Presseschau vom 26. Februar 2017 – Die Süddeutsche Zeitung schaut, wie es in Altenburg um den Rassismus bestellt ist
Das Land hat ein Problem
Das Land hat ein Problem
26. Februar 2017. Für die Süddeutsche Zeitung (25.2.2017) ist Mounia Meiborg nach Altenburg in Thüringen gereist, um selbst nachzusehen, was an dem Vorwurf dran sei, die thüringischen Rassisten hätten vier "ausländische" Künstlerinnen aus dem Theater und aus Altenburg vertrieben.
Sie schreibt: Nach einem Besuch in Altenburg lasse sich festhalten: Niemand "flüchtet", wie die Bild-Zeitung geschrieben hatte. Trotzdem habe die Stadt ein Problem, "das in manchen Teilen Deutschlands im Jahr 2017 zum Normalzustand geworden ist". Anlass für die aktuelle Aufregung jedenfalls sei, dass "Ouelgo Téné, ein Afrikaner", die Titelrolle in Carl Zuckmayers "Hauptmann von Köpenick", spiele. "Dass dieser urdeutsche Antiheld nun von einem schwarzen Schauspieler dargestellt wird, gefällt nicht jedem."
Flüchtlinge
Vielleicht müsse man, schreibt Meiborg weiter, "um diese Geschichte zu erzählen, mal wieder mit den Flüchtlingen anfangen". 1300 Menschen seien in die Stadt mit 33.000 Einwohnern gekommen. Relativ viel mehr als etwa nach Berlin. "Aber keine einzige Turnhalle musste deswegen geschlossen werden. Im Landkreis ist die Abwanderung das größte Problem; die Bewohner hier sind die ältesten in ganz Thüringen". Doch in einer Stadt, "in der Ausländer bisher vor allem Russlanddeutsche waren", täten sich "manche schwer mit den dunkelhaarigen Zugezogenen".
Doch der Aufruf des Pegida-nahen "Bürgerforums" vom Oktober, das Theater zu boykottieren, "nachdem Schauspieler bei einer Bürgerversammlung Partei für Flüchtlinge ergriffen hatten", sei wirkungslos geblieben. Andererseits habe im Herbst 2015 in Altenburg die größte Demonstration des neonazistischen Thügida-Bündnisses stattgefunden,"mit mehr als 2000 Teilnehmern. Tags darauf brannte eine Flüchtlingsunterkunft."
Internationales Ensemble
Schauspieldirektor Bernhard Stengele habe 2012 ein "internationales Ensemble" mitgebracht. Stengele meine, die Stimmung in Altenburg habe sich stark verändert. 2014 habe er sechs Wochen mit Schauspielern aus Ouagadougou geprobt. "Als er ein Jahr später das Projekt fortsetzen wollte, ging das kaum noch. Eine Schauspielerin musste zu jeder Probe abgeholt werden, weil sie Angst hatte, allein die Wohnung zu verlassen."
Vier Künstler des Ensembles ein deutscher, in Sri Lanka geborener Sänger, Schauspielerinnen aus der Türke und Griechenland und Ouelgo Téné, der "Hauptmann", hätten ihr Engagement vorzeitig beendet oder würden im Sommer Thüringen verlassen. Trotzdem, darauf weise der Intendant Kay Kuntze hin, seien nach wie vor 21 von 22 Tänzerinnen des Balletts "aus dem Ausland".
Alltagsrassismus
Weiter sage Kay Kuntze: "Bei Ensembleabgängen war Fremdenfeindlichkeit bisher nie ein Thema." Dass sich dies geändert habe, sei besorgniserregend. "Wenngleich drei der vier auch andere Gründe für ihren Weggang genannt hätten." Der Alltagsrassismus traue sich "zunehmend aus der Deckung" und und verändere die Gesellschaft.
Auch in Berlin, Dresden, Wien und Chemnitz, scheibt Meiborg, habe es in den letzten Monaten rechte Attacken auf Künstler gegeben. Vor Ort, in Thüringen allerdings sei die Diskussion "etwas anders" verlaufen. Weil keiner der Darsteller eine Strafanzeige gestellt habe, hätten lokale Zeitungen gefragt, "ob es die Anfeindungen überhaupt gegeben habe".
Ouelgo Téné selbst berichtet, wenn er gefragt werde, dass er "angegriffen" wurde, "oft verbal, einmal körperlich". Er habe manchmal Angst. Das sei aber nicht der Hauptgrund, warum er gehe. "Er brauche eine Pause, sagt er. Und erzählt im nächsten Moment von Altenburger Theatergängern, die ihm nach der Vorstellung gratulieren."
Zu seiner Besetzung in der "Der Hauptmann von Köpenick" gebe es online "hässliche", zum Teil "offen rassistische" Kommentare. Ein Altenburger Stadtrat habe gesagt: "Ich weiß nicht, ob es gut ist, dass in einer solch aufgeheizten Stimmung unbedingt ein Farbiger den Hauptmann von Köpenick spielen muss."
(jnm)
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