Medienschau: Standard – Vorwürfe gegen Wiener Josefstadt-Intendanten Herbert Föttinger

Ganz normales Gebrüll

Ganz normales Gebrüll

13. September 2024, Update 14./15 September 2024. Nach Gesprächen mit rund einem Dutzend aktueller und ehemaliger Angestellter des Wiener Theaters in der Josefstadt berichtet Der Standard über deren Vorwürfe gegenüber dem Intendanten Herbert Föttinger.

Mit Existenzvernichtung gedroht

Durch seinen Führungsstil erzeuge Herbert Föttinger, Schauspieler, Regisseur und seit 2006 Intendant des Hauses, eine "'permanente Angststimmung', indem er beispielsweise regelmäßig Mitarbeiter in Grund und Boden brülle, sie herabwürdige oder ihnen 'mit Existenzvernichtung' drohe", so die Zeitung.

Als Regisseur gebe Föttinger "alle Schritte und Bewegungen auf der Bühne vor". Wer Aspekte seiner Inszenierung hinterfrage, werde vor dem gesamten Team bloßgestellt. Ein langjähriger Josefstadt-Schauspieler beschreibt eine seiner Produktionen mit Föttinger dem Standard zufolge als "die schlimmste, die er je erlebt hat". Der Theaterdirektor habe auf ein Feedback von ihm einmal lautstark erwidert: "Du kannst jederzeit gehen, wenn du willst"; danach habe Föttinger nur gelacht. Demütigungen und Wutausbrüche auf Proben seien "ganz normal", sagte der Ensemble-Schauspieler dem Standard.

Verhaltenskodex ohne Unterschrift

Im Fall eines sexuell übergriffigen Verhaltens eines Schauspielers gegenüber einer Ankleiderin, auf das diese die Theaterleitung mehrfach hingewiesen habe, habe das Haus nicht adäquat reagiert. Die Mitarbeiterin habe das Theater mittlerweile verlassen, da sie zwar die Arbeitsstelle innerhalb des Betriebs habe wechseln können, aber dem Schauspieler weiterhin begegnen musste. Den Namen des Schauspielers nennt Der Standard nicht, "da es hier nicht um einen Einzelfall gehen soll, sondern um strukturelles Versagen".

In der Folge mehrfacher Beschwerden der betroffenen Mitarbeiterin, unterstützt auch vom Betriebsrat des Theaters, hätten drei Workshops zum Thema Gewaltprävention stattgefunden. Die Teilnehmenden hätten einen Verhaltenskodex erstellt, orientiert an Beispielen anderer Häuser. "Das Einzige, was noch gefehlt hat, war die Unterschrift der Direktion", zitiert Der Standard eine in den Fall involvierte Betriebsrätin.

Beim Treffen mit Herbert Föttinger und dem kaufmännischen Direktor sei es zum Eklat gekommen, der Intendant habe "gebrüllt und getobt", den Kodex als "lächerlich" bezeichnet und sich geweigert, ihn zu unterschreiben oder gar an Arbeitsverträge anzuhängen. "Wer als Künstler erfolgreich sein will, muss übergriffig sein", habe Föttinger das begründet, zitiert der Standard eine Teilnehmerin der Sitzung: "Wir sind einfach fix und fertig da rausgegangen."

Was allein zählt, ist künstlerischer Erfolg

Auch drei Jahre nach diesem Vorfall gebe es an der Josefstadt keinen Verhaltenscodex. In den Gesprächen, so Der Standard, sei immer wieder "der Wunsch nach Veränderung" laut geworden. Man wolle eine "moderne" Josefstadt, zitiert die Zeitung ein Ensemblemitglied, "in der die Werte, die wir von der Bühne herab predigen, auch gelebt werden". Unter Herbert Föttinger sei das schwer vorstellbar – "zu viel Macht liege in den Händen eines Mannes, der in seiner fast zwanzigjährigen Laufbahn als Direktor ein "System der Angst" etabliert habe".

Föttinger nutze seine Position bewusst aus, so eine ehemalige Mitarbeiterin. Der Schutz der eigenen Mitarbeiter:innen werde vernachlässigt, es zähle allein der künstlerische Erfolg. Die Strukturen in der Josefstadt begünstigen Machtmissbrauch und übergriffiges Verhalten eher als dass sie sie verhindern würden. Föttinger stehe hier in der Verantwortung: Es sei Aufgabe des Intendanten, ein sicheres Arbeitsumfeld zu gewährleisten, gibt Der Standard Forderungen aus den Gesprächen mit den Mitarbeiter:innen wider. Alle konkreten Vorwürfe haben die Schauspieler, Regieassistentinnen, Techniker, Ankleiderinnen und Maskenbildnerinnen, mit denen Der Standard eigenen Angaben zufolge über Monate hinweg kommuniziert hatte, in eidesstattlichen Erklärungen bestätigt.

Entschuldigung des Intendanten

In einem internen Schreiben, das den beiden recherchierenden Journalistinnen Helene Dallinger und Anna Wielander vorliege, entschuldige sich der Intendant bei seinen Mitarbeiter:innen. "Ich muss an meinem Verhalten arbeiten", heiße es da. Seine Wutausbrüche und Drohungen rechtfertige Föttinger damit, dass er "für das Theater brenne". Deshalb sei er mitunter "hochemotional", so der Standard. Zugleich erwähne die Direktion, dass man "erst kürzlich einen Verhaltenskodex unterschrieben" habe – am 9. September 2024 und mithin, an dem Tag, an dem die Zeitung die Leitung des Theaters mit den Vorwürfen der Mitarbeiter:innen konfrontiert habe, so Der Standard.

Für Veränderungen an seinem Verhalten und am Theater in der Josefstadt hat Herbert Föttinger noch zwei Jahre Zeit: Ab der Spielzeit 2026/27 übernimmt die derzeitige Intendantin des Landestheaters Niederösterreich, Marie Rötzer, das Haus.

Update 14./15. September 2024: Auf seiner Website hat das Theater eine E-Mail Herbert Föttingers an die Belegschaft veröffentlicht und ferner Statements Föttingers und des Geschäftsführers Alexander Götz zu spezifischen Vorwürfen in der Berichterstattung. Auch Thomas Drozda, Stiftungsvorstandsvorsitzender der Theater in der Josefstadt-Privatstiftung, meldet sich in einer Stellungnahme zu Wort. Und mittlerweile hat auch das Ensemble des Theater eine Stellungnahme abgeben, in der sie sich hinter Föttinger stellen: "Wir wollen gemeinsam mit Direktor Herbert Föttinger, einem aufopfernden und leidenschaftlichen Theatermenschen, in den nächsten zwei Jahren diese Schritte der Veränderung gehen und diese Krise als große Chance sehen."

(Der Standard / eph)

Update 16. September 2024. In einem Bericht der Presse weist die Ensemblevertretung des Theaters in der Josefstadt die Anschuldigungen gegen Herbert Föttinger zurück und wirft dem Standard eine "einseitige Darstellung" der Verhältnisse vor.

Kommentare  
Medienschau Josefstadt Wien: Frage
Ist der beschuldigte Schauspieler noch im Ensemble ?
Medienschau Josefstadt Wien: Ins Kittchen
Ja, aber alle jene, die noch nie etwas von Unschuldsvermutung gehört haben und, hinter einem Pseudonym versteckt, für unbewiesene Beschuldigungen eine Entlassung fordern, kommen ins Kittchen.
Medienschau Josefstadt Wien: Antwort
Ja, der Schauspieler ist noch im Ensemble.
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