Wider die Schubladen im Kopf

von Steffen Becker

Stuttgart, 3. Juli 2015. "Was machen die Hells Angels auf dem Marienplatz", fragt die BILD-Zeitung. Auch die Polizei schaute beim Happening des Theaters Rampe vorbei, als sich sieben Mitglieder der Rockerbande für eine Stunde auf einem Podest in der Stuttgarter City lümmelten. Ergebnislos. Die verbotenen Abzeichen der Gruppe trägt ihr Boss Lutz Schelhorn dafür auf der Bühne des Theaters. Dort steigt die Show "Display!" als Finale einer Doppelpass-Kooperation zwischen der Rampe und dem Künstlerkollektiv Monster Truck. Unter dem Motto "Sortiert euch!" waren Menschen eingeladen gewesen, sich auf einer Theatertribüne auf der Straße unter einem Label zusammenzufinden.

Wo ist der Osama-Bart?

Aus den Teilnehmern der Outdoor-Ausstellung wurden insgesamt 12 Personen ausgelost, die jeweils 1000 Euro gewinnen und dafür fünf Minuten Performance liefern müssen. Man ertappt sich dabei, die Menschen aus der Perspektive der Schubladen im eigenen Kopf zu betrachten. Die Anzeige-Tafel über der Bühne rattert die Buchstaben zusammen und bleibt etwa bei "Süchtige" stehen. Okay, wo sind die Einstichstellen? "Depressive". Okay, die haben bestimmt aufgeritzte Arme (oder sehen jedenfalls total fertig aus). "Moslem". Okay, wo ist der Osama-Bart? Die Monster-Trucks stellen diese Klischeefallen auch im Setting aus. Vor jedem Auftritt verliest die Regieassistentin vom Schreibtisch am Bühnenrand das Datenblatt des Auftretenden: Name, Alter, Grund der Arbeitslosigkeit, Grad der Behinderung, Besonderheiten. Der Look & Feel einer DDR-Offizierin bricht die Kategorien, in die die Menschen einzusortieren sind, allerdings gleich wieder ironisch auf. Wie auch die meisten Performances.

Display2 560 Florian Krauss u © Florian Krauss

Der Hells Angels-Boss kommt zwar stilecht mit dem Motorrad reingerollt. Dann setzt er sich aber mit Lesebrille und Aktendeckel an einen Tisch. Mit Zitaten aus einem Strategiepapier gegen Rockerkrimininalität untermauert er ein Plädoyer für Rechtsstaatlichkeit. Auf der Premierenfeier wird er sich ärgern, nicht auf der Bühne geraucht zu haben und verabredet sich mit der ehemaligen Stuttgarter Sozialbürgermeisterin auf einen Kaffee (er ist ein stadtbekannter Fotograf). Die Gruppe der Depris zeigt unter anderem einen Bauchtanz, der in puncto Lebensfreude dem Schlussauftritt der Hare Krishnas nicht nachsteht. Der einzige, der keine Show abliefert, ist derjenige, von dem man sie zuerst erwartet hätte. Der Künstler macht nichts weiter als einen staring contest mit dem Publikum (den er locker gewinnt).

Klischee-Zertrümmerung auf dem Catwalk

Den Vorwurf des Menschenzoos, den man gegen die öffentliche Ausstellung von Randgruppen erheben könnte, kontern die Monster Trucks mit einer Klischee-Zertrümmerung ausgerechnet im von Klischees sich nährenden Theater. Dabei zeigt sich zum einen abermals, wie sehr Menschen offenbar angewiesen sind auf die Unterscheidung "Die" und "Wir". Zum anderen wird deutlich vor Augen geführt, dass diese Zuschreibungen nicht naturgegeben sind. Die Gedanken und Erwartungen kommen aus dem eigenen Selbst. Da diese Erwartungshaltungen meist negativ besetzt sind, gestalten die Monster Trucks ihre Bühne im Gegenzug als einen Catwalk, auf dem die Gruppen ihre Eigenschaften stolz präsentieren können.

Im Spiel mit den Klischees haben sich Monster Truck allerdings auch einige Spitzen überlegt, durch die sich der Abend einer simplen "Alles ist ja ganz anders, alle können happy sein"-Deutung entzieht. Der Blinde etwa fragt sich, was wäre, wenn eine fortschreitende Inklusion das Ende der Kategorie "Behinderte" herbeiführen würde. Heerscharen würden sich in barrierefreien Einöden langweilen, weil sie sich nicht mehr über zu hohe Bordsteinkanten und zu enge Türen beklagen können. Was für eine schreckliche Vorstellung, normal zu sein – den Text trägt übrigens nicht er vor, sondern sein die Satzmelodie zerhackender Lesecomputer.

Display1 280 Florian Krauss u© Florian Krauss Der spanische Arbeitslose berichtet von seiner Lieblingsarbeit als Gärtner unter den Aspekten "Hundekot" und "Geschlechtsverkehr im Unterholz". Auf Spanisch. Die Unterscheidung zwischen "uns" und "denen" wird hier durch die Sprachbarriere hörbar gemacht.

Der junge Schwule wiederum schlüpft in die Rolle seiner Gegner. Er liest eine Rede vor, die auf einer homophoben Demonstration gegen das Unterrichts-Thema Sexuelle Vielfalt gehalten wurde. Die fand einen Tag nach dem Homo-Sit-In der Monster Trucks statt; dem einzigen Termin, bei dem es zu nennenswerten Abwehrreaktionen von Passanten kam. Die Rede wird schließlich von den Assistenten der Produktion erst mit Motorengeräuschen übertönt, der Schwule eingeglittert – und von einem unter Suchtmittel-Einfluss stehenden Zuschauer mit Punk-Handzeichen verabschiedet. Die Süchtige, die in einer Mischung aus Superheldin- und Prinzessinnen-Kostüm tanzt, hat ein paar Freunde mitgebracht. Ein vielfältiges Bild der Bewohner Stuttgarts sollte das Projekt vermitteln. Ausnahmsweise im Theaterbetrieb gelingt das auch im Zuschauerraum.

 

Display! Sortiert euch! – Die Show
von Monster Truck | Performance (Manuel Gerst, Rabea Kiel, Sebastian König, Sahar Rahimi, Ina Vera)
Mit: Amir Ahmed, Jonas Buchhardt, Filimon Chreay, Fellnasen e.V., Max Hasenclever, Abel Kidaner, Mohanad Muqdad, Friedrich Mueller, Alice Kathrin Muenzenmayer, Laura Oppenhaeuser, Almina Özhan, Sinan Payat, Marcel Roth, Lutz Schelhorn, Stuttgarter Verein zur Förderung seelisch Kranker und seelisch Behinderter e.V. / Hofschaumbühne, Gere Tesfu, Vedischer Kulturverein e.V., Gustavo Vilaboy Peral, Gezae Welderufael, Amgad Zedan.
Dauer: 1 Stunde 10 Minuten, keine Pause

www.theaterrampe.de

 

 
Kritikenrundschau

Monster Truck wollen mit ihrer Arbeit die "Vielseitigkeit der Stadtbevölkerung zeigen", scheibt Judith Engel unter dem Kürzel - eng - in der Stuttgarter Zeitung (6.7.2015). "Ganz selten streifen die Einzelperformances Klischees oder verfallen in Biografische. Monster Truck macht das Schubladendenken zwar auf, aber nur, um viele der daraus resultierenden Vorurteile zu dekonstruieren."

Von einer "gut durchdachten Aktion", die "die Bezeichnung 'neu' oder 'innovativ' redlich verdient", berichtet Arnim Bauer in der Ludwigsburger Kreiszeitung (6.7.2015). "Display" zeige "eine Momentaufnahme von Klischees, von ganz unterschiedlichen Menschen, die im Gesamten eben diese Stadt ausmachen.“ Fazit: "Mannigfaltige Botschaften kann man in diese Performance hinein- oder herauslesen, spannend ist auch die andere Seite, das Publikum. Einmal mehr ist es der Rampe und 'Monster Truck' gelungen, neues Publikum ins Haus zu holen, das eher als dem Theater fern zu bezeichnen ist."

 

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