No more Sternenstaub (Donna)

19. März 2024. René Pollesch hat das Theater auf mehr als eine Weise für immer verändert – auch, indem er der "weißen männlichen Hete" die Deutungshoheit entzog. Unser Kolumnist erinnert sich an eine Inszenierung, mit der das Theater, wie er es bis dahin kannte, schlagartig vorbei war.

Von Georg Kasch

19. März 2024. Der für mich prägende Pollesch-Abend war Ping Pong d'Amour an den Münchner Kammerspielen 2009. Die Prater-Jahre hatte ich vollkommen verpasst, überhaupt den ganzen, unter Theaterwissenschaftsstudierenden ewig befeuerten Volksbühnen-Hype.

Plötzlich aber saß ich arm im reichen München und erlebte eine Screwballkomödie überm Abgrund. Wenn Katja Bürkle am "Rand der Darstellbarkeit" fast über die Rampe fiel, dann begegnete ich da zum ersten Mal René Polleschs Repräsentationskritik, deren schlagendste Bildwerdung 2011 in Schmeiß dein Ego weg die Vierte Wand und deren lustigste 2021 die echte "authentische Kuh" war, die in J'accuse selbst Sophie Rois an die Wand spielte.

Die Hete hat ausgespielt

Dass 2009 zu meiner verspäteten Pollesch-Erweckung wurde, hatte auch etwas mit der Form zu tun: In München ließ sich nicht übersehen, dass es sich bei Polleschs Theater auch um queeres Theater handelte. Aber was genau heißt das? Schließlich taucht der Begriff – wenn ich das richtig überblicke – im Pollesch-Kosmos nicht auf; sich selbst hat Pollesch als schwul bezeichnet. Dafür umso häufiger der Begriff der Heteronormativität, die Matrix, die alle Fiktion, alles Vorspielen prägt, alles Vormachen, den anderen und sich selbst. Weil es den traditionellen Theaterformen um Lesbarkeit geht, die durch die Sprache des weißen, heterosexuellen, mittelständischen, westlichen Mannes und dessen Norm(alität) geprägt wird. "Die weiße männliche Hete" (O-Ton Pollesch) hatte immer das erste Wort. Bis Pollesch kam.

Glamourwelten wie in Old Hollywood

In seinen Stücken – Mischungen aus Diskurstheorie und Fragmenten, die aus Filmen und Komödien stammen und Dialoge nurmehr simulieren – hat er dazu Gegenwelten erschaffen und sie zuweilen glamourös in Szene gesetzt. Wie eben in "Ping Pong d'Amour", dessen Bühne von Janina Audick auch Kulisse für eine Operetteninszenierung Barrie Koskys hätte sein können. Darauf Wesen, die wirkten, als hätten sie Knochen aus Gummi, federnd in der Hüfte wie in der Sprachbehandlung, flamboyante Verführer:innen, die einen mit Brillanz aufs gedankliche Glatteis lotsten. Vermutlich hat ihn der Glamour von Old Hollywood gereizt, weil sich dessen Ästhetik so entschieden jeder Authentizitätsdoktrin wiedersetzte.

Was man hier sah, waren keine Männer und Frauen. Das waren Schauspieler:innen, die nichts verkörperten als das Prinzip des Spiels. Und die im Themen-Ping-Pong zwischen Körperdisziplinierung und Gender Trouble, Uneigentlichkeit und Normalitäts-Dekonstruktion glühten wie Sternenstaub, zu dem sie am Ende wurden. Wo dann ihre Materialität oder ihr Geschlecht völlig unwichtig wurden. Auf der Bühne war ihm ohnehin alles möglich.

Das Leben kann süß sein

Pollesch gehörte auch zu den ersten, die einen Zusammenhang von Identität und Ökonomie ausmachten, als die Queer-Theorie und der Marxismus noch getrennte Wege gingen. Früh hat er auf überraschende Koalitionen zwischen dem vermeintlich befreienden Gestus der Queerness und dem repressiven System des Kapitalismus hingewiesen. Liebe ist eben mitunter kälter als das Kapital. Und Geschlecht nur interessant, solange es Eindeutigkeit verhindert und sich der Umarmung des Markes entzieht. Als das nicht mehr funktionierte, griff Pollesch zu Autos und machte aus seinen Spieler:innen Transformers ((Life on earth can be sweet) Donna). Donna Haraway stand Patin. Auch so lässt sich Queerness fruchtbar machen. Ließ. Wer nimmt jetzt den Faden auf?

Kolumne: Queer Royal

Georg Kasch

Georg Kasch, Jahrgang 1979, ist Redakteur von nachtkritik.de. Er studierte Neuere deutsche Literatur, Theaterwissenschaft und Kulturjournalismus in Berlin und München. In seiner Kolumne "Queer Royal" blickt er jenseits heteronormativer Grenzen auf Theater und Welt.

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Kommentare  
Kolumne Kasch: Gähn
Och nee, der xte Text seit Tagen auf nachtkritik über Pollesch. Fällt euch nix mehr ein? Gibt es denn noch lebende Theaterschaffende, die an etwas werkeln?

Langweilig.
Kolumne Kasch: Bitte noch viele Nachrufe
zu #1

perfekter Ausdruck unser schnellebigen Welt, für Pollesch sollte man noch in Jahren Nachrufe schreiben! Einer der ganz Großen ist von uns gegangen! Danke für Ihren Beitrag, Herr Kasch.
Kolumne Kasch: Mehr ist mehr
zu#1
Seit Polleschs Tod sind 32 (Zweiunddreißig!) Nachtkritiken erschienen, 3 (Drei!) redaktionelle Texte zu Pollesch und der Abschiedsbrief von Fabian Hinrichs ...
Manche Leute behaupten ja, weniger ist mehr ... aber das ist eigentlich Quatsch - denn mehr ist mehr!
Kolumne Kasch: Liebevoller Blick zurück
by the way ... Vielen Dank, Georg Kasch, für den liebevollen Blick zurück ...
Kolumne Kasch: Ausgerechnet Pollesch
Viele Jahre dachte ich fast immer nach dem Tod prägender Theaterleute, was nachtkritik.de doch für ein schnöder, kalter, gegenwartsfixierter Ort ist, auf dem auch wirklich große Theaterleute manchmal nicht mal einen eigenen Nachruf der Reaktion bekamen oder nur einen kurzen Wikipedia-artigen Text und extrem wenige Kommentare.
Nur jetzt nach dem Tod von Pollesch, dessen Arbeit ich sehr mochte, gibt es Woche für Woche Texte. Dass ausgerechnet Pollesch nun diese Art Heldenverehrung zuteil wird, finde ich wirklich dialektisch für jemanden, der so sehr am Unheldischen und Gemeinschaftlichen gearbeitet hat.
Und dann kann Georg Kasch ganze Theaterepochen wie den Barock und seine Opern vergessen für die unglaubliche Vereinfachung:
"Weil es den traditionellen Theaterformen um Lesbarkeit geht, die durch die Sprache des weißen, heterosexuellen, mittelständischen, westlichen Mannes und dessen Norm(alität) geprägt wird. "Die weiße männliche Hete" (O-Ton Pollesch) hatte immer das erste Wort. Bis Pollesch kam."
Alle Künstler*innen über Jahrhunderte und Jahrtausende, bei denen nicht die weiße männliche Hete das erste Wort hatte, alle komplexen Theaterformen der Tradition, die nicht auf Verstehbarkeit zielten, schwupps, weg. Und wer hat's erfunden? Pollesch. Hoffen wir, dass ohne Superheld Pollesch nicht wieder nur männliche weiße Heten das erste Wort haben.
Eines ist sicher: Rene Pollesch hätte über die ganze falsche Heldenverehrung einen grandiosen Text geschrieben. Wahrscheinlich auch einen Text voller Trauer, weil er glaube ich gemeinschaftliche Impulse hinterlassen wollte. Jetzt klingt es oft so, als ginge es ohne ihn kaum noch weiter mit dem Theater und wir leben jetzt in der Erinnerung an die seligen Zeiten.
Und ja, es gibt auch Menschen wie Fabian Hinrichs, die anders geschrieben haben und die Impulse gefeiert haben, die weitergetragen werden könnten.
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