Presseschau vom 16. Oktober 2015 – Die Süddeutsche Zeitung unterscheidet zwischen guten und schlechten Kunstprojekten, die sich mit Flucht und Flüchtenden auseinandersetzen
Kein Freifahrschein für kitschige Opfer-Pietas
Kein Freifahrschein für kitschige Opfer-Pietas
16. Oktober 2015. In der Süddeutschen Zeitung untersucht Jörg Heiser das Phänomen des Helfersyndroms unter Künstlern mit durchaus egoistischen Interessen: "Da draußen gibt es in nennenswertem Umfang Leute, die gebildet sind, künstlerisch tätig, sich für sozial engagiert und mitfühlend halten – und nicht fragen, wie sie helfen können, sondern mitteilen, dass man ihnen die Gelegenheit geben soll, sich beim 'Helfen' gut zu fühlen." Das sei kein Einzelfall, obwohl Heiser dann vor allem gelungene Beispiele aufführt: das von Künstlern entwickelte Refugees Phrasebook, den Berliner Refugee Club Impulse, "der Theaterprojekte verwirklicht" bis zum Augsburger Grandhotel Cosmopolis, "wo Asylsuchende und Hotelgäste sich auf Augenhöhe begegnen".
Dabei sei es "völlig legitim, zu dokumentieren, künstlerisch zu bearbeiten im Experimentierraum zwischen Fakt und Fiktion, um auf die Umstände aufmerksam zu machen, deren Reflexion zu ermöglichen". Das sei aber kein "Freifahrschein für kitschige Opfer-Pietas auf Bühne, Leinwand oder im Digitalen": "Es sollte darum gehen zu verhindern, dass das, was Hilfsorganisationen tagtäglich tun, als bloßer Rekrutierungsraum der künstlerischen Ambition dient. Wenn ich mein zivilgesellschaftliches Engagement beteuere, nur um mein labiles Künstler-Ego zu stabilisieren, dann hat das die Psychostruktur eines Liebesverrats. Ich tue so, als wäre mir die Beziehung zum anderen heilig - um sie bei nächster Gelegenheit als Seelenbalsam zu missbrauchen."
Wie zum Beispiel das Zentrum für politische Schönheit, dessen Aktion Die Toten kommen den Beigeschmack hatte, "es gehe vor allem darum, vor den Symbolbauten von Regierung und Parlament Fotomaterial für soziale Netzwerke zu generieren". Für praktisch bei der Unterscheidung von hilfreicher und hilfloser Kunst hält Heiser dabei die zehn Punkte der australischen, von Flüchtenden getragenen Hilfsorganisation Rise, die so auch im deutschsprachigen Gebiet anwendbar sein dürften.
(geka)
Was die Projekte mit und über die Flüchtenden taugen, die die Theater gerade auf die Beine stellen, untersucht gerade auch nachtkritik.de-Redakteurin Sophie Diesselhorst in einer Serie.
Wir halten Sie auf dem Laufenden
Wir sichten täglich, was in Zeitungen, Onlinemedien, Pressemitteilungen und auf Social Media zum Theater erscheint, wählen aus, recherchieren nach und fassen zusammen. Unterstützen Sie unsere Arbeit mit Ihrem finanziellen Beitrag.
mehr medienschauen
meldungen >
- 04. Mai 2024 Deutsche Filmpreise für "Sterben" und Corinna Harfouch
- 04. Mai 2024 Russland: Theaterkünstlerinnen weiter in Untersuchungshaft
- 03. Mai 2024 12. Festival Politik im Freien Theater läuft 2025 in Leipzig
- 03. Mai 2024 Kleist-Preis 2024 für Sasha Marianna Salzmann
- 03. Mai 2024 Wiener Theatermacher Karl Schuster gestorben
- 03. Mai 2024 Musterklage gegen Salzburger Festspiele abgewiesen
- 30. April 2024 Ehrung für Ulrich Matthes
- 29. April 2024 Theaterneubau in Rostock begonnen
nachtkritikcharts
dertheaterpodcast
nachtkritikvorschau
neueste kommentare >