Kolumne: Aus dem bürgerlichen Heldenleben - Esther Slevogt kommt um die Frauenquote nicht herum
Das Star-Bakterium
von Esther Slevogt
8. Mai 2019. Ich war immer gegen eine Frauenquote, weil ich stets peinlich berührt dachte: ich will doch nichts geschenkt bekommen, bloß weil ich eine Frau bin. "Ja", sagte meine Freundin B. eines Tages. "Aber du möchtest auch nichts weggenommen bekommen deshalb." B. ist eine hochkarätige Wissenschaftlerin und leitet ein renommiertes Forschungsinstitut. "Obwohl ich eine Frau bin und Kinder habe", sagt sie immer.
Gutes Recht
Als junge Wissenschaftlerin war sie (besonders während sie an ihrer Habilitation arbeitete) bei ihren männlichen Kollegen berüchtigt. Denn sobald sie sich als Frau zurückgesetzt fühlte, legte sie bei der Frauenbeauftragten des Instituts Beschwerde ein. Das führte nach einer Zeit zu einem empfindlichen Lernreflex bei den Kollegen. "Ach, Frau K. – bitte nicht schon wieder zur Frauenbeauftragten rennen", sagten Sie augenrollend in ihre Richtung. Was B. als deutliches Zeichen dafür wertete, dass die Kollegen langsam selbst zu merken begannen, wenn sie wieder einmal die Grenzen überschritten hatten, was die Behauptung ihrer scharf abgezirkelten Männerdomänen betraf.
Freundin B. bekam dann manchmal sogar, was sie wollte. Nämlich ihr Recht. "Geht doch!" sagte sie dann kühl. Und wartete auf den nächsten Versuch der männerbündischen Seilschaften in ihrem Institut, sie ins Abseits zu manövrieren, deren diesbezügliche Techniken immer raffinierter wurden. "Evolution nennt man das wahrscheinlich", feixte B. stets, wenn sie mir davon berichtete.
So bekam sie im Forschungsprojekt ihrer Institutsgruppe im Zuge ihrer Habilitation ein vollkommen unbedeutendes Bakterium zugeteilt. Die dramatischsten Bakterien hatten sich mit Hilfe des Institutsleiters die männlichen Kollegen im Projekt gesichert. Trotzdem war es am Ende allein das Forschungsergebnis von B., das im berühmten Fachmagazin "Lancet" veröffentlicht wurde. Sie hatte sich mal wieder durchgekämpft und aus ihrem Micker-Bakterium einen Medizin-Star gemacht. Against all odds and men.
Gerne mit normativem Kriterium
Der Name des Institutsleiters, der sie zuvor daran zu hindern versucht hatte, ein relevantes Forschungsergebnis zu erzielen, stand dann aber selbstredend mit auf der Liste der Autor*innen des Beitrags. "Um das Spektrum von guten Wissenschaftler*innen um den realistischen Anteil des Potenzials von Frauen zu vervollständigen, braucht es eine Quote", findet B. deshalb schon seit langem und schreibt das auch.
Inzwischen bin ich davon überzeugt, dass sie Recht hat. Und ich glaube auch nicht, dass die Qualität in der Forschung darunter leiden wird, wenn forschungsfremde Kategorien hier an den normativen Grundlagen schrauben. Im Gegenteil.
Genauso wenig wird auch die Kunst leiden, wenn beim Berliner Theatertreffen ein normatives Kriterium künftig mit darüber entscheiden wird, was für Kunst in die Zehnerauswahl gelangt. Hier nämlich wird für den Zeitraum von zwei Jahren testweise eine Fünfzig-Prozent-Frauenquote eingeführt, was ja grundsätzlich erstmal eine gute Nachricht ist.
Trotzdem sorgt die Entscheidung für Unruhe. Was bitte hat das Geschlecht mit der Qualität der Kunst zu tun?, fragen die einen. Wird hier durch die Hintertür nicht eigentlich an der Unabhängigkeit der Jury gesägt, wenn ihr die Festspielleitung mit der Einführung der Quote nun Auflagen zu den Auswahlkriterien macht?, kritisieren die nächsten. Ist nicht am Ende ab 2020 (wenn die Quote zu greifen beginnt) jede eingeladene Inszenierung einer Frau mit dem Zweifel belegt, nur eingeladen zu sein, weil die Regisseurin eben kein Regisseur ist?
Von wegen Brechstange
Fragen wie diese habe auch ich mir in den letzten Jahre immer wieder gestellt. Allerdings in die andere Richtung. Wie viel Mittelmäßiges hat es schließlich immer wieder in die Auswahl geschafft, bloß weil der Regisseur ein Mann war! Allerdings fand ich nirgendwo je öffentlich den zweifelnden Einwand gegen eine Arbeit formuliert, die Einladung zum Theatertreffen sei ausschließlich deshalb erfolgt, weil der Regisseur ein Regisseur ist, also ein Mann und deshalb strukturell im Vorteil. Dabei ist das doch schlicht und ergreifend so.
Ein Mann denkt grundsätzlich, dass er vom Genie abstammt. Frauen hingegen schämen sich oft sogar, wenn sie besser qualifiziert oder klüger als andere sind. Lektorin S. zum Beispiel, die als einzige in dem großen Verlag, in dem sie arbeitet, einen Doktortitel hat. Doch während jeder Mann, der auch nur für zehn Minuten irgendwo Honorarprofessor wird, sogleich sein gesamtes Briefpapier, Visitenkarten und auch das Klingelschild entsprechend aktualisiert, war S. das Dr. vor ihrem Namen peinlich. Sie verschwieg es, um die Kolleg*innen nicht zu beschämen. Für solche Strukturen, die sich so tief in Mentalitäten und Sphären des Unbewussten fressen, braucht es auch schon mal die Brechstange. Die Quote ist da doch eher noch eine freundliche Maßnahme.
Esther Slevogt ist Redakteurin und Mitgründerin von nachtkritik.de und außerdem Miterfinderin und Kuratorin der Konferenz Theater & Netz. In ihrer Kolumne Aus dem bürgerlichen Heldenleben untersucht sie: Was ist eigentlich mit der bürgerlichen Öffentlichkeit und ihren Repräsentationspraktiken passiert?
Zuletzt würdigte Esther Slevogt den DDR-Architekten Selman Selmanagić als Symbolfigur eines west-östlichen Europas.
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#merktihrwas
Es mag literarisch nicht besonders elegant, also ein bisschen unelegant sein, so etwas in einer Kolumne zu tun- aber nicht unbedingt unwürdig. Große Teile der Kunst in den Künsten leben - mitunter seit Jahrhunderten - davon, Unkontrollierbares zu behaupten. Und manchmal ist genau dies ihr wahrer Kern, den wir als tiefer liegende, unkontrollierbar sich ausdrückende Wahrheit zu unserem großen Glück empfinden: Bosch's Gärten der Lüste, de Witt's Auferstehungszenerien, Shakespeares Hamlet, seine Ariels und Pucks, Kafkas Blumfeld'sche hüpfende Bälle, Garnrollen und Kinder schreckende Hoftore; die ein oder andere unvergessliche Geste, die ein/e SchauspielerIn gefunden hat für etwas Unerklärliches im Zusammenspiel von Figuren eines Stückes; die minimalistischen Tonverschiebungen in den Glass'schen Musik-Loops, die mozartäischen, von Laien bis zum Musikliebhaber nahezu unbemerkbaren Anklänge an die großen, verinnerlichten Vorbilder - Unkontrollierbarkeit KANN etwas Wundervolles sein - warum fürchten wir sie eigentlich so sehr?
Das gab es alles schon mal. Schauen sie hier.
https://de.m.wikipedia.org/wiki/Hammoniale
Das ist nicht die Lösung. Sie brauchen die Anerkennung für eine Quote! Und die bekommen Sie nicht durch Verordnungen! Da braucht es viel mehr.
Dass sie immer wissen, was nicht die Lösung ist, würde mich mehr überzeugen, wenn Sie mehr Erfolg hätten.
Her mit den Lösungsansätzen, her mit Quoten! Her mit der Hoffnung, dass auch bei Ihnen die Anerkennung für die Quote bald kommt!
Milchmädchen @ Rechnung: lol! - Da lachen sie wirklich zurecht! Alles nur männliche Jahrhundert-Beispiele... Der Mist an Kommentaren: man zensiert sich immer selbst in Richtung Zwangs-Kurzfassung. Und man wird anders dann entweder nur ironisch bonmottig oder ungenau... Ich denke, es ist so: solange wir nicht die Clara Schumanns, Caroline Herschels, die Mdms. Curies oder Claudels anders denn als Musen ihrer Väter undoder Männer sehen und nur halbherzig antizipieren, was von ihnen als Schaffensrest überliefert übrig blieb, werden wir auch von den zeitgenössischen Künstlerinnen nur die genügend schätzen und kanonisieren können, die halt jung oder schön oder Frauen an Seite Prominenter sind oder zumindest waren oder thematisch reduziert sexualisiert über ihre Arbeit hinaus Aufmerksamkeit generieren konnten... Ein verinnerlichtes Wissen um gewohnte Fokussierung von öffentlicher Aufmerksamkeit auf männliche Arbeit, das viele Künstlerinnen in die soziale Isolation oder frühen Tod getrieben hat. Heute zählt man wenigstens die Karrierestationen von Männern wie von Frauen auf, wenn man über ihre Arbeit oder ihre Erfolge berichtet. Die kritische Auseinandersetzung mit ihrer Arbeit als solcher ist dennoch WESENTLICH oberflächlicher und reduzierter. Auch hier ist solche Rezensions-Tradition zu bemerken. In den letzten Jahren hat man Wesentliches über Arbeits-Inhalte oder deutlichen Formenwillen von Frauen erst erfahren, wenn ihre SchülerInnen in Nachrufen ihnen nachgetrauert haben. Man hat erst dann als Nicht-Insider erfahren, dass sie viele Jahre verantwortungsvoll, phantasiereich und durchsetzungsstark Theater geleitet haben zum Beispiel. Immer gibt es nur eine ältere zur Lichtgestalt Hervorgehobene, bei der dann auch einmal dezidiert auf die Bildung und Entwicklung ihrer Ästhetik geschaut wird. Von Jelinek weiß jeder, von Marianne Fritz kaum jemand. Mnouchkine wird sehr genau - aber abnehmend in der Genauigkeit! - betrachtet und beschrieben, von Berghaus und ihrer Kraft weiß keiner mehr was, außer ein paar aussterbende DDR-Bürger und SchülerInnen, die sich in ihren aktuellen Theater-Kämpfen kaum mehr trauen, sich auf sie als Lehrerin zu berufen... Die jungen, neuen Intendantinnen werden interessiert betrachtet und beschrieben - die älteren, stellvertretenden Intendantinnen mit beeindruckender und mitunter beeindruckenderer Arbeitsleistung nicht - usw.usw.usw. - Fazit: Frauen arbeiten heute wesentlich umfangreicher als in früheren Zeiten in den gleichen Berufen wie Männer. Sie leisten in den Berufen in der Vielzahl genauso viel wie Männer und in der Minderzahl - genau wie auch die Minderzahl der Männer - MEHR als durchschnittlich in ihren Berufen geleistet wird. Es wird weder genügend oft gesagt und vergleichend beurteilt, dass Frauen und Männer in den gleichen Berufen GLEICH gut arbeiten. Noch werden diejenigen Frauen, die im gleichen Beruf wie Männer vergleichsweise ÜBERDURCHSCHNITTLICH gut arbeiten genauso dezidiert öffentlich medial begleitet wie das bei den überdurchschnittlich gut arbeitenden Männern der Fall ist. Die hier vergleichbar den Männern überdurchschnittlich gut arbeitenden Frauen müssen sich für die Herstellung einer gleichen öffentlichen Aufmerksamkeit für überdurchschnittliche Leistung stets noch gesondert, außerhalb ihrer Arbeit exponieren. DAS ist der eigentliche zeitgenössische Skandal, bei dem einem wirklich das Lachen vergehen kann. - Und: ja, im Wissenschaftsbereich ist das auch so. Deshalb ist das Beispiel in der Kolumne als Vergleich ein sehr sehr gutes. - Hat mich gefreut, mit Ihnen über mich selbst zu lachen...
So so... das ist es also, was Männer grundsätzlich denken. Gut, dass wir das jetzt wissen. Die Welt ist ja doch recht einfach zu verstehen.
Dieser Satz ist auf dem Niveau von „Frauen können nicht einparken”. Wollen wir diese Debatte wirklich so führen?
Egal wie mittelmässig, inkompetent ein Mann war. wurde er einer besser qualifizierten Frau bevorzugt.
Das führte zu einer SelbstverHERRlichung, Anmassung und ein lautes Selbstbewusstsein, die viele Fehler übertünchte.
Die Zurücksetzung von Frauen, ließ diese zurückhaltend,introvertiert und selbstzweifelnd sein.
Das ist jetzt grob vereinfacht natürlich. Das kann man auch bei Kindern sehen. Diejenigen, die man ermutigt und geliebt hat, auf die man stolz war, wuchsen zu selbstbewussten Menschen heran.
Frauen müssen Fehler machen dürfen, wachsen und mit demselben Respekt wie Männer behandelt werden.
Und wenn ich bei Kindern - freilich grob vereinfacht - das selbe sehen können soll wie bei Frauen, dann heißt das, dass ich entweder a) Frauen vor allem mit Kindern vergleichbar finden soll oder b) dass Männer als Jungen offenbar prinzipiell mehr ermutigt und geliebt worden sein müssen als Frauen als Mädchen; und dass Männer als Jungen prinzipiell der Stolz ihrer Eltern waren und Frauen als Mädchen nicht... Ja. Das ist in der Tat sehr sehr vereinfacht. Und ich weiß nicht, warum diese Art der Vereinfachung "natürlich" sein soll?
Frauen DÜRFEN Fehler machen. Wie alle Menschen. Sie dürfen auch wachsen. Niemand hindert sie. (man kann auch an einer Benachteiligung oder Chancenungleichheit wachsen, übrigens) Das einzige, was dazu führt, dass von ihrem Wachstum weniger bekannt ist als von dem von Männern, ist, dass von ihrem Wachstum in aller Regel nicht berichtet wird. Dass ihre Wachstums-Fehler nicht bef r a g t werden und sich niemand interessiert für ihre persönlichen Strategien, mit eigenen Fehlern wachstumsfördernd umzugehen. Hat man vllt in zu vielen Fällen deshalb weniger Respekt vor ihnen als vor Männern? Meine Erfahrung ist, dass einem als einzelner Frau ö f f e n t l i c h wahrnehmbar entweder zu viel oder zu wenig Respekt erwiesen wird. Und das ist nicht nur nicht der selbe Respekt, wie er Männern erwiesen wird, sondern schlicht gar keiner... Ich lehne es ab, erst im gleichgeschlechtlichen Rudel auftreten zu müssen, bloß um auch in der Öffentlichkeit gefälligst respektvoll behandelt zu werden.