Kolumne: Zeug & Stücke - Teresa Präauer über Cosplayers auf der Leipziger Buchmesse
Cosplay
von Teresa Präauer
Erwähnungen des Wortes Cosplay auf nachtkritik.de bisher: 2 Mal
17. März 2015. Ach, Cosplay. Nur zweimal, sagt die Suchmaschine, wird der Begriff genannt auf nachtkritik.de: einmal bei Armin Petras, ahja!, und einmal in einem Artikel, der, am Rande, auf ein Stück von Gob Squad verweist: "Before your very Eyes". Worin Kinder ihr Leben antizipieren und die Rollen erproben, die sie später einmal eingenommen haben werden, so es nach den begrenzten Möglichkeiten innerhalb des "Formelvorrats" eines Menschenlebens geht. Seltsam, wenn man als Mittdreißigerin in diesem Stück im brut Wien gesessen ist, und sich angesehen hat, wie Kinder also dreißig- bis vierzigjährige Erwachsene imitieren: wie lustig ist es gewesen und wie traurig, sich darin, satz- oder gestenweise, wiederzuerkennen.
Knallbunter Polyester
Die heute Fünfzehnjährigen, die in Leipzig und Umgebung wohnen und Lust auf Verkleidung und Rollenspiel verspüren, hat es in der vergangenen Woche, Anfang März, sämtlich auf das Messegelände der Buchmesse verschlagen. Sie mussten dafür kein Buch gelesen haben; und die Kolumnistin von nachtkritik.de konnte sich als Autorin ausgeben und, so verkleidet, beinah ungehindert Cosplayer-Schauen gehen.
Und in Hundertschaften schoben sie sich in die Straßenbahn Nummer 16, rafften ihre Reifröcke, zogen die Hörner ein, legten die Elfenohren an, um noch mitgenommen zu werden. Was hat man da sehen können! Kontaktlinsen in Pink, Perücken in Cyan, Wimpern, weiß wie Styropor! Plateauschuhe, Kniestrümpfe, Bustiers. Plüschoveralls, Plastikaugen, mit Gafferband verklebte Münder. Jungs als Mädchen, Mädchen als Jungs.
"Wenn ich mich zu jenen Tagen meiner Jugend zurückwende, kommt mir vor, als flögen sie in immer gleichen bleichen Fetzen von mir fort, ähnlich dem morgendlichen Gestöber benutzten Kreppapiers, das ein Eisenbahnreisender im Aussichtswagen hinter sich wegwirbeln sieht".
Keine Rede von "bleichen Fetzen" bei der cossenden Jugend: In knallbunten Polyester gepresst kleben sie aneinander in der Straßenbahn, wälzen sich dann, stets grüppchenweise, ausgestattet mit Schirmchen, Hüten, Umhängen und szeptergleichen Stöcken, aufs Messegelände, bleiben dann dort, meist schon im ersten überglasten Hauptraum, stehen, sitzen, liegen, um sich von der Strapaz zu erholen, die der Aufwand ihrer Verkleidung und die Anreise ihnen abverlangt.
Instagram-Nachruhm
Und dann geht es ans Posieren. In vorgegebenen Haltungen, die Gestik und Verhalten der Charaktere aus Manga, Anime, Computerspielen oder J-Pop nachstellen. Amu, Chii und Ichigo, sogar noch Super Mario und irgendwelche Furries. Allein oder in Gruppenformationen. Mit überzeichneten Unschuldsaugen oder mit gespielt erotischer Attitüde. Und Großpapa Baudrillard hätte seine Freude daran: das eigentliche Ereignis des Cosplay ist doch das Foto für die Zeit danach. Der Nachruhm auf Instagram.
Sie sind viele und sie schwitzen, sie blockieren die Wege in den Hallen, und manchmal sehen sie herzzerreißend unvorteilhaft aus in ihren Kostümen, aber ich bin jetzt out of character und muss zugeben: #cosplay #lbm15: so cute, soooo dope, nice work *–*.
Teresa Präauer ist Autorin und Zeichnerin in Wien. Sie erhielt 2012 für den Roman "Für den Herrscher aus Übersee" (Wallstein, TB Fischer) den aspekte-Literaturpreis für das beste deutschsprachige Prosadebüt. 2015 ist sie auf Lesereise mit ihrem aktuellen Roman "Johnny und Jean". In ihrer Kolumne Zeug & Stücke spürt sie den Einzelteilen nach, aus denen Theater sich zusammensetzt, und wird sich jeweils zu einem Begriff ihre Notizen machen.
kolumne teresa präauer
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