Das Shiwago-Projekt - Pasternak, Feltrinelli und Dr. Shiwago
Die Revolution, die wir liebten
von Hartmut Krug
Konstanz, 9. Januar 2009. Die Beatles singen "A day in the life", und ein Mann – schwarze Hornbrille, Schnauzer, hohe Stirn, ernster Blick – gibt vor seinem bühnenhohen Foto und der Jahreszahl 1945 den Text seines Aufnahmeantrages für die Kommunistische Partei Italiens wieder. Trocken klingen die Worte, ernst ist der Sinn: Giangiacomo Feltrinelli, Sohn einer der reichsten Familien Italiens, will den Kampf der Arbeiterklasse gegen den Kapitalismus unterstützen.
Er hat mit den Arbeitern und Bauern im Zuge der Herrichtung des Gartengrundstücks seiner Familie eine andere Welt kennengelernt und mit dem "Kommunistischen Manifest" sowie mit Lenins "Staat und Revolution" danach auch die theoretischen Erklärungen dafür erfahren. Assistiert von seiner deutschen Frau Inge, erzählt er von seiner Biblioteca Feltrinelli, in der er Quellen, Materialien und Dokumente der internationalen Arbeiterbewegung gesammelt hat, und von seiner Verlegertätigkeit. "Besorg mir das Manuskript", sagt er dann, als er von einem Roman des sowjetischen Schriftstellers Boris Pasternak, von "Doktor Shiwago" erfährt.
Individuelle Lebens- und Liebesschicksale
Dessen Figuren treten nun in den nächsten Szenen in einem szenischen Kaleidoskop auf: in Konstanz zunächst ein historisches Erklärtheater, das sich durch individuelle Lebens- und Liebesschicksale im gesellschaftlichen Strudel der Russischen Revolutionen seit 1905 kämpft. Auch Pasternak wandert durch das Geschehen, erklärt, kommentiert und fragt. Und immer aufs Neue wieder wird in die einzelnen Episoden aus dem Roman Feltrinellis Lebenslauf eingeblendet, werden Haltungen und Handlungen der Romanfiguren konfrontiert und parallelisiert mit denen eines sich radikalisierenden Feltrinelli, der trotz heftiger sowjetischer Proteste Pasternaks Roman 1957 erstmals veröffentlicht hatte.
Feltrinellis Suche nach einem Gesellschaftsentwurf für seine Zeit erscheint dabei vor dem Hintergrund der in Pasternaks Roman verdichteten russischen Revolutionserfahrungen. Immer wieder sucht Regisseur Mario Portmann in Konstanz nach Parallelitäten zwischen den Geschichten der Romanfigur Dr. Shiwago und den Biografien Pasternaks und Feltrinellis. Ob es die Verleihung des Nobelpreises ist, den Pasternak nicht annimmt, nicht annehmen kann, und die in einer sehr schönen Szene gegen das Scheitern eines Lebensabschnittes von Shiwago gesetzt wird. Oder ob es um Feltrinellis politische Radikalisierung und schließlich seinen Gang in den Untergrund geht. Doch stets werden die Parallelen nur behauptet und dabei zugleich nach Utopien für heute gesucht, die jedoch gerade Feltrinellis Leben kaum hergibt.
Verschiedene Zeit- und Spielebenen
Mario Portmann, der auch die Bühnenfassung erstellte, setzt dabei die verschiedenen Zeit- und Spielebenen unentwegt gegeneinander und versucht gleichzeitig, das personen- und ereignisreiche Pasternak'sche Opus nachzuerzählen. Wer die Verfilmung kennt, wird deren Leidenschaft und Sinnlichkeit vermisssen. Wer jedoch weder den Film gesehen hat noch eine solide zeitgeschichtliche Bildung mitbringt, hat es schwer. Denn obwohl die Aufführung vor allem doziert und Fakten, ja, selbst die Romangeschichten, mehr demonstriert als spielt, droht schon allein in der Ereignisfülle des Romans ständig der Überblick abhanden zu kommen.
Auf einer leeren Bühnenschräge, die in der Mitte einen mit Wasser bedeckten Gang freilässt, stehen und gehen die Schauspieler. Zuweilen klappen sie auch Bodenluken auf, um aus ihnen hinaus oder in sie hinab zu steigen. Schön immerhin, wie durch die getrennte Bühne die Dreiecksbeziehung zwischen Shiwago, seiner Frau Tonja und Lara in Simultanszenen gezeigt wird, indem die Figuren, obwohl an verschiedenen Orten, auch direkt aufeinander reagieren. Insgesamt aber wird, gegen die Opulenz der Bilder und die ausgestellte Leidenschaftlichkeit der Figuren im Film, auf der Bühne auf eine szenische Sparsamkeit und eine zurückhaltende, fast nüchtern realistische Spielweise gesetzt.
Harte Arbeit für alle
Immerhin geben die Darstellerinnen der beiden weiblichen Hauptrollen (Kristin Muthwill und Susi Wirth) ihren Figuren eine menschliche Präsenz, die das Inszenierungskonzept etwas aufsprengen kann. Doch viele der anderen Figuren bleiben blass. Immer wieder gibt es den, im doppelten Wortsinn, gleichen szenischen Vorgang: die Darsteller steigen von hinten auf die Bühne, gehen nach vorn und präsentieren sich und ihre Informationen dem Publikum. Vier lange, viel zu lange Stunden lang. Dass alle Schauspieler bis auf den Darsteller Shiwagos, dem Ingo Biermann wenig Charisma, aber viel nachdenkliche Erschöpfung mitgibt, mehrere Rollen übernehmen, erleichtert dem Publikum den Überblick ebenfalls nicht. So ist dieses ambitionierte Projekt vor allem eines: harte Arbeit für alle, auch für die Zuschauer.
Die Inszenierung, die wie ein theatraler Volkshochschulkurs beginnt und vor der Pause in ihrer eigenen thematischen Ereignisfülle zusammenzubrechen droht, spielt sich zwar im zweiten Teil ein wenig in ihren eigenen Rhythmus hinein. Besonders, wenn Pasternaks Poesie erwacht, wird der Abend lebendig. Doch als Projekt, das zugleich vom Autor, von dessen Figuren und vom Leben Feltrinellis erzählen will, kann es insgesamt nicht überzeugen. Vor allem, weil die Person Feltrinellis zu blass bleibt, sowohl in ihrer inneren Motivation als auch in ihrer Präsenz als Bühnenfigur.
Wenn der Abend mit Dokumentaraufnahmen endet, in denen die Frage gestellt wird, ob der Tod Feltrinellis an einem Hochspannungsmast bei Mailand ein Unfall während des Versuchs war, diesen Mast zu sprengen oder ob doch die Faschisten dabei ihre Hände im Spiel hatten, so ist dies keine Frage, aus deren Antwort wir noch Antworten für heute ableiten könnten, und erst recht nicht aus dem Leben und Handeln Feltrinellis, wie es im Shiwago-Projekt vermittelt wird. Und doch: insgesamt ein bemerkenswertes Projekt mit einem weitgehend homogenen und beachtlichen Ensemble.
Das Shiwago-Projekt
Bühnenfassung nach "Senior Service" von Carlo Feltrinelli
frei nach Motiven aus Doktor Shiwago von Boris Pasternak
Inszenierung: Mario Portmann, Dramaturgie: Gabriele Wiesmüller, Musik: Ralf Schurbohm, Bühne: Stefan Testi, Kostüme: Silvia Albarella.
Mit: Ingo Biermann, Thomas Ecke, Frank Lettenewitsch, Kai-Peter Gläser, Heimo Scheurer, Armin Köstler, Theresa Berlage, Susi Wirth und Kristin Muthwill.
www.theaterkonstanz.de
Zuletzt sahen wir in Konstanz das Stück Gehen wir, der Wagen wartet von Jurij Klavdiev in der Regie von Felix Strasser.
Kritikenrundschau
Mario Portmanns "fulminantes" "Shiwago-Projekt" in Konstanz sei eine "kluge Verbindung aus Motiven des Schiwago-Romans und den Leben von [Giangiacomo] Feltrinelli und Boris Pasternak selbst", meint Brigitte Elsner-Heller in der Thurgauer Zeitung (12.1.2009). Man solle "die konzentrierte Ruhe mitbringen, die Mario Portmann in jede Szene, in jedes Bild gelegt hat. Als hätte er die Bilder freigestellt, wird alles wert, im Fokus zu stehen." Jede "Bewegung, jeder Satz und dessen Klang", die Lichtstimmung im Raum, die "oft schwer zu identifizierende, dennoch mit Farbe versehene Klangcollage", all dies habe "Tiefgang". Was auch für die Liebesgeschichte zwischen Juri und Lara gelte: "Wie sich die beiden annähern, wie mit Ingo Biermann und Susi Wirth zwei Menschen entworfen werden, die ganz Verzweiflung, ganz Liebe sind, das ist grosses Theater."
Auf der website des Konstanzer Südkuriers (13.1.2009) schreibt Wolfgang Bager: Regisseur Mario Portmann schaffe mit seinem Shiwago-Projekt "das, was die Wirtschaft einen Mehrwert nennen würde". Aus der literarischen Dreiecksgeschichte - ein Arzt zwischen zwei Frauen – werde "ein Kräftedreieck, bestehend aus dem Dichter Pasternak, seiner literarischen Figur Shiwago und Pasternaks Verleger Feltrinelli". Am Anfang gebe es Verwirrung, will die Schauspieler in mehreren Rollen aufträten. Das löse sich rasch. Wie sich bei den "so unterschiedlichen drei Protagonisten Spiegelungen und Parallelen entwickeln", gebe der Inszenierung eine "Spannung", die knapp vier Stunden "geradezu vorbeifliegen" lasse. "Revolution und Individuum, Herz und Verstand, Mann und Frau, Politik und Privatheit, Zwang und Freiheit, darum geht es immer". Und immer seien es "die Frauen, die (...) auf der Strecke bleiben". Portmann, der sich nicht als Autor verstehe, habe ein "gewaltiges literarisches Bühnenwerk neu erschaffen", das er "äußerst packend in Szene" setze. "Dreigeteilt in dieser magischen Dreierkonstellation auch die Bühne", mehr sei nicht nötig, "um Gegensätze, feindliche Lager, Unüberbrückbarkeiten, Schützengräben, Abstürze, Heimat und Aufbruch" zu "bebildern". Die Darsteller fügten sich "als perfekte dritte Dimension in diesem ehrgeizigen Projekt", eine "Ensembleleistung, die weit über die normalen Möglichkeiten eines Stadttheaters dieser Größenordnung hinausgeht".
Helmut Voith schreibt in der Schwäbischen Zeitung (13.1.2009): Mit Mario Portmanns "Shiwago-Projekt" sei das Theater "über sich hinausgewachsen". Dreidreiviertel Stunden spiele "das Ensemble packendes, vielschichtiges Theater" und mache damit das "eindimensionale berühmte Filmmelodram vergessen".
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(Siehe dazu Kommentar Nr.4. Wir haben die entsprechende Stelle inzwischen korrigiert - Die Redaktion)
carlo feltrinelli und ich haben an der premierenfeier jedenfalls sehr wohl das gefühl gehabt, das das leben gg. feltrinelli`s sehr viel wert war, um in dieser inszenierung beachtung zu finden.
üben sie sich angesichts tatsächlich geschichtsrelevanter personen, welche auch heute noch in der realität eine rolle spielen, bitte, in bescheidenheit und ihrer unwissenheit.
ein rat sei mir erlaubt: ihr name spielt in der theaterlandschaft keine rolle, da sie sich als regisseur und sänger ausgeben, ist das verwunderlich, da man ja eigentlich bei ihrem anspruch an die leistungen anderer davon ausgehen muß, dass sie eine größe sein müßten. dem scheint aber nicht so zu sein, da ich ihren namen nur auf einer mäßigen homepage entdecke, aber nicht im zusammenhang mit tollen theatralischen ereignissen.was mich dazu bringt, zu sagen : zeigen sie erst mal was, über das gesprochen wird und sprechen sie nicht über etwas, was sie noch nicht gezeigt haben.
ciao
Also: es war die Ehefrau und nicht die Mutter.
(Siehe dazu Kommentar Nr.2. Wir haben die entsprechende Stelle inzwischen korrigiert - Die Redaktion)
da mir der herr krug völlig unbekannt ist, habe ich natürlich infos eingeholt und bin auf die homepage eines thüringischen h. krug gelangt, mit welchem ich auch schon telefoniert habe und sich herausgestellt hat, das dieser des öfteren mit dem anderen das problem der verwechslung teilt. dem bin ich aufgesessen. dafür möchte ich mich auch entschuldigen. ungebrochen bleibt mein zorn über die sehr, durch welche begleitumstände auch immer, subjektiv extrem eingefärbte "kritik". es interessiert mich nicht, wie lange herr krug reisen mußte und es interessiert mich nicht, wie geschafft oder nicht er war. es interessiert ihn ja auch nicht, wie hart andere leute arbeiten, oder ob die oma eines schauspielers verstorben ist, oder oder. außerdem weiß ich inzwischen, dass er darüber hinaus keinen guten ruf in der professionellen theaterszene genießt.
der text strotzt vor arroganz und besserwisserei und entbehrt jedweden versuches, sich einzulassen und das sollte doch wenigstens der versuch des gefallenen engel des lichtes sein. aber deshalb ist er was er ist.
wie gesagt, portmann hat recht, wahrscheinlich hat herr krug hart gearbeitet. und er steht ziemlich allein im wald derer die auch sehr hart arbeiten. fragen und kritik sind ja normal, theater ist so, aber herrn krug muß ich dann schon fragen, was er denkt, wer er sei und wie er seinen beruf deutet. vielleicht macht er ihn schon zu lange und vielleicht fehlt ihm selbst ein wenig sonne im leben.
ich bin gern bereit, darüber zu debattieren, aber tun sie mir einen gefallen : schicken sie demnächst ausgeruhte und wache kollegen zu den premieren. das hilft allen. verzeihen sie mir die polemik, aber ich habe erstens noch nie auf eine kritik reagiert, da diese zum job gehören, aber diesmal ist mir der kragen geplatzt und mir fehlt da auch die feine klinge. mir bleibt nur zu sagen: arbeiten sie härter, dann ahnen sie vielleicht, was an den theatern geschieht und: mario portmann ist ein regisseur, von dem viele theater nur träumen dürfen, beste grüße thomas ecke
als Intendant muss man sich in Debatten zurückhalten -und das ist gut so. Gilt aber nicht immer: Ich freue mich aber, dass Hartmut Krug ans andere Ende der Republik gereist ist, weil er meine Arbeit und die der Ensembles seit Nordhausen und Kassel kritisch und klug, stets fair rezensiert hat.Da muss und darf man unterschiedlicher Auffassung sein. Ich freue mich insbesondere, dass unser Schiwago so breit rezipiert, so erfolgreich inszeniert und das Ensemble von allen, auch von Krug gewürdigt wird. Sicher mag es vermessen sein, an einem Abend das letzte Jahrhundert erzählen zu wollen und wenn wir jmd. suchen, der sich die Trias gewünscht hat, die von Pasternak, Feltrinelli und Schiwago - ich wars und bereue nix. Wenn wir einen suchen, der sie als Kritiker erklärt, vgl. Wolfgang Bager im Südkurier vom 12.1. 2009 Schwach werden, darf auch der Schauspieler, der sich nicht genug gewürdigt fühlt, das hält der Krug schon aus, unnötig finde ich annoyme Beiträge, auch wenn ich sie inhaltlich teile. Mit der Nachtkritik haben wir ein nivauvolles Forum gefunden, in dem wir uns trefflich streiten können - das fehlt dem Theaterdiskurs oft, also bis bald in Mokskau-Berlin- Konstanz ... Die Russen kommen. Willkommen Nachtkritik.
nur sei mir eben verziehen, das auch dem schauspieler nach allem mal sowas rausrutschen kann.
wir leben auch nicht mehr im zeitalter der zensur, sondern der freien meinungsäußerung, dazu gehört auch meine.
ich denke, herr krug kann das einordnen.
zum anonymen schreiber. halt mich nicht für blöd. wenn du ein konkretes problem hast, hab weningstens den arsch in der hose, deinen namen hinzuschreiben, da sich hiermit die frage erledigt hat, wer das beleidigte und um anerkennung kämpfende kind ist, mein name steht da, deiner nich du pfeife und das ist eben genau der punkt:
die kantine war ja leider besetzt.
anonyme äußerungen sind feige.
und da du den abend ja gesehen hast, wohnst du ja nicht in island.
wenn du mit mir reden willst, gern, aber eben nicht so.
wir sollten die kuh im dorf lassen und nicht auf dem alexanderplatz umhertreiben.
alles klar ?
kollegiale grüße, auf bald, thomas ecke
so, für mich ist damit der mißbrauch dieses forums beendet.
wir sehn uns in der kantine.
thomas ecke
aber offensichtlich geben sich theatermacher und publikum immer mehr mit immer weniger zufrieden. schade eigentlich!
c.brettschneider
Muss Klara, weil sie nicht ermüdet war, ja dem abend zugeneigt, sich jetzt als "publikum" fühlen?
Wundert sich die Klara.
nur, ich habe hammer und sichel nicht entdecken können. herr brettschneider, was haben sie denn da gesehen? das einzige symbol, war meiner meinung nach eine faust.