Medienschau: SPIEGEL, Standard, SZ, ZEIT, WDR – Zur Kritik an Anna Netrebko
Die reine Weste
Die reine Weste
2. April 2022. Die russische Sopranistin Anna Netrebko sieht sich von verschiedenen Seiten starker Kritik ausgesetzt. Während im Westen bereits Konzerte von ihr abgesagt wurden, verlor sie nun auch in ihrem Heimatland einen Auftritt. Von staatlicher russischer Seite wurden ihre Aussagen zu Russlands Krieg gegen die Ukraine missbilligend kommentiert.
Einlassungen und Ausladungen
Nebtrebko hatte sich nach dem Beginn des Krieges am 24. Februar zunächst zögerlich gezeigt, dann am 30. März 2022 in einem Statement dagegen ausgesprochen. Daraufhin lud auch ein russisches Haus sie aus: Das für den 2. Juni 2022 geplante Konzert der 50-Jährigen könne nicht stattfinden, teilte die Oper im sibirischen Nowosibirsk am Donnerstag mit. Grund sei eine Mitteilung der Künstlerin, in der sie die Handlungen des russischen Staates verurteile. "Das Leben in Europa und die Möglichkeit, auf europäischen Bühnen aufzutreten, sind für sie wichtiger als das Schicksal der Heimat", heißt es in der Mitteilung des Staatlichen Akademischen Theaters für Oper und Ballett. Dies berichten diverse Medien, unter anderem der SPIEGEL (1.4.2022).
"Wir sind überzeugt, die Wahrheit ist auf unserer Seite. Uns sollte es keine Angst machen, dass es Kulturschaffende gibt, die sich von ihrer Heimat abwenden. Unser Land ist reich an Talenten, und an die Stelle der Stars von gestern kommen andere mit einer klaren Haltung als Bürger", heißt es in der Erklärung des Theaters weiter.
Der Standard (1.4.2022) greift die Äußerungen des russischen Parlamentspräsidenten Wjatscheslaw Wolodin dazu auf, der die Künstlerin ebenfalls öffentlich für ihre Einlassungen kritisiert hatte: Im Unterschied zu Künstlern, die russische Soldaten unterstützten, gebe es auch solche, die in andere Staaten geflohen seien und nun in warmen Gefilden abwarteten, sagte Wolodin laut dem Standard. "Das betrifft etwa diese Anna Netrebko". Mitglieder der Kreml-Partei "Einiges Russland" forderten gleichzeitig, dass alle jene, die das Volk verraten hätten, Führungsposten in staatlichen Kultur-, Bildungs- und Gesundheitsinstitutionen abgeben müssten, erläutert die österreichische Zeitung.
Zögerlichkeit auch im Westen
In Russland habe Putin den Begriff "Krieg" untersagt, erinnert Reinhard J. Brembeck in der Süddeutschen Zeitung (1.4.2022) und verweist auf westliche Veranstalter, die auch nach Anna Netrebkos Positionierung zögerlich seien, was künftige Engagements angeht. Doch: Sowohl die Berliner Staatsoper als auch die New Yorker Metropolitan Opera erklärten, erst mit ihr sprechen zu wollen, bevor sie über weitere Engagements entscheiden, berichtet der Autor und zitiert den Direktor der New Yorker Met, Peter Gelb: "Wenn Anna zeigt, dass sie sich ernsthaft, komplett und langfristig von Putin distanziert hat, dann wäre ich zu einer Unterhaltung bereit."
"Dass die Diva sich jetzt, da Wladimir Putin Krieg gegen die Ukraine führt, nach wie vor nicht klar von ihm distanziert, könnte ihrer Karriere allerdings teuer zu stehen kommen", schreibt Christine Lemke-Matwey in einem längeren Debattenbeitrag in der ZEIT (1.4.2022). Dass sie mit Putin heftig fraternisiert habe in der Vergangenheit, sei kein Geheimnis gewesen. "Vielleicht lüftet sie aber auch gerade ihre Maske. Die Maske der ach so unpolitischen Starkünstlerin, die bloß singen und ein lustiges Leben führen will zwischen St. Petersburg, Wien und New York", schreibt die Autorin. Netrebko habe mit "einiger Verspätung" auf den Krieg reagiert. Gleichzeitig sei "viel Heuchelei mit im Spiel", wenn westliche Kulturinstitutionen sich nun von ihr lossagten. Dies hätten diese früher tun können, und "der Verdacht liegt nahe, dass es etlichen bloß um die eigene reine Weste geht", kommentiert Lemke-Matwey. Andererseits könne man kann nicht sein Leben lang von Unterdrückung, Ausbeutung und Zerstörung singen und reale Schlachtfelder vor der eigenen Haustür negieren. "Der Musikbetrieb wird in Zukunft genau hinsehen müssen, mit wem er es zu tun hat, woher seine Gelder fließen und wie viel moralischen Druck er sich leisten will", resümiert die Autorin.
(K)ein Konzert in der Elbphilharmonie?
Der WDR (1.4.202) greift ein Statement von Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda auf, der sich in der Sache klar positioniert. Dieser spricht sich gegen gegen den für September geplanten Auftritt von Anna Netrebko in der Hamburger Elbphilharmonie aus. Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine war das eigentlich für Anfang März geplante Konzert verschoben worden. Er glaube nicht, dass es gut wäre, wenn dieses Konzert stattfindet, sagte Brosda.
So schnell kann's gehen
Wie der Standard meldet (15.4.2022), wird Anna Netrebko bereits am Freitag, 22. April, in der Oper von Monte Carlo in der Titelrolle von Giacomo Puccinis Manon Lescaut an der Seiet ihres Mannes Yusif Eyvazov zu sehen und hören sein. Netrebko springt für die erkrankte Maria Agresta ein. Außerdem singt sie im Sommer bei den Festspielen von Verona die Titelrollen in "Aida" und "Turandot".
(SPIEGEL / Standard / Süddeutsche Zeitung / ZEIT / WDR / sdre)
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