Nichts als Gespenster

von Shirin Sojitrawalla

Mainz, 26. Januar 2008. In ihrem neuesten Stück mit dem schönen Titel "Verschwinden oder Die Nacht wird abgeschafft" setzt die junge österreichische Dramatikerin Gerhild Steinbuch fünf mysteriöse Nachtgestalten auf die eigene Umlaufbahn und lässt sie darauf rotieren. In wechselnden Kombinationen bilden sie ohne erkennbaren Zwang Zwangsgemeinschaften, die ihnen helfen, die Schimären der Nacht zu vertreiben. Auf der Suche nach dem längst verlorenen Früher stammeln sie sich durch leergelebte Welten, die ihnen weder Halt noch Absturz gönnen.

Gestalten

Lara ist die Hauptfigur in diesem merkwürdigen Reigen der Alltäglichkeit. Tatjana Kästel verkörpert sie als patentes Mädchen, das sich den Umarmungen anderer widersetzt. Mit ihrem Bruder Oed (Lorenz Klee), einem Altenpfleger mit Babyspeck auf der Seele, verbindet sie Geschwisterliebe, während sie in Haimon (Felix Mühlen) ihren Partner gefunden zu haben glaubt – und dann auch wieder nicht.

Dessen Vater wiederum, ein Politiker, ist ein waschechter Machbarkeitsfanatiker, auch wenn er längst weiß, dass alles immer irgendwann öde wird. Marcus Mislin spielt ihn als agil abgekämpftes Alphamännchen, das seine Familie auf Trab hält. Seine Frau schlafwandelt derweil unberührt weiter durch ihr Leben wie durch einen nicht enden wollenden Alptraum.

Dabei gestattet Steinbuch ihren Figuren nur abgeschnitten wirkende Sätze; die Endsilben wagen sie erst gar nicht auszusprechen. Ein ganz eigener Ton breitet sich so aus, ein Ton, der nicht nur Musikalität besitzt, sondern auch von der Porosität der präsentierten Persönlichkeiten spricht.

Das Alter ist ein DJ 

Die Zuschauer sitzen im Mainzer TiC auf der Bühne, hineingeleitet werden sie vom Alter persönlich, verkörpert von Daniel Seniuk, der auch als Beobachter und DJ in einer – kahlköpfigen – Person fungiert. Sein Pop-Potpourri gehorcht den Nöten des Stücks, warum allerdings nach einer Weile in Endlosschleife die unschlagbare Schnulze "Time to say Goodbye" läuft, bleibt sein Geheimnis.

Schöne Momente beschert immer wieder das ältliche Ehepaar, das sich auf dem heimischen Sofa annähert und abstößt. Ihr Eheleben kann man getrost der Pflegestufe III zuordnen, denn schon wenn sie einmal leidenschaftslos aneinander vorbeireden, ist das mehr, als sie erwarten. Ihr Früher ist einfach zu lang her. Ein hübsches Bild ist es auch, wenn Monika Dortschy als Mutter im bodenlangen paillettenbestickten Abendkleid sowie herrlich verschmiertem Lippenstiftmund herumstöckelt und nicht weiß, wie ihr geschehen soll.

Hinter allen Türen: Rätselhaftigkeit

David Hohmann hat sich die Kostüme ausgedacht, rosafarbene Oberteile haben’s ihm, warum auch immer, angetan. Die Bühne hat er als Showtreppe angelegt. Vier Stufen in voller Bühnenbreite führen zu vier Schiebetüren hinauf. Hinter der einen befindet sich das Wohnzimmer der Eltern, hinter einer anderen der Kleiderschrank von Lara.

Das ergibt manch schönen Tür-auf-Tür-zu-Effekt, rettet das Stück aber nicht vor der eigenen Rätselhaftigkeit. Denn der Regisseurin Eva-Maria Baumeister scheint nicht so recht eingefallen zu sein, wie sich aus dem einigermaßen kryptischen Text ein Drama machen ließe. Auf diese Weise werden selbst 60 Minuten lang, zumal sie der Vorlage viel von ihrer poetischen Zärtlichkeit rauben.

Übrig bleibt die bange Frage: Um was geht’s hier eigentlich? Die hinreißende Beschwörungsformel "Ich bin froh, dass wir gehörn" rettet zwar so manchen Augenblick, die zentralen Themen Alter und Familie werden indes zu flüchtig angetippt. Wir gehen davon aus, dass das Absicht ist, aber aus Steinbuchs Stückerl will auch bei Baumeister kein Stück werden. Und deshalb bleibt der Abend leider nicht viel länger im Gedächtnis als die eine Stunde, die er dauert.

Verschwinden oder Die Nacht wird abgeschafft
Von Gerhild Steinbuch
Deutsche Erstaufführung
Regie: Eva-Maria Baumeister, Ausstattung: David Hohmann.
Mit: Tatjana Kästel, Lorenz Klee, Felix Mühlen, Marcus Mislin, Monika Dortschy und Daniel Seniuk.

www.staatstheater-mainz.com

 

Kritikenrundschau

In der Frankfurter Rundschau (31.01.2008) schreibt Judith von Sternburg, dass Steinbuch viel unterbringe in ihrem Stück, "Einsamkeit in Stadt und Familie, Heldentum, das in den Bergen und im Krieg, aber besonders zwischen Menschen gefragt ist, Traurigkeit." "Der Überfrachtung, die man erahnen kann und die auch eintritt, wirkt Eva-Maria Baumeister mit einer geradlinigen Inszenierung entgegen." Steinbuchs kommentierender "Alter" werde hier zum Conferencier mit Kunstglatze. Daniel Seniuk "gelingt es, nicht nur zu nerven, sondern auch rührend zu sein in seinem Eifer. Das entspricht dem Text: Dessen Unschärfe hängt damit zusammen, dass Steinbuch es in der Schwebe lässt, wie sentimental oder ironisch er zu nehmen ist."

In der Rhein-Main-Zeitung (31.01.2008) schreibt Eva-Maria Magel, dass es in der Inzenierung zwischendurch auch Kaubonbons fürs das Publikum gab, "mehr zu kauen allerdings gibt es nicht, denn Baumeisters Bemühungen, Steinbuchs Text Sinn, Stringenz oder gar Theatercharakter abzugewinnen, gehen ins Leere." Themen wie der neue "Familien- und Kinderboom, der Generationenvertrag und Brachialdarwinismus" würden zwar aufscheinen - aber würden sich nicht zusammenfügen. Steinbuch gelte als großes Dramatik-Talent. "Davon ist in 'Verschwinden' nichts zu spüren: Nach einer guten Stunde selbstverliebten Sprachgeklingels ist einem jede Lust vergangen, auch nur nach einem Warum zu fragen."

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