Bernarda Albas Haus - In Kiel inszeniert Dedi Baron einen gnadenlosen Realismus
Ganz in Eis
von Michael Laages
Kiel, 9. Oktober 2011. Die Begeisterung des Dichters über sich selbst ist recht gut verständlich – "Kein bisschen Dichtung!", mit diesem Jubelruf (so zitiert das Programmheft eine Biographie über Federico Garcia Lorca) sei der während der Niederschrift des postum berühmtesten Lorca-Stückes im Sommer 1936 Szene um Szene zum Nachbarn hinüber gerannt; reiner Realismus sei ihm stattdessen gelungen mit der Geschichte um "Bernarda Albas Haus".
Gelingt es einer Aufführung, diese Selbsteinschätzung "Bloß keine Kunst!" zu beglaubigen, und zwar ohne Lorcas Vorstellung von Realismus allzu ernsthaft zu strapazieren, wird in der Inszenierung die gnadenlose Konsequenz des dramatischen Vorgangs kenntlich, dann ist schon viel gewonnen.
Genau das aber ist der Kern des Versuchs, den Dedi Baron, Direktorin des Habimah-Nationaltheaters in Tel Aviv, jetzt am Kieler Schauspiel unternommen hat. Zu allererst jedoch hat die Regisseurin dem Stück alles vordergründig Spanische ausgetrieben – stattdessen erzählt dieser Lorca bei und mit ihr die Geschichte vieler Frauen, von denen nicht eine jemals eine Chance zum Glück bekommen hat.
Frauenhaustragödie
Dies ist das Frauenstück an sich. Männer kommen nicht vor. Der erste, Bernardas Mann und Vater von vier der fünf Töchter im Stück, ist frisch verstorben, wenn das Stück beginnt. Ein Schwiegersohn ist im Anzug, Angustias, mit mittlerweile 39 wahrhaftig eine Übriggebliebene, soll diesen Pepe bekommen; aber er will wohl eher Adela, die Jüngste; Martirio, die Zweitjüngste will ihn aber dummerweise auch. Zu sehen bekommen wir den Casanova vom Dorfe allerdings nie, er fensterlt aber fleißig im Fünfmäderlhaus; und am Ende, auf der Flucht vor dieser Hexenküche, wird (erfolglos) auf ihn geschossen. Im letzten Akt der schwesterlich-familiären Bosheit wird der Jüngsten allerdings suggeriert, der Liebste sei dahin; da nimmt sie sich das Leben. "Als Jungfrau gestorben!" postuliert die Monster-Mama; das ist zwar nicht ganz sicher, aber zwingend nötig für den Ruf der Familie.
Zwingend, zwanghaft, unausweichlich und ausweglos ist praktisch alles in "Bernarda Albas Haus"; allem voran das Regiment der Mutter. Acht Jahre soll getrauert werden um den Mann, der das Schicksal für sie war; auch ohne jedes Glück, wie zu vermuten ist. Ein Haus hat er gebaut, immerhin – für ihr Elend. Ausgangssperre wird nun also über die Töchter verhängt – als Gefangene im eigenen Haus leiden sie an der Hitze, außen wie innen: am Mief unausgelebter Sexualität; und das im Sommer, wo die wirkliche Welt gar nicht weiß wohin mit der eigenen Geilheit und Gier: die Männer im Dorf, die Hengste in Bernardas Pferdezucht. Samt und sonders sind diese Frauen wie zugeschlossen, verflucht und zugenäht, und ihr Hass jede gegen jede ist der schwarze Spiegel all der Liebe, die ihnen nicht erlaubt ist.
Bilder, Sprache, Bewegung
Wohin mit der Hitze; zwischen den Schenkeln und überhaupt? Der Bühnenbildner Stephan Mayer hat für Dedi Barons Kieler Lorca-Blick quasi die nächstliegende Abhilfe geschaffen – jedes der Mädchen bekommt einen Eisblock verpasst, groß genug, um drauf zu reiten oder ihn sonstwie als Kühlung zu nutzen, groß genug auch als Tisch; glatt genug, um ihn wie Flaschen zu drehen – welche ist als nächste dran in diesem Horror-Kabinett? Auch bedrohlich schwer und gegen Ende durchsichtig genug sind die Blöcke aus Eis, so dass die jüngste Tochter sich zum Sterben darauf legt und den Kopf zwischen zwei Blöcke steckt – so abstrakt wie real können sich im Eis alle Schmerzen und Ängste ablagern.
Und noch eine zweite Bild-Idee prägt den Abend – die Wände sind keine, stattdessen aus schmalen senkrechten Stretch-Bahnen gespannt, ebenfalls ganz in Weiß; wie im weiblichen (eigenen) Geschlecht kann jede Spielerin verschwinden. Und obendrein bietet diese Streifen-Wand Platz genug für Projektionen: rennende Pferde kurz vor der Paarung, marschierendes Männer-Militär, das die Uniformität der Frauen spiegelt.
Elina Schnizler schließlich hat die Frauen sehr in die Zeitgenossinnenschaft herüber geholt – Mama hochbrüstig gepuscht und mit Frisur und Stola einer 50er-Jahre-Matrone, die Mädels im Kostüm auf die Generationen danach verteilt. Spanisch ist da nur die Nachbarin, aus der Zeit gefallen die schon leicht verwirrte Großmutter; und die beiden Bediensteten, vertraut mit allen Dramen des Hauses und als einzige halbwegs frei im Geiste, sind die Farbtupfer in all dieser Düsternis.
Dedi Baron hat zum Glück eine neuere, angenehm freche Lorca-Übersetzung gewählt – und findet in ihr das richtige Tempo für einen furiosen Schlagabtausch. Dezent lässt sie die mütterliche Zwangsherrschaft obendrein von Preslav Mantchev choreographieren – so gelangt sie tatsächlich an Lorcas Begeisterungspunkt: Nichts ist künstlich und gewollt, alles folgt dem Zwang im Stück.
Staunenmachend
Und das Kieler Ensemble macht schlicht Staunen – versammelt um den Gast Christiane Roßbach, ehedem eine der prägenden Protagonistinnen in Düsseldorf und München, sind klare und kräftige Frauen-Profile; allen voran Agnes Richter in der (zugegeben: der Wahrheiten wegen, die sie zu sagen hat) dankbarsten Rolle als Hausangestellte La Poncia. Aber sie sei nur als Beispiel genannt; alles ist da an diesem erstaunlichen Abend, nichts wird vermisst. Schon gar kein Mann – alle grauenhaften Eigenschaften dieses Geschlechts hat ja Mutter Bernarda selber leidvoll in sich aufgesogen.
Und es bleibt ein Mirakel, mit welch inniger Liebe einer die Frauen beschwor, der ansonsten verliebt war ins eigene Geschlecht – vielleicht kommen wir diesem großen Magier Lorca, umschwärmt und ermordet im Spanien des beginnenden Bürgerkrieges, irgendwann ja auch hier zu Lande ganz neu und wie zum ersten Mal auf die Spur. Dedi Baron zeigt in Kiel, wie das gehen könnte – und wie sehr sich das lohnt.
Bernarda Albas Haus
von Federico Garcia Lorca
Regie: Dedi Baron, Bühne: Stephan Mayer, Kostüme: Elina Schnizler, Choreographie: Preslav Mantchev, Video: Yoav Coher, Dramaturgie: Marcus Grube, Annika Hartmann.
Mit: Isabel Baumert, Pina Bergemann, Jennifer Böhm, Ellen Dorn, Claudia Friebel, Claudia Macht, Agnes Richter, Christiane Roßbach, Yvonne Ruprecht, Almuth Schmidt.
www.theater-kiel.de
Mehr zumSchwerpunkt Nord auf nachtkritik.de: Georg Kasch gibt zum Auftakt einen Überblick über die Lage in den Küstentheatern. In Lübeck sahen wir jüngst Yerma, von Anna Bergmann inszeniert und im Landestheater Schleswig-Holstein besuchten wir das Dirk Laucke-Stück Der kalte Kuss vom warmen Bier und Felicia Zellers Kaspar Häuser Meer.
Eine "gefühlsstarke und energisch aufbegehrende Inszenierung", die "eine moderne Lesart des Textes" biete, hat Christoph Munk in den Kieler Nachrichten (11.10.2011) und für das Onlineportal der Segeberger Zeitung (11.10.2011) erlebt. "Großzügig, phantasievoll und spielerisch verschwendet die Regisseurin ihre Mittel. Sie lässt ihre Schauspielerinnen körperbetont sportlich agieren und albern herumtollen." Tanz, Musik und "virtuos bedeutungsgeladene Videos" seien zu erleben, durch die Kostüme "sind alle Figuren effektvoll überzeichnet." In dieser Inszenierung sei nichts "nur angedeutet oder gar versteckt, alles wird deutlich demonstriert, mehr noch: ausgestellt." Dabei bleiben die Mittel in den Augen des Kritikers durchweg funktional: "Gerade die wild ausgetragene Spiellust schafft glasklare Verhältnisse."
Von Lorcas tragischer Grundhaltung sei zu wenig über die Rampe gekommen, urteilt Ewald Zickermann in den Lübecker Nachrichten (19.10.2011). In aller Härte wolle Dedi Baron das Stück ihren Zuschauen wohl nicht zumuten. Die Bühne "mit Eisquadern als einzigem Mobiliar" biete zwar einen Rahmen, "der Bernardas Gefühlskälte entspricht". Doch die Frauen "werfen ihre schwarzen Schleier alsbald ab". Allgemein werde die Unterdrückung durch eine tyrannische Mutter in Dedi Barons Inszenierung so weit heruntergespielt, dass die Auflehnung der jüngsten Tochter Adela darunter leide.
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Auch ich sah ein assoziationsauslösendes, ein vielversprechendes Bühnenbild, gut choreographierte Passagen (wie nicht allzuhäufig in Kiel), das eine ums andere ausdrucksstarke Bild, und die Spieleinfälle zu den Eisblocks (an einer Stelle ein kleines Theaterwunder) waren da schon fast die sprichwörtliche halbe "Miete" fürs Haus. Wie auch bei der "Yerma" in Lübeck bleibt also auch hier zu gewärtigen, daß die Poetik Garcia Lorcas ganz offensichtlich als Katalysator zumindestens phantasievoller und spielfreudiger Abende so mancherlei hergibt (und Lorca, wie Herr Laages schreibt, insofern möglicherweise noch eingehenderer Erkundung harrt).
Allerdings bleibt es meineserachtens (ich besuchte den Abend gestern) in Kiel so ziemlich bei dieser "halben Miete". Die von Munk beschworenen Mittel, so publikumsfreundlich - und wirksam und teilweise bestrickend sie auch geraten mögen, sind das altbewährte Ragout des Faustschen Theaterdirektors (in einer Art "Infusionsdramaturgie"). Es ist schon verdächtig gewesen für mich, als ich (noch in Berlin) las, daß Agnes Richter hier die gelösteste Rolle gekonnt auszuspielen verstand, denn an interner Spannung, ja tragisch sich zuspitzender Handlung auch !, des Familiengefüges mangelt es diesem Abend für meine Begriffe ganz gehörig, die Figurenkonstellationen sind nach circa einer Viertelstunde fest umrissen, und die Inszenierung suggeriert lediglich den unaufhaltsamen Marsch zum tragischen Ende hin, das Spiel und die "Großkinoeinspielungen" liefern im Grunde nur endlos Plakatives, ziemlich Unverbundenes, auf Dauer Ermüdendes, so daß das Geschehen auf der Bühne zunehmend kalt läßt und halt auch die Frage aufkommen, was Dedi Baron hier überhaupt am Lorca-Stoff umgetrieben hat. Billige Katholizismus-Abrechnung, wie es dümmliche Publikumslacher zu den sportiv choreographierten Trauerszenen zu Beginn erscheinen lassen könnten, wird es kaum sein; irgendwie höchst aus jeglicher Zeit gefallen kommt mir die Sache vor, die bei Lorca wohl als Spiegelung der politischen Großwetterlage (und Keim dafür ??!) angelegt war. Reicht es da, marschierende Frauen- und Herrensoldatenriegen einzuspielen, Laufstegmodelle, Rennpferde, Horrorfilmausschnitte ?? Das bleiben alles Fäden, die überhauptnicht aufgegriffen werden und somit ins Leere laufen, jedenfalls wohl kaum zu einer Interpretation hin, welche das Publikum beunruhigen könnte. Nach einer Viertelstunde ist eigentlich alles strukturell glasklar, läuft ab, wobei die "Figuren" gen Ende (wie häufig in Kiel) fast vollends Kontur verlieren (gerade auch Agnes Richter). Weitestgehend stimme ich der shz-Kritik von Wolfgang Butzlaff (14.10.2011) zu, in der es abschließend heißt:
"Allgemein wird Innerliches stark veräußerlicht und die Unterdrückung durch die tyrannische Mutter so weit heruntergespielt, daß dadurch die Auflehnung der jüngsten Tochter (Claudia Friebel) abgeschwächt wird. Als sie, statt sich hinter der Szene aufzuhängen, ihren Kopf zwischen zwei Eisblöcke legt, damit alle ihren Freitod sehen können, unterstreicht auch dies die Veräußerlichung des Ganzen. So werden die Zuschauer zwar gut unterhalten, doch von der Tragik in Lorcas Drama kaum nachhaltig berührt."