Ekkehard Schall: Von großer Art - Vera Tenschert porträtiert den großen Theatermann
Der die großen Rollen der Großen spielte
von Ute Grundmann
20. Juli 2010. Die große Geste des Arturo Ui. Tanzend in "Das kleine Mahagonny". Probend für "Das Leben des Galilei". Oder die Gesten, den Gang prüfend für "Der kaukasische Kreisekreis". Als Philosoph im Schaukelstuhl für den "Brecht-Abend Nr. 3. Der Messingkauf". Momentaufnahmen des Schauspielers Ekkehard Schall, den Vera Tenschert über Jahrzehnte im Berliner Ensemble fotografiert hat. Daraus ist ein jetzt schöner Bildband des Schauspielers geworden, dessen 80. Geburtstag und fünfter Todestag in dieses Jahr fallen.Moment der Szene
Vera Tenschert war von 1954 bis 1992 Theaterfotografin am Berliner Ensemble. Über ihre Arbeit schreibt sie: "Speziell bei der Theaterfotografie hab ich immer unter widrigen Lichtumständen arbeiten müssen. Großen Wert legte ich immer auf der Moment der Szene" – dafür nahm sie auch Unschärfe oder starke Körnigkeit ihrer Schwarz-Weiß-Bilder in Kauf. Es sind Moment-Aufnahmen - nicht erstarrt, sondern nur kurz in der Bewegung angehalten, so, als ginge das Spiel sofort weiter.
Schwingt Coriolan das Schwert, so scheint sich der Mantel mitzubewegen. Aus der Maske des Arturo Ui im Smoking, den Schall 500mal gespielt hat, blitzen die Augen des Schauspielers. Bei der Probe der ernste Blick ins Textbuch, dann ein schmales Lächeln darüber: Das macht Tenscherts Bühnen-Bilder so spannend.
Von 1952 bis 1991 war Ekkehard Schall am Berliner Ensemble engagiert, fungierte auch einige Jahre als stellvertretender Intendant und Regisseur. Ein Virtuose in Gestik und Sprache, spielte Schall die Widersprüche seiner Figuren mit. Volker Braun dichtete über ihn: "Der viel Arbeitende, jetzt/ Reißt er sich in die Rolle des Arbeitenden/ In alter Geschichte, die nicht erledigt ist/ Der die großen Rollen der Großen spielt/ Mit dem Blick nach unten".
Bilder, wenig Worte
Der Bildband beginnt mit "Winterschlacht" (1955) und endet mit "Baal" (1987) und ist so auch ein Kaleidoskop der Spielpläne und Regiestile am Berliner Ensemble, nicht nur die Erinnerung der Theaterfotografin "an große Inszenierungen des Berliner Ensembles mit grandiosen Kollegen". Und er zeigt, dass Ekkehard Schall zwar viel, aber nicht nur Brecht gespielt hat: auch "Woyzeck", auch Eislers "Johann Faustus", auch Shakespeare.
Schade nur, dass in der Fülle der Fotos die Namen der Mitspieler und Mitspielerinnen Ekkehard Schalls nicht genannt werden. Das ist ein Manko dieses Buches, das weder als Biografie noch als theaterwissenschaftliche Abhandlung, sondern als Bilder-Buch gedacht ist. Und so muss der Betrachter wissen, dass das BE die, nicht unumstrittene, Vorzeigebühne der DDR war, in der Schall, Schwiegersohn Brechts, eine herausgehobene Rolle spielte. Auch die unterschiedlichen Regiestile (Matthias Langhoff, Manfred Wekwerth, Ruth Berghaus) werden nicht analysiert, sondern man muss sie anhand der Bilder selbst zu entdecken. Ein weiterer Reiz des Buches, das auch einige Privataufnahmen Schalls zeigt, aber nur relativ wenig Worte macht.
Deine verdammte Perfektion
Da ist das Zettelchen zu sehen, das Brecht einst dem Mimen nach der "Winterschlacht" schrieb: "lieber schall, wenn ich das sagen darf: ich finde den hörder jetzt von großer art. ihr b.", aber auch kritische Notizen der Abendregie. Von Schall selbst sind Texte zu "Brecht spielen" und über Ernst Busch zu finden. Tochter Jenny Schall, Kostümbildnerin, nennt die Dinge, die sie vom Vater übernommen hat: "deine verdammte Perfektion, deine Genauigkeit und Sorgfalt, aber auch deine Selbstzweifel".
Hilmar Thate ist mit seinen Erinnerungen an Schall bald im Hier und Heute, wettert über "zerstückelnden Neoliberalismus" und die Suche nach der "ergiebigsten Marktlücke". Hermann Beyer schreibt: "Schall war wie ein Gewitter. Diese Kraft, diese Bewegung, dieser einmalige Umgang mit Sprache." Vera Tenschert ist es gelungen, in ihren Bildern aus dem Berliner Ensemble viel von dieser Faszination wiederzugeben.
Vera Tenschert
Ekkehard Schall: Von großer Art.
Verlag Das Neue Berlin, Berlin 2010.
192 Seiten. 24,95 Euro.
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Lest die Schleef Memoiren.
Brecht schätzte Erich Engel Mitarbeiter. Engel hatte ihm mit Uraufführungen den Weg zum Erfolg geebnet. Mit der Dreigroschenoper begründete er dessen Weltruhm.
Vor der Gründung des Berliner Ensembles rechnete Brecht schriftlich damit, Engel als Koregisseur gewinnen zu können. Im Text des Bildbandes wird Engel tot geschwiegen. Galilei wurde angeblich von einem Erich Angel inszeniert. Die Uraufführung der Mutter Courage 1951 war eine Inszenierung von Brecht/Engel. Hier wird das Problem der Namensnennung umgangen, indem keine Angabe zur Regie gemacht wird. Der Grabstein Erich Engels liegt in guter Nachbarschaft zu Brechts Grab. Er lässt sich nicht verrücken. Die Inschrift: "Wir, so gut es gelang, haben das unsre getan." war auch Brecht zugeeignet. Nach dem Tode Brechts hörte ich einen Nachruf der Erbschleicher des Ruhms: "Der Brecht ist ein Engel doch der Engel ist kein Brecht, er kopiert er imitiert ihn aber beides macht er schlecht."