollishofen kommt unsere Online-Community mit Offline-Wollishofen in Berührung: Zarathustra-Kläy setzt sich in einen Fotoautomaten, und flucht über die schlechte Programmierung, während wir im Halbkreis um ihn herumstehen. Drei Teenager wagen es nicht, die Szene zu stören, ein Senioren-Pärchen ergreift verstört die Flucht.
Wirklichkeit mit Pixelfehlern
Auch wenn man Zarathustras "Lehrweg" etwas verwirrt hinterher stiefelt, erkennt man doch bald, auf was 400asa mit ihrem virtuellen Experiment abzielen: "Die Wahrheiten sind Illusionen, von denen man vergessen hat, dass sie welche sind (...)", schrieb Nietzsche 1873 in der Schrift "Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne". In der virtuellen Matrix des Polder-Games findet dieser Gedanke seine Entsprechung. Wir beginnen die Wirklichkeit im gepflegte Stadtviertel Wollishofen mit seinen sauberen Rasenflächen auf Pixelfehler abzusuchen.
Einen köstlichen Höhepunkt hat dieses Spiel vorm Museum Rietberg. Während die Zürcher auf den sonnigen Stufen der ehemaligen Villa an ihrem Kaffee nippen, bricht aus der bislang ruhigen Zuschauerin Charlotte Engelbert der Zorn: "Was bitte ist Jim Knopf ohne Neger?", echauffiert sich die Schauspielerin, und hinterfragt Debatten zur political correctness, wie sie in demokratischen Gesellschaften so gerne geführt werden. In bester Nietzsche-Tradition stellt sie damit die Gleichmacherei des Ungleichen an den Pranger. Und auch der nette Tourist aus Wiesbaden (Philippe Graber) schreit plötzlich seinen Zorn heraus. Die sonnenbebrillten Zürcher verziehen keine Miene. Als Graber nach seiner großartigen Einzeldarbietung, nunmehr als Zarathustra, in geistiger Umnachtung halbnackt im Parkbrunnen steht, lockt ihn Sebastian Kläy mit Esshäppchen auf eine Bank. Zärtlich streichelt Kläy ihm über den Kopf und sammelt Grabers Klamotten zusammen. Nach zwei Stunden Fussmarsch ist der Zorn verpufft, Zarathustra zum Kind geworden.
Zarathustra 1.2
Von 400asa/stadttheater.tv & Churer Ensemble
Regie: Samuel Schwarz und Julian Grünthal.
Mit: Philippe Graber, Charlotte Engelbert, Sebastian Kläy.
Eine Koproduktion von 400asa/stadttheater.tv, Churer Ensemble und Theater Chur in Zusammenarbeit mit dem BOBOK Theatre und der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Chur, Bachelorstudiengang Multimedia Production.
Dauer: 2 Stunden, keine Pause
www.rotefabrik.ch
www.derpolder.com
Realität und virtuelle Welt würden so unerschrocken vermischt, dass sich laufend Überraschungsmomente mit Improvisationsmöglichkeiten für alle Beteiligten ergeben, schreibt Julia Fauth im Zürcher Tages-Anzeiger (15.10.2013). Dabei gehe allerdings das Zarathustra-Thema angesichts urbaner Nebengeräusche zwischen Tankstelle und Bahnhofsunterführung leider etwas unter. Trotzdem: "Wenn am Ende Philippe Graber vor dem Museum Rietberg in eine Baum- krone und dann ins Wasserbassin klet- tert, denkt man an den Untertitel des Zarathustra – das ist etwas für alle und keinen. Und eine Theatererfahrung, die man nicht verpassen sollte."
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"Vielleicht weiß ich am besten, warum der Mensch allein lacht: er allein leidet so tief, daß er das Lachen erfinden MUSSTE." (F. Nietzsche)
die Lektüre von Sophokles Oedipus zuhause im Lehnstuhl ist übrigens auch eine intimistische Erfahrung.....genau wie jene vor dem Bildschirm....ich würde auch diese intimistische Erfahrung nicht geringer schätzen als das "reale" Erlebnis im Theater.
Craig würde ich erstmal durchaus als weiterhin aktuell und wichtig betrachten, insofern er alle Bühnenmittel als gleich wichtig erachtet, sprich: Die dramatische Literatur steht nicht im Mittelpunkt einer Inszenierung, sondern es geht gleichwertig um Bewegung/Schauspiel, um die Sprache/Stück, um den Bühnenraum und Licht sowie um Rhythmus/Tanz/Musik. So ist das für mich erstmal okay. Wenn nun aber allein der/die RegisseurIn das alles konzipieren und ordnen soll - wie Craig es wollte -, anstatt es über alle am Probenprozess Beteiligten erst entstehen zu lassen, dann sehe auch ich genau darin das Problem. Ein Schauspieler als Über-Marionette des Regisseurs, einer Statue gleich, welche absolut planbar und handhabbar ist? Nein, danke! Leben ist nunmal unberechenbar. Und ausserdem, wo bleibe ich da als Mensch? Brüll, Schrei!
Aber im Ernst: Ich sehe Ihre Kritik, frage mich aber trotzdem, warum man jetzt gleich alles Regietheater in die Tonne schmeissen soll. Oder anders formuliert: Im Grunde müssten Sie dann auch die Institution des Staatstheaters gleich mit in die Tonne schmeissen. Denn dort gibt es in den meisten Fällen doch gar keine andere Möglichkeit ausser diesen regietheater-zentrierten Betrieb. Kollektive Prozesse gibt es da doch kaum (noch). Die Strukturen sind erstarrt. Warum darf ich da also nicht gewollt kitschig menscheln? Geht es Ihnen denn gut damit, dass Sie nur vernichten wollen?
Und noch eine Frage: Was genau heisst "Motion Capturing-Verfahren"?
Ende Teil 1 – D. Rust
Auch für Kant wär das interessant. Sogar Hegel könnte noch seine Freude an grafischen Vertretern von Menschen haben! Ich vermute sogar, dass er selbst welche hatte, ohne sich selbst richtig darüber im Klaren gewesen zu sein, weil er vielleicht sonst seine Dialektik nicht hätte denken und schreiben können… Traurig ist, dass nicht nur grafische Vertreter mehr oder weniger menschenähnlich aussehen und bewegt werden können, sondern auch virtuelle Welten größer oder kleiner ausfallen können. In jeder Hinsicht! Für einen Kosmologen z.B. ist ja die virtuelle Welt ziemlich groß und vieldimensional heutzutage. Ein GTA 5-Player hat auch dann eine ziemlich winzige, zweidimensionale Welt (und zwar auch dann, wenn er die zwei Dimensionen so ins Bild setzt, dass die Illusion von drei Dimensionen entstehen kann!), wenn er fest davon überzeugt ist, dass die riesig ist, solange er sich die Welt eines z.B. Kosmologen nicht vorstellen kann. Das kann einem doch leidtun! Nicht leidtun hingegen müssen einem Schauspieler, die dem Regisseur folgen, der die Puppen tanzen lassen möchte. Erstens, weil ein Regisseur ein weitsichtiger und gleichzeitig spontaner, einfühlsamer und gleichzeitig streng Prioritäten setzender, fantasie- und gleichzeitig verstandesbegabter Organisator eines mehrdimensionalen Bühnengeschehens ist und gewiss nicht lange einer bliebe, wenn es ihm nur darum ginge, Schauspieler wie Puppen oder Sklaven zu behandeln. Zweitens, weil der Schauspielberuf ein Beruf ist, den man sich berufen fühlen kann sich schwer zu erarbeiten und auszuüben und weil man, wenn man das fühlt undoder tut, um die Regiefunktion und ihre Wichtigkeit für die professionelle Inszenierung einer dreidimensionierten Welt in der Handlungen, Figuren und Gefühle als Handlungsmotive als real möglich dargestellt werden, weiß. Ebenso weiß, wie um die eigenen notwendigen, immer wieder neu durch den eigenen Körper mit einschließlich allem was in ihm ist, ins Schauspiel einzubringenden Qualitäten. Da kann dann von Sklaverei keine Rede sein.
Ende Teil 2 – D. Rust
Ende - D.Rust
1. Sie sollen sich das nicht vorstellen, Sie dürfen sich das vorstellen. Und zwar genauso: z.B. - bitte das "z.B." nicht als überflüssig betrachten - JCh als in die irdische Welt herabgestiegene Inkarnation eines Vaters, der aus nix als Geist besteht, weshalb wir sowas Phänomenologisches mit menschlich leichtem Sinn als heilig benamsen. Is doch ganz einfach. Kann man durch die allermeisten Religionen durchspielen, als Denk-Spiel. Auch durch den Zoroastrismus, dessen Prophet Zaratusthra war...
2. Die von Ihnen so genannten Nerd-Performances sollen aus meiner Sicht gar nicht explizit Nerds ansprechen, sondern zahlendes Publikum. Sie bedienen sich eher der nahezu unkaputtbaren Wiederaufnahme-Serien-Idee als der Inhalte aus Computerspielen, um bezahlte Theaterarbeit zu sichern. Sie holen sich Nerds dafür zu Hilfe, um digital erstellte, virtuelle Wirklichkeit in analoge Wirklichkeit zu übersetzen, was ja durchaus ein ehrbares dramaturgisches Anliegen ist. Und die so genannten Nerds nehmen das gern an, so nehme ich an, dabei zu helfen, weil man Bildschirm-Avatare nicht essen kann z.B. Jedenfalls nicht so, dass es schmeckt. Das sollte man als Zeitgenosse von Nerds vielleicht verstehen: um verdienter Nerd zu werden, muss man ziemlich lange und besessen, beseelt von AI (Artifizielle Intelligenz) und seinen Möglichkeiten, ziemlich allein vor sich hinarbeiten. Wenn man es endlich geschafft hat, verdienter Nerd zu sein, kann man sich in aller Regel nur noch mit ähnlich Ausgebildeten verständigen und muss sich außerdem pausenlos weiterbilden. Man kann also die Nerds ignorieren und ihre Sprache oder ihr Inselwissen verachten oder sich in ihre Arbeit respektvoll und arbeitsreich hineindenken, ohne deshalb selbst ein AI-Nerd zu werden oder in Nerd-Sprache zu verfallen. Mich würde - aus sprachwissenschaftlicher Sicht - interessieren, was genau Sie an meinem Text in Nerd-Sprache verfasst fanden. Die geht ja eigentlich mathematisch und ich habe mich doch hoffentlich in Worten ausgedrückt und es sogar extra meine Sekretärin schreiben lassen, weil mir die Sache aus dramaturgischer Sicht wichtig scheint. Bei meiner Sekretärin muss ich nur wenige Fehler dulden, während ich bei mir weniger wichtigen Inhalten selbst tippe und mir Fehler erlaube. Das ist das Einzige, was ich mir von der Nerd-Notschrift-Sprache als vorbildlich für meine Fach-Kommunikation abgeschaut habe.
3. Das sollte aus meiner Sicht auch so sein, dass sich eine Rezension besser liest, als Kommentare dazu. Sonst könnten die Nachtkritiker ja einpacken. - D.Rust
Mein Problem mit Ihrer Sprachwahl ist eher, dass ich mir darunter oft nichts bzw. nichts Reales vorstellen kann. Was z.B. meinen Sie damit, dass die Nerd-Sprache "mathematisch" geht? Sprache ohne Referenten? Nach Wittgenstein: "Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache"?
Inga: Ich bin sehr irritiert. Warum müssen Sie wissen, ob Geist männlich oder weiblich ist? Das ist wie mit der PC-Taste, die man versuchen kann zu essen, wenn man Avatare auf dem Bildschirm nicht mehr von Menschen-Vertretern unterscheiden kann und deshalb Angst bekommt vor ihnen. Weil es sie nun einmal inzwischen als grafische Menschen-Vertreter, sehr ähnlich den Marionetten, gibt. Bis in das Theater als Kulturtempel hinein! Wie z.B. in der oben besprochenen Inszenierung. Wenn man also Angst vor existierendem Geist hat, weil man ihn weder als männlich noch weiblich klassifizieren kann, hilft auch hier verlässlich der Gebrauch der Sinne: Geist ist da. Okay. Kann man ihn f…? – Na also. Eindeutig Geist und nich Fleisch. Jesus hat garantiert keine Krise bekommen, weil er mit Josef als Stief nicht so viel anfangen konnte und sich deshalb lieber ... ach, ich hab irgendwie keine Lust, das mit Ihnen zu erörtern. Die Krise mit Jesus gewaltfreier, selbst gemachter Vater-Befreiung haben jedenfalls eher seine Zeitgenossen bekommen. Weshalb sie ihn sogar gekillt haben –
Zum Nerd-Begriff: sehr wahrscheinlich verstehen Sie und ich nicht das gleiche unter dem Begriff Nerd. Da hilft auch Wittgenstein nicht und Adorno schon gar nicht. Und es gibt selbstverständlich Referenten der mathematischen Sprache, die eine Formelsprache ist, die aber leider nur von dieser Sprache mächtigen Zuhörern/Zuschauern verstanden werden kann. Mehr oder weniger gut. So wie auch die Notensprache ihre Referenten hat, die erfreulicherweise universal verstanden werden können. Auch wenn mal mehr, mal weniger erfreut. Ich persönlich mag es – aus dramaturgischen und literaturwissenschaftlichen und philosophischen Gründen – nicht, wenn die Verfechter der schönen Kulturtechnik des Rechnens, zu denen die vermeintlichen Nerds gehören, unsinnig den Verfechtern der schönen Kulturtechnik des Lesens, wozu u.a. die Theaterliebhaber gehören, einander mit gegenseitiger Verachtung begegnen. Ich sage dann, ganz einfach – hoffentlich auch Inga-like - gesprochen: Freunde, nicht diese Töne…
Ende Teil I:
Ende – D.Rust
Es war eine ironische Frage, und das nervt mich irgendwann auch mal, diese permanente Ironie, aber es war trotzdem eine ironische Frage, ob Geist männlich oder weiblich ist. Weil gemeinhin davon ausgegangen wird, der heilige Geist sei männlich und inkarniere sich im Papst. Voll daneben. Denn wenn überhaupt, dann inkarniert er sich in JEDEM Menschen, und zwar über seine Hände/Hand-lungen.
Und wenn's Ihnen hier nur ums F..... geht, dann haben Sie offenbar nur sehr wenig Geist bzw. nichts verstanden. Oder Sie sind "sexsüchtig" (eine Werbung der Schaubühne im Übrigen, und keiner weiss, warum). Belesen oder nicht belesen, ich will mit Ihnen gemeinsam die Dinge klären. Und wenn Sie sich dem entziehen, dann sind Sie genauso nichts weiter als ein armer, einsamer Repräsentant der Macht wie Ostermeier. Was ist denn jetzt bitte das "deutsche Staatstheater"? Muss es, wenn es vom Staat finanziert wird, schon ein williger Repräsentant desselben sein? Gibt es überhaupt "die deutsche Kultur"? Warum denken wir einen Menschen immer gleich im Begriff von Staaten? Dieser Staat repräsentiert uns Menschen doch sowieso schon längst nicht mehr! Und wenn dann auch noch das Theater zum Repräsentanten des Staates wird, na dann gute Nacht für die Freiheit der Kunst. Für Bewegung in den Häusern, für flüssige Hierarchien anstatt frontaler Belehrung! Entschult die Schulen wie die Theater! Bildung für alle!
@inga: Motion Capturing ist ein Verfahren, wie man Bewegungen eines Schauspielers scannt und im digitalen Raum reproduzieren kann. Mit der Weiterentwicklung der Hologramm-Technik werden wir sicher auch im Theater bald intensiviert damit konfrontiert werden
@inga. Problematisch finde ich an den Staatstheatern schon die oft sehr einheitliche ideologische Prägung die durch die konformen Aufbau-Strukturen sich an jedem Staatstheater gleichen. Es braucht mehr Diversität, sonst droht der Totalitarismus an diesen Staatstheatern. Totalitarismus der einen einseitigen Theaterbegriff prägt
Ich glaube, man muss sich über Craig und seinen Vergleich nicht aufregen, weil sich seine Schiffe und die Matrosen, die Sie so verärgern, ja auch geändert haben inzwischen. Möglich, dass das Theater das weiß und deshalb Craig in das Bewusstsein seiner eigenen Geschichte integriert hat, ohne das nach außen genügend deutlich zu machen. Theater ist ein Ort der Praxis und kann es nur sein. Der wichtigste praktische Arbeitsvorgang ist nun einmal das Probieren. Bis in die Probe hinein. Menschen sind nun einmal keine Maschinen. Auch nicht die im Staatstheater tätigen. Sie könn(t)en Avatare darstellen, sind aber keine. Sie haben unterschiedliche Bildung und individuelle künstlerische Präferenzen. Sie werden oft gehindert, ihren künstlerischen Instinkten zu folgen. Von den Staatsstrukturen. Die bis ins Theater hineinragen. Ich erwähnte die Schaubühne, weil sie innerhalb des deutschen Theaterbetrieb das Theater ist, welches eine um Filmwissenschaft bemühte geschulte Dramaturgie verfügt und in dessen Gedächtnis eine andere Arbeitsstruktur beheimatet ist als im Rest des deutschen Staatstheaters. Dass die Struktur verloren gegangen ist, ist nicht Ostermeiers schuld, denke ich. Dass sie so spät verloren gegangen ist, sein Verdienst. Gedächtnis ist unkaputtbar. Es geht immer irgendwo hin… Das macht die Weiterbildung am Theater zäh. Man bildet sich weiter am Neuen, wenn man neugierig auf seine Zeit und den Moment sein kann. Man kann aber nicht neugierig sein auf den Moment, wenn man seine Geschichte nicht verinnerlicht hat und beherrscht. Das gilt für jedes Fach und auch für fachübergreifende Trans- und Interdisziplinarität. Was neu ist und mit den vorhandenen ästhetischen Kategorien beschrieben werden kann, ist nicht aber neu, sondern parasitär. Eigentlich müsste also aussortiert werden, was im Theater mit dem vorhandenen dramaturgischen, philosophischen, theater- und literaturwissenschaftlichen Instrumentarium beschrieben werden kann, wenn man auf der Höhe der Zeit bleiben bzw. ankommen möchte. Ich rede vom deutschen Theater, weil ich mir nicht anmaßen würde, von anderen Staaten als Deutschland ein anderes deutsches Staatstheater einzufordern.
Inga: das Problem ist, dass ich immer ohne Maske und zwar unterschiedliche Medien möglichst kreativ nutzend, mich öffentlich verständlich zu machen suche. Und dass ich aber der Verständigung mit Ihnen persönlich mich entziehe ab sofort und es mir völlig egal ist, ob Sie mich deshalb für geistlos, sexsüchtig, für eine Schaubühnen-Werbung oder einen armen, einsamen Repräsentanten eines Theaters halten, das keine, zumindest nicht Ihre persönliche, Ironie versteht. Weil ich glaube, dass Sie mit mir allein gar nichts klären können und ich deshalb mit Ihnen persönlich irgendetwas zu klären gar keine Lust habe. Vielleicht sollten sie eine Partei gründen. - D. Rust
Was mir über die Geschichte der Schaubühne hinaus an ihr gefällt, ist folgendes: Sie ist nicht abgeschlossen. Sie bringt in die Gesellschaft eine NEUE Debatte, nicht das Wissen oder die Überzeugung davon, sondern die Debatte!, die man einkürzen könnte auf die Frage: Kann man Gefühle konsumieren oder nicht. Damit ist sie aus meiner Sicht im Moment das einzige auf Zeithöhe suchende, debattenrelevante Theater überhaupt in Deutschland. Das wird damit zu tun haben, dass der konkrete Regisseur Ostermeier das Haus führt. Das Haus hat Mut zur Unschärfe im Diskurs, da ist eine Suchbewegung drin. Und Ostermeier ist ein unabgeschlossener Regisseur. Immer erkennbar und offen unvollendet gehalten gleichzeitig. Da ist immer die Anstrengung des Augenblicks vor dem Absprung. (hier benutze ich ein Jelinek-Bild für eine bestimmte Grundspannung, aus einem Schriftverkehr über Schreiben) Während andere Regisseure und mittlerweile auch viele sehr gute Regisseurinnen daran arbeiten, immer schneller erkennbar zu sein um zu gefallen und Feuilleton-Unterstützung für die Theater-Kasse einzufahren. Das ist auch okay. Aber ich persönlich will so nicht arbeiten im Schauspiel. Pollesch interessiert mich nicht in seiner Endlosduplizierung seiner einmalig inszenierten Originalität. Castorf hätte durch ein langes, originäres Künstlerleben mehr als verdient, sich noch einmal ändern und ein Alterswerk entwickeln zu dürfen, dass seiner künstlerischen Intelligenz und menschlichen Leidenschaft entspricht. Es ist ihm nicht gestattet von den Strukturen, die sind wie sie sind. Er wählt aber als Intendant gute Platzhalter. Andrea Breth ergeht sich in Sprachpflege und ekelt sich vor der Alltagssprache der Zeit, in der doch alle Bewegungen sich immer zuerst abspielen. Das ist instinktlos und reaktionär. Usw. usw. – ich muss an meine Arbeit und möchte keine weiteren Beispiele geben. Nur eins noch – dem Theater Zürich haben wir wohl jetzt nicht nur unsere kleine Nerd- und Marionettentheater-Randdebatte zu verdanken, sondern endlich auch diese über eine fachlich und sachlich sinnvolle Theaterkritik und die wirklich sinnvolle, ästhetisch fordernde und fördernde Kritik der Kritiker unter Zürich: Physiker.- Ich danke Ihnen für das Gespräch, Kuchisoka Onna – D.Rust
Zum Thema Bildung. Sie schreiben: "Hat aber noch keiner gelernt, nur weil sich andere in nahezu sektiererischem Eifer einsetzen dafür, dass er das darf." Ich empfinde die Forderung der Bildung für alle nicht sektiererisch. Im Gegenteil, es geht mir allein darum, dass wir nicht auf politische "Experten" vertrauen, sondern uns vielmehr bilden sollten, um selbst zu Experten werden.
Erst kommt das Fressen und dann kommt die Moral? An sowas glaub ich ja gar nicht. Setzen Sie das mal einem Finanzmanager vor, da wird gefressen und nach dem Dax gegiert ohne Ende, aber die Moral, besser: die Ethik des Gemeinsamen bleibt aus. Sprich: Es reicht nicht, Menschen nur etwas zum Essen zu geben, sondern es geht auch darum, gemeinsam mit Ihnen für eine Veränderung der Verhältnisse hin zu mehr Demokratie von unten zu kämpfen.
Übrigens, ich bin sicher keine Ästhetin im Kierkegaardschen Sinne. Ich ekele mich auch nicht vor dem Hässlichen, was allein die Bedingung der Möglichkeit der Wahrnehmung des Schönen ist. Und Ihre Sekretärin interessiert mich nicht als Fehlersuchtippse, sondern als Mensch. Hierarchien abbauen und stattdessen horizontal, plural und prozessorientiert arbeiten, auch das wäre ein Aspekt hin zum Prinzip des Gemeinsamen.
Das mit den Belegstellen verstehe ich nicht. Ich führe keine Belegstelle "im vollen Mund" (wie kommen Sie eigentlich darauf?), nur um darüber mit meinem Wissen zu prahlen. Sondern es geht doch vielmehr darum, dass ich mir etwas, das ich gelesen habe, aneigne, weil es meinem eigenen Denken und meinen eigenen Überzeugungen entspricht. Und dann muss ich das meines Erachtens auch nicht mehr unbedingt alles belegen.
Wir sind freie Menschen, denke ich. Deshalb scheint mir die Forderung nach Bildung für alle unsinnig. Mit diesem mir fanatisch vorkommenden Impetus noch unsinniger. Auch egoistisch. Der Mensch ist frei zu lernen. Und auch frei, nicht lernen zu wollen. Bildung ist nicht immer Garant für Befriedung von Gesellschaft. Es sind große Verbrechen von sehr gebildeten Menschen verübt worden in der Geschichte der Menschheit.
Ach, die Finanzer – ich stell mir die allenfalls kaugummikauend vor, wenn die richtig was essen, müssen sie vom Rechner, schon wieder Kohle weg – vielleicht würden die aber wenigstens überlegen, wie sie aus dem, wie ich finde sehr weisen, Brecht-Song einen Nutzen ziehen können, jedenfalls die Finanzmanager, die ich persönlich kennengelernt habe, das macht sie mir sympathisch – das Problem ist: Proletariate müssen sich selber helfen. Auch das Unten, das heute die Proletariate ersetzt. Es gibt keine Revolution von oben. Immer wenn die Revolutionsführer von oben kamen, sind die Revolutionen gescheitert. Ich weiß auch nicht, wie Sie das mit der gemeinschaftlichen Arbeit am besseren Leben für alle bewerkstelligen wollen, wenn Sie schon konkrete Menschen beleidigen müssen, bloß weil die aus Schmerzen gelernt haben, was Leben und Liebe ist und einem konkreten und auch anderen konkreten Menschen davon erzählt haben oder die diese Menschen bei ihrem Lernen aus ihren Schmerzen beobachten konnten. Oder mussten. Oder die Ehre hatten, es zu dürfen. Ich hab ja den Verdacht allmählich, dass der Mensch für Sie was ganz Tolles, Bewahrenswertes und Beschützenswertes ist, aber Menschen, wenn sie konkret werden, ihrem Menschenbild irgendwie nicht so in den Kram passen.
Meine Sekretärin glaubt Ihnen auch nicht, dass Sie sich für Sie als Mensch interessieren, denn sie liebt mich, meistens jedenfalls, und tippt gern für mich und ich liebe sie auch, weil sie ein unglaublich unverschämtes Lächeln hinlegt, wenn Sie mir meine Fehler findet und sich freut, dass sie sie mir unter die Nase reiben kann. Dann haben wir immer was zu lachen.- D. Rust
Und was meinen Sie mit "wenn Sie schon konkrete Menschen beleidigen müssen, bloß weil die aus Schmerzen gelernt haben, was Leben und Liebe ist und einem konkreten und auch anderen konkreten Menschen davon erzählt haben oder die diese Menschen bei ihrem Lernen aus ihren Schmerzen beobachten konnten. Oder mussten. Oder die Ehre hatten, es zu dürfen." Wenn Sie hier nicht auch mal konkret werden, dann kommen wir nicht weiter. Tja. Genau das meine ich mit dem Prinzip des Gemeinsamen.
Ich meine, ich hatte geschrieben, ich persönlich hätte kennengelernt. Ich schrieb also von persönlichen Erfahrungen mit konkreten Menschen, die ich verallgemeinere, weil es sich eben um sehr viele Menschen aus allen sozialen Schichten handelte und Sie nennen das Quatsch. Obwohl Sie sich doch nach eigener Aussage für Menschen interessieren. Sie nennen meine Sekretärin eine Fehlersuchtippse, obwohl konkret ich die liebe und der Beruf der Sekretärin allgemein ein ehrbarer Beruf ist, der besonders heute bei der technischen Ausrüstung von Büros und der Internationalisierung der Schriftverkehre erhebliche Qualifikation verlangt. Sie sucht, findet und korrigiert konkret meine Fehler. Sie ist nicht hier Mensch, der interessant ist und da Beruf, der mit ihr als Mensch nichts zu tun hat…
Ich konkret mache Fehler, auch öffentlich, und kann darüber lachen und freue mich, wenn jemand mit mir gemeinsam über sie lachen kann.
Ich habe nicht geschrieben, dass konkret Sie eine Belegstelle im vollen Munde führen, sondern, dass Menschen, für die zuerst das Fressen und dann die Moral kommt, sich zumeist in sozialen Lagen befinden, in denen sie eben vor allem essen müssen und denen es dann völlig wurscht ist, ob sie klug und würdevoll dabei rüberkommen. Oder ob z.B. Sie ihnen lieber Bildung geben wollen oder den durchaus christlich moralisierenden Gedanken eingeben, dass Bildung wichtiger sein könne als Essen. Das ist ein Denken aus Sattheit, das Sie vertreten aus meiner Sicht. Das weit verbreitete moralische Paradoxon, dass die Satten die Moral für die in jeder Hinsicht Hungrigen predigen, hatte, ob Sie es glauben oder nicht, Brecht nun schon vor langer Zeit nicht nur erkannt, sondern auch unvergleichlich prägnant beschrieben in seinem Song Denn wovon lebt der Mensch? Der Song existiert nun mal. Ganz unabhängig davon, ob Sie das glauben. Und ich zitiere ihn nicht, sondern benutzte ihn zu einer Anspielung, die mir helfen soll, eine nach meiner konkreten, persönlichen Erfahrung tiefe Wahrheit in eine kurze literarische Formulierung zu packen. Solche Formulierungen unterlaufen mir wie Fehler, weil sie mein konkreter Alltag sind und deshalb auch in Thraeds Eingang finden, was will man da machen… Sie schreiben, es ginge (Ihnen) darum, für eine Demokratie von unten zu kämpfen. Und das ist nun aus meiner Sicht, mit Verlaub, unlogisch. Eine Demokratie, die eine wirkliche Demokratie nach unserem modernen Verständnis, also nicht-antike, Demokratie sein will, wie sie der Staat ja behauptet, würde die Möglichkeit der Unterscheidung von unten und oben weder erfordern noch bieten. Das heißt konkret: auch für Sie konkret führte damit logisch an einer Revolution kein Weg in die wirkliche Demokratie nach modernem Verständnis, also in horizontales, plurales und prozessorientiertes Arbeiten nach Ihrer Ansicht, vorbei. Und was ich von einer Revolution von oben halte, hab ich ja wohl geschrieben. Und ansonsten freue ich mich, dass Sie weniger als noch vor zwei Wochen mit Belegstellen umsichwerfen, sondern Ihr eigenes Denken konkreter hier in diesem Forum sichtbar wird. Denn nur das nützt hier irgendwem außer Ihnen selbst vielleicht etwas. Gelesen und studiert, Erfahrungen mit Theater, Kulturpolitik und Wissen von Philosophie haben hier alle ziemlich viel. Hier geht’s um Theater. Und im Theater geht es immer nur um Haltungen. Das ist der Vorgang jeder Probe, jedenfalls jeder bei der ich anwesend war, bin oder sein werde: das Ringen um Haltungen zu jeder einzelnen Figur in jedem einzelnen Spielvorgang, bei jedem Aufeinandertreffen von Figuren, die es darzustellen gilt. Ich habe Sie andernorts schon mit mehr Gründlichkeit vermisst, wie Sie unter Stückemarkt nachlesen können… Hier sollte doch jetzt aber Schluss sein mit diesem irrelevanten Nebenschauplatz-Hin- und Her.
-D. Rust
(Liebe/r D. Rust, liebe Inga,
ja, ich möchte mich dem gern anschließen: Es sollte jetzt "Schluss sein mit diesem irrelevanten Nebenschauplatz-Hin-und-Her". Bitte kommen Sie auch für andere Leser erkennbar zum Theater und zur Zürcher Inszenierung zurück; ansonsten behalten wir uns vor, Ihre Kommentare in diesem Thread nicht mehr zu veröffentlichen.
Vielen Dank und beste Grüße,
Anne Peter / Redaktion)