Konstanz am Meer – Theresia Walser und Karl-Heinz Ott präsentieren das Konstanzer Konzil zum 600. Jubiläum am Originalschauplatz Open Air
Grenzgänge zwischen Himmel und Erde
von Elisabeth Maier
Konstanz, 27. Juni 2014. Weltgeschichte hat die kleine Stadt am Bodensee vor 600 Jahren mit dem Konzil von Konstanz (1414-1418) geschrieben, dessen Jubiläum sie jetzt feiert. König Sigismund und der so genannte Gegenpapst Johannes XXIII. wollten mit dem kirchenpolitischen Großereignis die Einheit der Kirche wiederherstellen. Während des Konzils wurde der böhmische Kirchenreformer Jan Hus 1415 in Konstanz mit seinen Schriften als Ketzer verbrannt.
Poetische Seiltänze
Den schweren historischen Stoff wollten Karl-Heinz Ott und Theresia Walser als Auftragswerk für das Stadtheater Konstanz in einen zugleich "tiefsinnigen und heiteren" Text fassen. Sie erzählen Geschichte mit dem Konzil und seiner Protagonisten aus der Perspektive einer Kneipenwirtin: Martha Haefelin, die Gabi Geist zur magischen Zaubergestalt erhöht. Die Schauspielerin, die lange mit dem Filmemacher Herbert Achternbusch arbeitete, erfasst Walsers und Otts Traumtheater. Auf die poetischen Seiltänze der Autoren lässt sich die Künstlerin mit dem fränkischen Akzent lustvoll ein. Wenn sie sich in Machtfantasien verheddert, verschwimmen Unbewusstes und Wirklichkeit.
Regisseur und Choreograf Johannes von Matuschka malt den Text mit ungestümer Bildsprache aus. Seine Stärke liegt darin, die poetischen Zwischenwelten, den markanten Rhythmus der Worte in eine atmosphärisch dichte Traum-Choreografie zu übersetzen. Was strenge Kirchengesetze mit Menschen anrichten, zeigt zauberhaft Jana Alexia Rödiger als Wirtstochter Berta. Mit Totenköpfen und weißen Gewändern setzt Kostümbildnerin Tanja Liebermann dieses Geisterwesen in Szene. Eine einfältige Marionette ist Zeljko Marovics Gegenpapst.
Beate Faßnacht hat vor der mittelalterlichen Kulisse des Münsters, einst Schauplatz des Konzils, einen Tisch und Holzgerüste aufgestellt. Blaue Benzinfässer künden vom Tod. Darin wird später der vermeintliche Ketzer Hus verbrannt. Wenn die beiden Dramatiker Hintz und Kuntz, die bauernschlauen Tölpel, auf dem Wirtshaustisch über die Kirchenreformen des Ketzers Jan Hus nachdenken lassen, erscheint Historie in einem neuen Licht. Ralf Beckord als Hintz balanciert schön komische und tragische Elemente aus, während Andreas Haase seinen Partner Kuntz kluge dumme Fragen stellen lässt. Beide vermitteln Hus' Gedanken schlau. Dann aber zertrampelt das Volk, das Johannes von Matuschka mit einer geballten Statisterie auf die Bühne bringt, die anspruchsvollen Dialoge mit thumben Witzen.
Faszination des Spektakels
Der viel versprechende Ansatz, den das Autoren-Paar wagt, versandet schließlich in plattem Sommer-Lachtheater. Obwohl Johannes von Matuschka mit dem Ensemble immer wieder großartige Momente gelingen, erliegt auch er der Faszination des Spektakels. Dass "Konstanz am Meer. Ein Himmelstheater" trotz des unbestreitbaren Potenzials von Text und Regie im Bilderwust ertrinkt, liegt auch an Längen des knapp dreistündigen Abends. Matuschka lässt Volkes Stimme schwadronieren und aufblasbare, weiß-grüne Plastikblumen sprießen. So entgleitet ihm die Szenerie. Stefan Leibolds ohrenbetäubende musikalische Pauken- und Tubakompositionen ersticken manchen tiefsinnigen Moment. Und obwohl Axel Julius Fündeling als König Sigismund und seiner streitbaren Gattin Cilli, bei Sarah Sanders Hure und Hexe in einem, fesselnde Szenen einer Ehe gelingen, verrutscht ihr Ansatz ins Banal-Komische.
Plumpe Völlerei
Die Schwächen sind nicht nur der Regie anzukreiden. Auch Walser und Ott verspielen manches, weil sich ihr Stück Konventionen anbiedert. Grenzgänge zwischen Himmel und Erde, die in ihrer Sprache ebenso wie in Matuschkas bild- und bewegungsbetonter Regie angelegt sind, gehen gar in einer plumpen Völlerei mit Schweinsköpfen, Würsten und Plastikfrüchten unter. "Am Schönsten ist's, wenn's still ist", spricht der Trinker ein wahres Wort. Für solche betörenden Momente der Sprachlosigkeit lässt die überhitze Produktion zu wenig Luft.
Konstanz am Meer. Ein Himmelstheater
von Theresia Walser und Karl-Heinz Ott
Regie und Choreografie: Johannes von Matuschka, Bühne: Beate Faßnacht, Kostüm: Tanja Liebermann, Dramaturgie: Adrian Herrmann/Thomas Spieckermann, Musikalische Leitung: Stefan Leibold, Projektleitung: David König.
Mit: Ralf Beckord, Andreas Haase, Gabi Geist, Jana Alexia Rödiger, Julia Alice Ludwig, Thomas Ecke, Jonas Pätzold, Axel Julius Fündeling, Sarah Sanders, Zeljko Marovic, Wolfgang Erkwoh.
Dauer: 2 Stunden 45 Minuten
www.theaterkonstanz.de
"Konstanz am Meer", diese "intelligent-hintersinnige Gemeinschaftsarbeit" sei "reich – fast überreich – an literarischen Anspielungen und Zitaten: ein kleines Quiz für Gebildete", schreibt Bettina Schulte in der Badischen Zeitung (30.6.2014). Und sie mache sich "das beim großen Elisabethaner so beliebte Spiel im Spiel zu eigen. (…) Die Lust der Autoren an solchen – postdramatischen – Spiegelungen und Brechungen gibt einerseits Anlass zu einigen äußerst deftigen volkstheatralischen Szenen. Andererseits verliert sich hinter dieser konstruktiven Raffinesse der große Religionskonflikt des Konstanzer Konzils, bei dem Hus als Vorläufer Luthers agierte." Ein Moment lasse allerdings den Atem stocken, wenn nämlich Hintz als Hus aus der Rolle falle – "bevor es weitergeht mit dem finalen dionysischen Taumel in einer rasanten, virtuosen, handwerklich perfekten, ideen- und phantasiereichen Inszenierung."
Im Südkurier (30.6.2014) befindet Siegmund Kopitzki, dass keine Langeweile aufkomme bei dem "komödiantischen Lehrstück ohne Historismus (…), das dennoch Geschichtskundigkeit verrät, die sich aber einer seriösen Interpretation des Konzils verweigert. Das Spektakel hat Unterhaltungswert." Walser/Ott seien "mit diesem Auftragsstück ein nicht zu unterschätzendes Risiko eingegangen. Sie sind dem 'ersten europäischen Kongress', wie die Stadt ihr Konzil-Jubiläum bewirbt, mit viel Übermut begegnet – und haben gewonnen. Ob 'Konstanz am Meer' zum Konstanzer 'Jedermann' und also Dauerbrenner wird, wie es sich einige Stadtoberen erhoffen, muss abgewartet werden."
"Auf der Bühne von Beate Faßnacht stehen Thron und Altar im Schatten des Kneipentischs", und die Trinker und Träumer reden in poetischen Blankversen und Walserischen Paradoxa, schreibt Martin Halter in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (1.7.2014). Johannes von Matuschka inszeniere "Himmelstheater" mit Blechgetrommel auf Benzinfässern und Fanfarenstößen, "aber er weicht kaum ein Jota von der Schrift ab". Das Ergebnis sei heitere Geschichtsstunde, Heimatkunde und karnevaleske Satire, reich an ironischen Anspielungen und hintersinnigen Späßchen, "aber zum großen Spektakel fehlt es ihm doch an Krachern und Lachern, Bewegung und Handlung, und so ist das Volksstück jenseits des Säntis, ähnlich wie der Fastenschmaus beim Konzil, letztlich weder Fisch noch Fleisch".
Einen sympathisch unverschämten Umgang mit dem Konstanzer Weltereignis hat ith in der Frankfurter Rundschau (3.7.2014) beobachtet. Walsers und Otts Vergnügen an literarischen Späßen führe "weit weg von jedweder Gefahr, die dramatische Fassung eines Geschichtsbuchs aufzuführen". Johannes von Matuschka gehe und gebe den volksstückhaften Anteilen des Humors gerne nach.
Bei Walser/ Ott sei das Konzil "ein köstlicher Hahnenkampf der Narzissten und Neurotiker, die um die ersten Plätze rangeln, schachern und intrigieren", führt Adrienne Braun in de Süddeutschen Zeitung (4.7.2014) aus. Regisseur Johannes von Matuschka sei "zuerst auf gute Unterhaltung bedacht, rumpelt manchmal aber mit blechernem Fanfarengeschmetter, 'O sole mio' und Jahrmarkttreiben der Statisten über die ironischen Zwischentöne hinweg".
Walser und Ott greifen mit einigem Witz vieles von dem auf, was beim Konzil eine Rolle spielte, so Judith von Sternburg in der Frankfurter Rundschau (5.7.2014), es falle ihnen damit aber auch nicht leicht, "die diplomatische Ernsthaftigkeit des Konzils ganz für voll zu nehmen". Regisseur Johannes von Matuschka "geht und gibt den volksstückhaften Anteilen des Humors gerne nach". Die schön abwegigen Kostüme von Tanja Liebermann, die herbe Holzstufen- und Ölfässerbühne von Beate Faßnacht und die ahistorische Musik (Leitung: Stefan Leibold) unterlaufe jede drohende Biederkeit. "Das Ganze ist ein sympathisch unverschämter Umgang mit dem Konstanzer Weltereignis."
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