Presseschau vom 25. und 26. Juli 2011 – Jean Ziegler hat seine Rede für Salzburg doch noch geschrieben
Für einen Aufstand des Gewissens
Für einen Aufstand des Gewissens
26. Juli 2011. Bereits gestern äußerte sich der Globalisierungskritiker Jean Ziegler im Interview mit der Süddeutschen Zeitung über seine Ein- und Ausladung zu den Salzburger Festspielen. Heute drucken Frankfurter Rundschau und Berliner Zeitung seine Rede, die er morgen zwar nicht in Salzburg halten wird, die aber als 16-seitiges Buch für 2,50 Euro im Salzburger Ecowin Verlag erscheint. In einem Kommentar in der FR kritisiert Peter Michalzik Zieglers Schwarz-Weiß-Bild.
Wegen des Zusammenbruchs der Finanzmärkte seien die Hedgefonds und andere Groß-Spekulanten auf die Agrarrohstoffbörsen umgestiegen. Mit Termingeschäften, Futures, etc. haben sie die Grundnahrungsmittelpreise in astronomische Höhen getrieben. "Die Tonne Getreide kostet heute auf dem Weltmarkt 270 Euro. Ihr Preis lag im Jahr zuvor genau bei der Hälfte." "Was ist die Folge? Weder Äthiopien, noch Somalia, Dschibuti oder Kenia konnten Nahrungsmittelvorräte anlegen - obschon die Katastrophe seit fünf Jahren voraussehbar war."
Es gebe aber keinen objektiven Mangel, also keine Fatalität für das tägliche Massaker des Hungers, das in eisiger Normalität vor sich gehe. "Ein Kind, das an Hunger stirbt, wird ermordet." Das Welternährungsprogramm, das die humanitäre Soforthilfe leisten sollte, habe am 1. Juli jedoch nur einen Drittel seines Sonderbeitrags von den reichen Geberländern erhalten. Das Budget des World-Food-Programm habe sich seit 2008 halbiert. "Warum?", fragt Ziegler, und antwortet, dass die Zahlungen zur Wiederbelebung des Interbanken-Kredits, zur Rettung der Spekulations-Banditen Banken für humanitäre Soforthilfe kaum Geld übrig gelassen haben.
"Viele der Schönen und der Reichen, der Großbankiers und der Konzern-Mogule dieser Welt kommen in Salzburg zusammen. Sie sind die Verursacher und die Herren dieser kannibalischen Weltordnung", so Ziegler in seiner nicht gehaltenen Rede. Dabei sei es gleichgültig, welcher Mensch an der Spitze des Konzerns stehe. Es geht nicht um seine Emotionen, sein Wissen, seine Gefühle. "Die total entfesselte, sozial völlig unkontrollierte Profitmaximierung ist ihre Strategie."
Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung, das gestern erschienen ist, beschreibt Ziegler, dass er das für den wahren Grund für seine Ausladung aus Salzburg hält. "Die Salzburger Festspiele sind eine heilige Handlung, die aber sündhaft teuer ist. Als die Hauptsponsoren Nestlé, UBS und Credit Suisse hörten, dass ihre Großkunden 30 Minuten lang mir zuhören müssten, ohne aus dem Saal rennen zu können, war das für die eine Horrorvorstellung. Die haben dann so lange Druck ausgeübt, bis mich die Landeshauptfrau wieder ausgeladen hat."
Er sei zornig, aber nicht auf Personen, sondern auf die Strukturen und die Unvernunft. "Was in Afrika passiert, ist eine Katastrophe mit Ansage. Es herrscht seit fünf Jahren Dürre, aber erst jetzt, wo die Menschen sterben, berichten die Medien." Er hoffe auf eine neue planetarische Zivilgesellschaft und auf einen Aufstand des Gewissens. "Wenn der nicht kommt, geht die Demokratie vor die Hunde."
In der Frankfurter Rundschau kritisiert Peter Michalzik das Schwarz-Weiß-Bild, das Ziegler male. "Hier der teuflische 'neoliberale Profitwahn', dort die moralische Gewissheit des großen Mahners. Er hat nicht Recht, wenn er hier das Böse und Gute so eindeutig trennt und er selbst dabei so strahlend auf der Seite des Guten steht."
(sik)
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Existenzen wie Ihnen habe ich es zu verdanken, dass ich grundsätzlich keine mit Palmöl versetzten Schokoriegel konsumiere. Zum einen möchte ich nicht in eine pyknische Lebensform übergehen und zum anderen bin ich gegen die Ausbeutung von Ressourcen, die anderen ihre Lebensgrundlage rauben. In diesem Fall handelt es sich nur um den indonesischen Regenwald und den Orang-Utan, doch es gibt weitaus schwerwiegendere Vorkommnisse, wo es um die nackte Daseinsfristung geht. Dass ich das trotz meiner Theaterbesuche nicht vergesse, habe ich Personen wie Ihnen und Ziegler zu verdanken. Trotzdem habe ich heute Abend eine Tiefkühlpizza verzehrt, obwohl ich weiß, dass Nestlé hierbei inzwischen Weltmarktführer ist und es sich nicht um ökologisch korrektes Futter handelt. An Ihrem moralischen Gewicht liegt es, Herr Steckel, dass sich in meiner Ruhe gelegentlich doch ein Lüftchen bewegt.