Im Fegefeuer der Ahnungslosigkeit

5. März 2024. Super Tuesday! In den USA treten Donald Trump und Joe Biden in die entscheidende Phase der Präsidentschafts-Vorwahlen. In einem zerklüfteten Land, das von Polarisierungskämpfen und Fake News geprägt ist. Hätte ein stärkeres Volkstheater solche Krisen verhindern können? Ein vielversprechendes Projekt gab es.

Von Esther Slevogt

5. März 2024. Wäre Amerika ein anderes Land, wenn es ein anderes Theater gehabt hätte? Ein Land etwa, wo der Populist Donald Trump 2016 nicht Präsident geworden wäre, der nun als Bedrohung der amerikanischen Demokratie schon wieder ante portas steht?

Diese Frage warf kürzlich in der noblen American Academy in Berlin-Wannsee James Shapiro auf. James Shapiro ist ein preisgekrönter Shakespeare-Spezialist und Professor an der New Yorker Columbia-Universität, der mit seinem Spezialistentum in einen tiefen Konflikt geriet, als Donald Trump 2016 US-Präsident geworden war. Denn was nutzte ihm all sein feinstoffliches Wissen über Shakespeare und seine Zeit, wenn er praktisch nichts über das Innere des politischen System des eigenen Landes wusste, wo ein Präsident wie Trump auf der Basis von Fake News und Niedertracht Präsident werden konnte?

Wo sind die USA falsch abgebogen?

Auf der Suche nach dem Punkt, wo das Land falsch abgebogen war, stieß Shapiro auf ein von der US-Politik angestoßenes Theaterprojekt in den 1930er Jahren: das Federal Theatre Project. Nach den Verheerungen der großen Depression am Ende der 1920er Jahre mit ihren Arbeitslosenheeren auch in den USA hatte Präsident Franklin D. Roosevelt mit dem "New Deal" Anfang der 1930er Jahre eine Wirtschafts- und Sozialreform auf den Weg gebracht, zu der auch dieses landesweite Theaterprojekt gehörte, mit dem wenigstens ein Teil der zehntausenden arbeitslosen Bühnenangestellten (vom Schauspieler über Musiker bis zum Bühnenarbeiter) wieder in Lohn und Brot gebracht werden sollten.

Dieses landesweite Projekt, das in den Jahren 1935 bis 1939 in neunundzwanzig US-Bundesstaaten über tausend Produktionen herausbrachte, ist das erste und einzige öffentlich finanzierte Theaterprojekt, das es in den USA jemals gab. Über dreißig Millionen Menschen besuchten die Vorstellungen, darunter sehr viele, die nie zuvor im Theater gewesen waren. Denn gespielt wurde nicht nur in feststehenden Häusern, sondern auch auf öffentlichen Plätzen, in Zelten oder temporären Spielstätten. Es gab klassisches Theater mit Dramen von der Antike bis zur Moderne, aber auch Tanz und Varieté, rein Schwarze Ensembles und eine völlig neue Form des dokumentarischen Theaters: die "Living Newspapers", deren Stücke aktuelle Ereignisse aufgriffen.

Die Theaterdirektorin Hallie Flanagan

Geleitet wurde das Federal Theatre Project von Hallie Flanagan, einer Theaterprofessorin, Regisseurin und Produzentin, die in den 1920er Jahren durch Europa und vor allem die Sowjetunion gereist war, um dort die neuen Theaterformen zu studieren, die nach der Russischen Revolution überall entstanden. In Berlin hatte sie Piscator kennengelernt, in der Sowjetunion Stanislawski und vor allem Wsewolod Meyerhold. Es war die Zeit, als Stalin zwar schon an der Spitze von Staat und Partei in der Sowjetunion stand, aber immer noch revolutionäre Aufbruchsstimmung herrschte und die Künste blühten.

Wie Hallie Flanagan ihre, vom proletarischen Avantgarde-Theater in Europa inspirierte Ideen in das ungeheuer erfolgreiche Federal Theatre Project einfließen ließ, berichtete also nun in der American Academy James Shapiro. Es waren auch ein paar Berliner Theaterkritikerinnen und -kritiker geladen, die es sonst eher selten in diese noble Institution verschlägt, wo die Künste nicht sehr oft Thema sind.

Im Zentrum des Vortrags stand das fegefeuerhafte Tribunal, in das Hallie Flanagan am 8. Dezember 1938 geriet: als sie das Federal Theatre Project vor dem Ausschuss für unamerikanische Umtriebe verteidigen musste. Jener Ausschuss, der nach 1945 zu traurigem Ruhm unter dem Senator McCarthy gelangte, war schon in den 1930er Jahren ins Leben gerufen worden – ursprünglich, um Nazi-Aktivitäten in den USA aufzuspüren. Bald aber fungierte es selbst als Instrument für rechte Agenden und den Kampf gegen alles, was irgendwie kommunistisch erschien. Und hier war nun das Federal Theatre Project in den Focus seines berüchtigten Vorsitzenden Martin Dies geraten – das Projekt, das mit seinem Bildungs- und Aufklärungsauftrag so unglaublich viele Menschen erreichte.

Vor dem Tribunal

Mit viel Sinn für das dramatische Potenzial dieser Anhörung erweckt Shapiros Vortrag den Schlagabtausch zwischen den ungebildeten Populisten des von Dies geleiteten Ausschusses und der klugen Theaterdirektorin Hallie Flanagan zum Leben, wie sie etwa in ihrer inzwischen legendären Aussage mit einer Anspielung auf den elisabethanischen Dramatiker Christopher Marlowe für Gelächter sorgte, weil sie die Rückfrage des Kongressmanns provozierte hatte: "Ist er ein Kommunist?" Denn keiner der Herren wusste, wer Marlowe war. Auch hätte niemand je auch nur eine einzige Vorstellung des Federal Theatre Projects besucht. Und daher lachte Flanagan selbst nicht über diesen lächerlichen Auftritt, denn sie wusste: Tausende von Menschen würden ihren Arbeitsplatz verlieren, weil dieser Ausschuss des Kongresses bereits die Klassiker des Theaters "kommunistisch" fand.

So war es dann auch gekommen: Wenige Wochen später wurde das Federal Theater Project eingestellt und damit ein Projekt begraben, das aus Sicht von James Shapiro aus den USA ein anderes Land gemacht hätte: eine gebildete Nation, wo Menschen nicht auf Fake News und die Lügen rechter Populisten reinfallen, weil das Theater sie gelehrt hat, selbst zu denken.

Kolumne: Aus dem bürgerlichen Heldenleben

Esther Slevogt

Esther Slevogt ist Chefredakteurin und Mitgründerin von nachtkritik.de. In ihrer Kolumne Aus dem bürgerlichen Heldenleben untersucht sie: Was ist eigentlich mit der bürgerlichen Öffentlichkeit und ihren Repräsentationspraktiken passiert?

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