Die Hölle ist auch nur eine Sauna - Marie Bues schlägt sich an ihrem Stuttgarter Theater Rampe lustvoll durch Katja Brunners Scham-Abrechnung
Fressen, Ficken, Schlafen
von Verena Großkreutz
Stuttgart, 8. Oktober 2014. Hermi gebärt Sprache. Hermi tanzt und rappt. Hermi heult. Hermi wird beguckt. "Zwischen den Beinen" ist "es" halt anders. Es ist ja ein Hermaphrodit. Vereint beide Geschlechter, Frau und Mann. Hermi wird am Ende des Abends von der haarigen Amazone zu "das Gott" erhoben. Beginn eines neuen Zeitalters. Verordnete Geschlechtsneutralität als Antwort auf die Jahrtausende währende brutale sexuelle Unterdrückung der Frauen. Mehr ist nicht drin. Katja Brunners neuester Theatertext, "Die Hölle ist auch nur eine Sauna", jetzt uraufgeführt am Stuttgarter Theater Rampe, ist wütend, wild, wirr und wortgewaltig.
Zwischen Pocahontas und Fritzl
Katja Brunner, gerade mal 23 Lenze alt und Gewinnerin des Mülheimer Dramatikerpreises 2013, hat die Schnauze voll: Von der Schöpfungsgeschichte und ihrem Schwachsinn mit der Rippenzeugung der Frau und erst recht vom paradiesischen Sündenfall. Von diesen schrecklichen Römern, mit ihrem Vestalinnenhorror und den daraus resultierenden Müll- und Mädchen-Deponien. Und von diesem Pocahontas-Kitsch, dem Gründungsmythos der USA, der eigentlich eine koloniale Landnahme auf Kosten des Körpers der Königstochter war.
Und so geht's im Schweinsgalopp durch die Unterdrückungsgeschichte, und dementsprechend ist Brunners Text eine zwar geformte, aber kaum theatral zu bändigende Masse. Keine Dialoge, keine Geschichte, sondern wechselnde Stimmen, vor allem aber frontale, monologische Figurenreden der vier DarstellerInnen und Themenverknüpfung durch harte Schnitte und Brüche. Kontrapunkt im Sprechstrom bildet der monströs-böse Fall Josef Fritzls aus dem österreichischen Amstetten, der seine Tochter 24 Jahre lang als Sklavin in einem Kellerverlies gefangen gehalten und mit ihr mehrere Kinder gezeugt hat.
Schamstengel und Schambeutelchen
Im Theater Rampe inszeniert Marie Bues den neuesten Text von Katja Brunner gewohnt ironisch. Sie findet Strukturen und Formen für dessen Bewältigung. Der Abend wird getaktet durch Schreiorgien, stilles Ins-Publikum-Gucken, laute Elektrobeat-Teppiche. Die Bühne ist zweigeteilt: oben eine später enthüllte, orangene Sanitärinstallation auf kahler Bühne, unten ein großes Betonverlies, eingezäunt mit Absperrband als Tatort. Oben die "Universaldörfler", die "die da unten" kommentieren: die zur Gebärmaschine degradierte Fritzl-Tochter, die im Betonbassin festsitzt und nun ihre Revolution startet. Ihrem Kind Nummer 13 verordnet sie die Geschlechtsneutralität, auf dass sich dieser Samen weit streue.
Hermis Aufbruch in die Welt der Gendernorm endet in der Erkenntnis: Da oben geht's wie da unten auch nur ums "fressen ficken schlafen". Hermis Erscheinen bringt neues atemloses Textausspucken hervor: Ärztinnenmonologe über die Notwendigkeit eines korrigierten Genitals, melancholische Kinderpoesie, echauffierte Predigten über das Sprachverhalten von Teenies oder sprachspielerische Wortketten während der Körpererkundung: "Wie sagt man, man sagt untenrum, da unten, im Schritt, zwischen den Beinen", sagt die Amazone, während sie sich auf dem Rücken kugelnd selbst befingert, "oder man redet von Scham, von Schande, bei Männern ists mit dem Schämen schon nach dem Schamhaar vorbei und hier bei den Weiblichen, da geht es weiter, aha, Schamhügel und Schamlippen davon auch gleich noch große und auch kleine, ja spannend und darum schlage ich jetzt vor für die anderen: Schamstengel und Schambeutelchen".
Zappelige Wortfindungsversuche
Textsicher rudert das Ensemble durch den Wortstrom: die stämmige, haarige Amazone mit Reibestimme (Niko Eleftheriadis), die Fritzl-Tochter im schlampig-lockeren Fatsuit (Janine Kreß), Pocahontas mit rotverschmiertem Gesicht (Evamaria Salcher) und das zappelige Hermi, das durch Emma Rönnebeck besonders in den improvisatorischen Einsprengseln zur darstellerischen Glanznummer wird: Sehr witzig etwa ihre ersten Wortfindungsversuche, wenn Hermi das Sprechen lernt.
Leider versickert die Inszenierung nach der finalen Hermi-Apotheose in einer recht vernuschelt abgelesenen Szene, in der es um nummerierte Kinder geht. Ansonsten: Inhaltlich folgen kann man dem Abend nicht immer, ist aber wohl Absicht. Wer sich darauf einlässt, hat Spaß. Und nimmt eine Botschaft mit nach Hause: "Frauen, lasst euch nicht mit großen robust gebauten Männern ein."
Die Hölle ist auch nur eine Sauna (UA)
von Katja Brunner
Regie: Marie Bues, Ausstattung: Indra Nauck, Musik: Kat Kaufmann, Dramaturgie: Martina Grohmann, Licht: Joscha Eckert.
Mit: Niko Eleftheriadis, Janine Kreß, Emma Rönnebeck, Evamaria Salcher.
Dauer: 1 Stunde 40 Minuten, keine Pause
www.theaterrampe.de
Bei Katja Brunner herrsche ein Witz vor, "der die Ernsthaftigkeit der Thematik zwar nicht unterschlägt, sie aber – jedenfalls im Theater – mit Groteske, Distanz und selbstbewusster Gelassenheit abhandelt", so Thomas Rothschild in der Stuttgarter Zeitung (10.10.2014). Dass Marie Bues' Abend "nicht nur sprachlich mit seiner das Verständnis nicht immer erleichternden poetischen Metaphorik, sondern auch visuell vergnüglich ist", verdanke sich "dem nach postdramatischem Muster meist frontal zum Publikum sprechenden Frauentrio". Die drei würden von der Regie "zu ausdauernder, aber differenzierter gestischer und mimischer Anstrengung bis an die Grenze des Outrierens angehalten, ohne diese jedoch zu überschreiten." Hiermit bleibe das Theater Rame "auf Erfolgskurs".
Der Stoff fordere Regisseurin und Schauspieler, biete "weder klare Regieanweisungen noch Zuordnungen für Gesprochenes", beschreibt Cornelius Oettle für die Stuttgarter Nachrichten (10.10.2014). "Herausragend" reiße Emma Rönnebeck das Stück an sich. Es fehle eine "klare Handlung, die durchaus geistreichen Verse stecken in einem Korsett aus Stroboskop, Bass, Standbild und Klamauk" – auf der "Schneide zwischen Provokation und Lächerlichkeit". "Alles im Rahmen, durchaus lustig." Momentweise springe die Inszenierung aber auch "über eine schmerzende, bedenkliche Grenze. Theater soll genau das."
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"Möglicherweise beruht nicht [Hannah, I.] Arendts Denken, sondern der Feminismus auf einem Kategorienfehler, und der Versuch, das Private zu 'politsieren', führt nicht zur Emanzipation der Frauen, sondern zur Tilgung der letzten Spuren menschlicher Freiheit in der modernen Welt. Von Theodor W. Adorno und Christopher Lasch auf der Linken über Gertrud Himmelfarb und Irving Kristol auf der Rechten, mit Liberalen wie Ronald Dworkin, John Rawls und Bruce Ackermann im breiten Mittelfeld lässt sich ein wichtiges Argument im westlichen politischen Denken ausmachen. Es besagt, dass die Aufrechterhaltung wenigstens einiger Grenzen zwischen der öffentlichen und der privaten Sphäre wesentlich ist, will man die menschliche Freiheit erhalten. Haben die feministischen Theoretikerinnen uns mitgeteilt, wo diese Linie gezogen werden soll, oder ist der Schlachtruf 'Das Private ist das Politische' eine Einladung zu einer Neuauflage autoritärer Politik?" (Seyla Benhabib)
Das Thema ist also vielmehr, dass private bzw. privat induzierte/machtausübende Scham zu einem öffentlichen Anliegen werden muss, dass private Dunkelheit und Blindheit zu öffentlichem Licht und Sichtbarkeit werden muss. In diesem nach Benhabib sich "gegenseitig die Welt geben" wird das Politische zurückgewonnen.
Frau Brunner ist eine sehr wortgewaltige junge Frau und nachdem also ihr erstes Jugendstück preisgekrönt für textuelle Sexwut und –kenntnis wird man auf der Bühne nach Frau Großkreuz derselben kaum mehr Herr – und die Autorin ist erst vierundzwanzig! Und schreibt vollkommen freiwillig intertex-sexuell! Dieser künstlerische Wille ist bemerkenswert!
Und ist ja der Hermaphrodit immer eine Provokation, schon seit Ovid oder so. Das ist eine sichere Bank, wenn man es auf Provokation angelegt hat. Manch einer legt, das geistert ja hier nur so durch die Kommentare – egal wen, Hauptsache Theater provoziert! Lässt den Umkehrschluss zu: was immer provoziert, muss dann Theater sein. – Aus der Musik kennen wir diese Art garantierte Aufmerksamkeit ja: z.B. Händels Sopran-Tenöre, Boy George, Prince, Concita Wurst – das hält sich alles im grenznahen Gefahrenbereich ohne je wirklich existenziell gefährlich oder selbstgefährdend zu sein. Weil es erst kommentiert in Sprache und damit Denken übergeht. Eine nichtgeschlechtliche literarische/philosophische Autorschaft hingegen ist sehr gefährlich. Weil an ihr sich nämlich die Geister scheiden. Sämtliche. Weil hier bereits vorhandene Sprache und vorhandenes Denken kommentiert oder verschwiegen wird. Das äußert sich entweder in Kommentatoren entblößende Kommentare oder in unbewusstem oder gar bewusstem Verleugnen von Texten, die sozusagen hermaphroditisch, ohne eindeutigen Geschlechtsausweis gezeichnet sind. Punkt.
Eine ziemlich revolutionäre Ausgangsposition… und für die Bewertung der philosophischen undoder künstlerischen Qualität einer hermaphroditischen Textunterzeichnung ist einzig und allein die Geschichte, wie es zum Entschluss dieser Unterzeichnung gekommen ist.
Da hat frau was gelernt, da wird frau später schlauer sein.
Da kann frau also was mit zu sich nach Hause tragen.
Eine wirklich sehr beeindruckende Botschaft
eines sicher sehr beindruckenden Stückes.