Den Weg weisen

9. April 2024. Soll man Richard-Wagner-Straßen umbenennen? Schließlich war der Mann glühender Antisemit – aber auch musikalisches Genie. Eine aktuelle Petition entfacht die Debatte neu, ob und wie das Kunstwerk vom Künstler zu trennen ist. Und wer im öffentlichen Raum geehrt werden sollte.

Von Janis El-Bira

9. April 2024. Heute also etwas aus dem Kernbereich dieser Kolumne: Straßentheater, wortwörtlich. In Köln nämlich will der kanadische Musiker und tolle Genie-Darsteller Chilly Gonzales eine Straße umbenennen – nicht mehr Richard-Wagner-Straße soll der rund 700 Meter lange Abschnitt in der Kölner Innenstadt demnach bald heißen, sondern: Tina-Turner-Straße, zu Ehren der Schwarzen Queen of Rock ’n' Roll und einstigen Wahlkölnerin, die vergangenes Jahr verstarb.

Die Debatte "Soll man die Kunst vom Künstler trennen" geht weiter

Um dieses Anliegen scheint es Chilly Gonzales einigermaßen ernst zu sein, schließlich hat er schon vor einigen Wochen eine entsprechende Petition auf den Weg gebracht. "Richard Wagner war ein großer Komponist, aber ein scheußlicher Mensch", heißt es da gleich im ersten Satz – und weiter: "Wagner nutzte seine Plattform als führender Intellektueller, um in seinem Aufsatz "Das Judenthum in der Musik' (1869) den ohnehin bestehenden Antisemitismus noch zu befeuern." So weit, so richtig.

Und weil nämliche Petition bislang eine, nun ja, eher überschaubare Unterstützer*innenzahl aufwies, hat der Musiker, der mit bürgerlichem Namen Jason Beck heißt, ihr in der ZDF-Show von Jan Böhmermann am vergangenen Wochenende einen Push gegeben. "F*CK Wagner" heißt der Song, den er dort präsentierte, um die weißbärtige "Soll man die Kunst vom Künstler trennen?"-Debatte nochmal hübsch aufzufrisieren. "Fuck him and his Nazi granddaughter / Fuck his fan club and his converts / They’re not welcome at my concerts”, sprechsingt er da im Stil von Kanye West. Dieser sei überdies der "brand new Wagner”, weil eben selbst Großkünstler – und auch Antisemit. So weit, so öd'.

Personenkult, im Straßenraum konserviert

Dass Chilly Gonzales damit weder in Bayreuth die Brezeln hart werden lassen noch für diskursiv auch nur halbwegs satisfaktionsfähige Wagner-Interessierte irgendeinen Neuigkeitswert bereithalten dürfte, sollte klar sein. Trotzdem: Die Sache mit der Straßenumbennung ist nicht so leichtfertig abzutun wie ein Song, der so herzhaft schlecht ist, dass er eher an eine Parodie auf die Cancel Culture denken lässt. Wenn das Portal "Straßen in DE" richtig zählt, dann gibt es von Aachen bis Zwickau nicht weniger als 636 Richard-Wagner-Straßen in Deutschland. Überbleibsel eines nahezu unvergleichlichen Personenkults.

Und darum geht es schließlich beim Denkmal, in dessen Wesensumfeld auch die Ehrung durch eine Straßenbenennung gehört: die Person, ihr Name, nicht bloß ihr Werk. Was damals sie war, soll heute uns den Weg weisen – nicht nur im geographischen Sinn. Das personenbezogene Denkmal konserviert Leistungen, Werte und Anschauungen für die Gegenwart. Darin besteht sein eigentlicher Sinn.

Pragmatisches Proporzdenken

Also weg mit den 636 deutschen Straßennamen zu Ehren eines hässlichen Antisemiten? Abmontieren und entsorgen, wie vor vier Jahren im Sommer des antikolonialen Zorns in Europa die Statuen mit dem Konterfei von Sklavenhändlern und anderen Menschenschindern reihenweise abgerissen wurden? Warum nicht!
Schließlich hat gerade ein selbst jüdischer Künstler wie Chilly Gonzales alles Recht darauf, nicht immer und überall an Menschen erinnert werden zu wollen, die ihn vermutlich gehasst hätten.

Aber ist das alles wirklich eins, Wagner und die Sklavenhändler und Kolonialverbrecher? Muss eine Wagner-Straße genauso weg wie eine Petersallee oder ein Nachtigalplatz selbstverständlich weg müssen beziehungsweise mussten? Besteht der Unterschied nicht darin, dass jemand wie Edward Colston, dessen Statue 2020 in Bristol vom Sockel gestoßen wurde, in erster Linie Sklavenhändler war – und Richard Wagner in erster Linie doch etwas Anderes als ein Antisemit? Womöglich hilft in dieser verlässlich wiederkehrenden Debatte auch ein pragmatisches Proporzdenken: Bei 636 Richard-Wagner-Straßen sind vielleicht nicht alle, aber bestimmt so manche verlustfrei austauschbar.

Kolumne: Straßentheater

Janis El-Bira

Janis El-Bira ist Redakteur bei nachtkritik.de. In seiner Kolumne Straßentheater schreibt er über Inszeniertes jenseits der Darstellenden Künste: Räume, Architektur, Öffentlichkeit, Personen – und gelegentlich auch über die Irritationen, die sie auslösen.

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Kommentare  
Kolumne El-Bira: Rheingold
Wenn nicht an seinen Antisemitismus, sondern an die musikalische Leistung Wagners erinnert werden soll, könnte die Straße in Köln z.B. in "Rheingoldstraße" umbenannt werden.
Kolumne El-Bira: Nebenschauplatz
Ich lese die Kolumnen von Janis El-Bira gerne, weil sie gesellschaftliche Fragen in ihrer Widersprüchlichkeit aufzeigen. In der Tat kann sowohl die Eliminierung von Namen problematischer Personen der Geschichte wie auch deren unreflektierte Perpetuierung ein und denselben unerwünschten Effekt haben: die Beförderung von Geschichtslosigkeit. Sie ist zu einem alltäglichen Phänomen geworden. So haben kürzlich die großen Medien von der ARD bis zur Süddeutschen Zeitung die Wiedereröffnung des Alpinen Museums in München bejubelt, ohne zu erwähnen, dass deren Betreiber, der Deutsche Alpenverein, ein Vorposten des Antisemitismus und der Kooperation mit der NSDAP war. Bei so viel Geschichtsvergessenheit, die bei jeder Kritik an Israels Politik aufschreit, den heimischen Antisemitismus aber verschweigt, sind 636 Richard-Wagner-Straßen eher ein Nebenschauplatz.
Kolumne El-Bira: Namen sind Schall und Rauch
Ich würde für unaufgeregte Zwischenlösungen plädieren. Wikipedia verzeichnet unzählige Peters (https://de.wikipedia.org/wiki/Peters) - da wäre doch sicher einer dabei gewesen. Und der Nachtigal-Strasse hätte man doch einfach ein "l" mehr verpassen können - wie melodiös wäre das geworden. Die Lösung bietet sich auch bei 19 Wiki-Wagners an (https://de.wikipedia.org/wiki/Wagner) - wie wäre es zum Beispiel mit "eine Figur aus Goethes "Faust"?
Kolumne El-Bira: Verwaiste Straßen
Es gibt kein Recht darauf, von anderen nicht erinnert werden zu wollen. Der eigene Wille gehört zum Selbst und wenn man an etwas nicht erinnert werden will, muss man an sich selbst so lange arbeiten, bis man sich nicht mehr erinnert oder zumindest nicht so erinnert, dass es einem (erneut oder weiter) Schaden zufügen kann. Wer ein Recht darauf haben möchte, nicht erinnert werden zu wollen, hat entweder keinen eigenen Willen oder den neurotisch reduziert einzigen Willen, anderen Menschen ihr kulturelles Gedächtnis abzusprechen, gleich welche Motive sie haben, sich auszudrücken in ihrem angestammten Kulturraum.
Das gilt für Wagner ebenso wie für andere Namen. Für deutsche wie für anderssprachige. Für Ruanda wie für Deutschland oder Korea oder die Ukraine oder Ländereien in Sibirien, die sich noch sicher waren, seit echt hunderten von Jahren!, ob sie nun eher mongolisch, russisch oder chinesisch sind...
Die Schwierigkeit entsteht dadurch, dass es Streit geben kann über die angestammte Herkunft in einem bestimmten geografischen Raum. Dieser Streit ist ohne profunde Geschichtskenntnisse, die dafür oft sehr sehr weit zurückreichen müssen (bitte in JEDEM Fall weiter als ins Mittelalter zurück!), nicht friedlich beizulegen. Mit Waffen natürlich auch nicht. Nirgends auf der Welt!
Man kann mit gutem Willen beispielsweise eine Straße, die Menschen aus Gründen so benannt - oder umbenannt - haben, dass es einem buchstäblich wehtut, einfach nicht mehr benutzen. Man kann darüber reden, dass man das deshalb nicht (mehr tut). Wenn eine Straße umbenannt wird, in der z.B. das Institut einer sehr verdienstvollen und traditionsreichen Universität beheimatet ist, dann muss das Institut dann z.B. zukünftig ohne einen auskommen. Das kann man so sagen. Oder, eine ehemals sehr beliebte Wagner-Straße in der es viele Musikalienhandlungen, Antiquariate und Fachgeschäfte für Festkleidung, feine Tees oder Aachener Marzipan und Edelprinten oder ähnliches gab, wird wegen ihres neuen, aufgezwungenen ethisch gewiss korrekteren Namens soweit die Geschichte rückreicht, nunmehr verwaist.
Einfach, weil der nicht mehr "klingt" - in jeder Hinsicht. Für die Wagner-Liebhaber nicht mehr und für die Tee-Liebhaber nicht mehr und für diejenigen, die nur den Spleen haben, dass sie gern mal mit Wagner-Liebhabern oder Wildehen-Liebhabern verwechselt werden würden, auch nicht mehr...
Das wäre dann ein vermutlich der Stadt wehtuendes Umbenennungs-Eigentor... Sowas wie eine 20 000 Elefanten-Straße, nur in echt-
Kolumne El-Bira: Hans von Bülow
Übrigens: zu den größten Bewunderern Richard Wagners gehörte Hans Mayer, der den Nationalsozialismus in Frankreich und der Schweiz überlebte. Es ist alles nicht so einfach. Der langjährige Wagner-Verehrer Hans von Bülow, nach dem in Deutschland immerhin 42 Straßen benannt sind, gehörte zu den Erstunterzeichnern der sogenannten Antisemitenpetition von 1880, in der Bismarck aufgefordert wird, sich dafür einzusetzen
"1. dass die Einwanderung ausländischer Juden, wenn nicht gänzlich verhindert, so doch wenigstens eingeschränkt werde;
2. dass die Juden von allen obrigkeitlichen (autoritativen) Stellungen ausgeschlossen werden und dass ihre Verwendung im Justizdienste - namentlich als Einzelrichter - eine angemessene Beschränkung erfahre;
3. dass der christliche Charakter der Volksschule, auch wenn dieselbe von jüdischen Schülern besucht wird, streng gewahrt bleibe und in derselben nur christliche Lehrer zugelassen werden, dass in allen übrigen Schulen aber jüdische Lehrer nur in besonders motivierten Ausnahmefällen Anstellung erlangen;
4. dass die Wiederaufnahme der amtlichen Statistik über die jüdische Bevölkerung angeordnet werde."
Unter den Dirigenten, die sich 1978 für die Restaurierung von Bülows Grab eingesetzt haben, waren auch mehrere prominente Juden wie Daniel Barenboim, Leonard Bernstein, Michael Gielen und Sir Georg Solti.
Kolumne El-Bira: Verwagnerung droht
#1: Bitte nicht! Es besteht dann die Gefahr der Verwagnerung, weil es dann bald eine Tristan-, eine Elsa-, eine Alberich-, eine Siegfried-, eine Meistersinger-, eine Fliegender Holländer-, eine Nibelungen-Straße usw. im nahen Umkreis geben wollen würde. Zumindest eine nicht enden wollende Diskussion darüber, Künstlermoral hin oder her-

#2: Das ist doch nicht viel Geschichtsvergessenheit, sondern extrem begrenzte, die Sie beschreiben. Unter viel Geschichtsvergessenheit verstehe ich das Vergessen, dass Geschichte bis zum Urknall oder das, was wir jeweils ersatzweise dafür halten bzw. begründetabstrahieren, zurück reichen darfkannsollte und nicht nur bis zu Kaiser Wilhelm im kleinen - also vergleichsweise - Deutschen Reich.
Kolumne El-Bira: Legion Condor
Man stolpert so über Steine. Wo man zufällig noch nicht gestolpert ist, geht man ungestört. So auf der Spanischen Allee. Eine nicht gar so kleine Straße in Berlin. Wir flanieren da und ehren die NS-Legion Condor, ihren Sieg für den Faschisten Franco, die Bombardierung Guernicas, das Schlachten der Antifaschisten. Alles öffentlich.
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