Die Zofen - Bastian Kraft streicht am Schauspielhaus Zürich das Schwestern-Drama schwarz-weiß
Im Spiel erwürgt, in echt vergiftet
von Valeria Heintges
Zürich, 11. April 2015. Wer heute Rollenspiele spielt, filmt sich auch dabei. Da geht es Claire und Solange in Jean Genets "Die Zofen" am Schauspielhaus Zürich so wie anderen modernen Menschen auch. Doch für die beiden Schwestern ist das Spiel Überlebenszweck. Würden sie nicht immer wieder spielen, dass eine von beiden Herrin ist und die andere Zofe, und dass die Zofe die Herrin umbringt, sie wüssten nicht, wohin mit ihrer Wut, ihrer Verzweiflung, ihren Sehnsüchten.
Sehnsüchte in Schwarz-Weiß
Wer Sehnsüchte sehen will, geht ins Kino. Auch Regisseur Bastian Kraft zeigt die Sehnsucht auf der großen Leinwand. Sein Ausstatter Ben Baur hat ihm dafür einen großen, weißen Rahmen um die Bühne gebaut und eine Leinwand aufgespannt. Darauf erscheint der Titel des Films: "Jean Genet. Die Zofen". Im Stil eines François-Truffaut-Films sind die zwei Dienstmädchen geschminkt, als wären sie Liza Minelli, mit großen, schwarzen Augen und langen Wimpern, mit edelblasser Haut und schwarzem Pagenkopf überm schwarzen Kleid mit weißem Kragen. Hier ist alles schwarz-weiß. Der Film ist schwarz-weiß. Die Bühne, die zur melodramatischen Musik von Arthur Fussy langsam durchscheint, ist schwarz-weiß. Und die Zofen sind schwarz gekleidet, diese Damen aus dem Reich der Küche, Dienerinnen, Knechte, Domestiken.
Gegenseitig halten sich Lena Schwarz als Claire und Olivia Grigolli als Solange in ihrem Spiel die Kamera vors Gesicht. Bastian Kraft verstärkt die Spiel-im-Spiel-Atmosphäre, indem er das Gefilmte zuerst auf der Leinwand, später auf der Bühnenrückwand leicht versetzt erscheinen lässt, gerade soviel, dass die Lippenbewegung nicht mehr ganz zum Gehörten passt – und der Film umso artifizieller wird.
"Draußen", jenseits des Spiels
Solange als Claire zwingt ihre Schwester Claire, die die gnädige Herrin gibt (es ist ein kompliziertes Spiel im Spiel), das rote Kleid anzuziehen für den Mord an diesem Tag. Knallrot und lang ist dieses Kleid, knallrot wie die Küchenhandschuhe, mit der sie sich im Spiel erwürgen, knallrot wie die kleine Phiole, die die Schlaftabletten enthält, die sie ihrer Herrin später ganz "in echt" verabreichen wollen. Sie steht leuchtend unter dem Boden des Spielkastens. "Draußen" wird Solange später sagen, nach "draußen" wolle sie gehen – und dann steigt sie aus, aus dem Spiel, aus dem Bühnenkasten und steht im wahren Leben – und immer noch auf der Bühne.
Bastian Kraft setzt Jean Genets Spiel ums Spiel im Spiel sehr genau ein, zieht mit den Farben eine neue Ebene ein, der mit einem Schwarz-Weiß-Denken oder gar einer Schwarz-Weiß-Verteilung nicht beizukommen ist. Denn gerade dieses Spiel ist es ja, das die beiden Zofen auf die Spitze treiben, wenn sie immerzu den Tod der verhassten Herrin spielen – und sich bisher doch nicht getraut haben, sie umzubringen. Heute trauen sie sich, und es geht gründlich schief, weil ihre Intrige entdeckt zu werden droht; der Hausherr, den Claire mit falschen Beschuldigungen ins Gefängnis bringen wollte, wird freigelassen – die Herrin stürzt zu ihm und hat keine Zeit, den vergifteten Lindenblütentee zu trinken. Wieder werden die Schwestern ihr Dienerin-spielt-Herrin-Spiel spielen, diesmal lassen sie es ins grausame Finale kippen: Claire bittet Solange als Herrin um den vergifteten Lindenblütentee – und stirbt.
Tropfen auf der heißen Herdplatte
Im Zürcher Pfauen geht das rasant, beklemmend, auf den Punkt inszeniert und mit atemberaubender Genauigkeit gespielt auf die Bühne. Natürlich ist sie ganz in Weiß gekleidet, die gnädige Herrin; Susanne-Marie Wrage gibt sie als abgeklärte Lichtgestalt, die nur in hart gestellten Fragen und schwer lastenden Pausen verraten lässt, wie grauenhaft gemein und zerstörend sie sein kann. Lena Schwarz ist als Claire die bodenständigere, zunächst gemeinere der Schwestern, die zum Stift greift und falsche Anschuldigungen zu Papier bringt. Wenn sie wie dressiert "Die gnädige Frau ist gut, die gnädige Frau ist schön, die gnädige Frau ist sanft" hervorwürgt, klingt es wie das Bellen eines Hundes, den nur die zu kurze Leine am tödlichen Biss hindert.
Umwerfend Olivia Grigollis Solange: Jedes Wort lässt sie zittern wie einen Tropfen auf der heißen Herdplatte, ehe es in ihrer unterdrückten Wut verbrennt. Zu Beginn wird sie mit jedem Satz zwischen Hass und Liebe zur Schwester hin- und hergetrieben, am Ende mit großer Kelle das Zimmer schwarz streichen, auch die Lilien der Unschuld werden im Farbeimer gebadet. Dann fährt der Bühnenkasten zurück, der Rahmen ist angestrahlt, als sei er ein vereister Kühlschrank. Darin liegt die tote Schwester, im Spiel erwürgt. Solange ist "draußen", endlich raus aus diesem Leben – auch wenn ihr Weg zum Schafott führt. Dann bittet Claire um den Lindenblütentee, und Solange klettert wieder "hinein" in den Sarg.
Die Zofen
von Jean Genet
Regie Bastian Kraft, Bühne und Kostüme Ben Baur, Musik Arthur Fussy, Video Kevin Graber
Mit Olivia Grigolli, Lena Schwarz, Susanne-Marie Wrage
Dauer: 1 Stunde 35 Minuten, keine Pause
www.schauspielhaus.ch
Kritikenrundschau
Alexandra Kedves schreibt im Tages-Anzeiger aus Zürich (12.4.2015): Das Stück ziehe als "hochstilisierter, schwarzweisser Bilderreigen an uns vorbei". Kraft habe Genet beim Wort genommen, der vom Theater mehr "Zeremonie" als "Maskerade", mehr "Tiefenbohrung und Metaphernspiel" statt "kindisches Oberflächengehampel" gefordert hatte. Krafts Inszenierung sei gerade eine "Feier der Maskerade, ein Gottesdienst fürs Auge; Zeremonie im Zeitalter von Selfie und Handycam". Die Symbolsprache, eine "künstliche, kinematophile Theatersprache", sei nicht subtil, aber stark, "quasi Jean Genet 2.0". Kraft schenke den Zuschauern "Anknüpfungspunkte" und "Schaulust", schon allein durch das "tolle Ensemble". Diese "selbstreflexive Bilderweltenmesse" sei im "guten wie im schlechten Sinn" "dekorativ".
Barbara Villiger Heilig schreibt in der Neuen Zürcher Zeitung (13.4.2015): Die Videokamera zerstreue die Aufnahmen wie ein Kaleidoskop zu "abstrakten Mustern" oder vergrößere "bebende Wimpern und sinnliche Lippen zu übermächtigen Obsessionen", vor denen die Original-Schwestern zu Puppen schrumpften. Das Rollenspiel der Schwestern diene außer "gegenseitiger Spiegelung" auch "individueller Selbstbespiegelung" und kokettiere zudem mit "Film- und Fotoästhetik", die Vervielfachung der Ebenen sei "very sophisticated". Krafts Interesse gehöre den Deklassierten, deren "zerstörerische Triebe" die beiden Schauspielerinnen virtuos variierten. Indessen verbiete der Regisseur ihnen die "zitternde Lust an Schund- und Schauermärchen". "Groschenroman" und "Komik" des Stücks blieben "unterbelichtet". Vor dem Hintergrund von Jean Genets katholischer Erziehung wirke Krafts Inszenierung einiges "zu puritanisch", um nicht zu sagen "zürcherisch".
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unglaublich interessante beschreibung. tolle aussage.ich habe auch beide inszenierungen gesehen und hatte ziemliche schwierigkeiten in münchen. wäre spannend zu erfahren, inwiefern sie münchen geglückt finden. ich empfand die figuren dort sehr eindimensional. auch die bühne machte für mich keinen sinn. und das spiel der schauspielerinnen durchschnittlich, obwohl das ja eigentlich gute frauen sind. schon erlebt in anderen aufführungen. den zugriff in zürich finde ich stark und ausgeführt. zumal kurzweilig. auch teile ich die meinung über die starken schauspielerinnen. auf jeden fall ist zürich streitbar während ich in münchen doch recht gleichgültig und uninspiriert das theater verlassen habe.