Die Elixiere des Teufels - Hannes Weiler gehorcht in Bamberg der schizophrenen Logik von E.T.A. Hoffmanns Hauptfigur
Wo das Laster regiert
von Andreas Thamm
Bamberg, 22. Januar 2016. Noch ist alles ruhig. Eine zum Publikum hin geöffnete Box aus groben Brettern, eine Wand aus eben solchen. Dahinter Bahnen aus giftgrünem Gummi, beschrieben mit kaum lesbarer Handschrift. Medardus (Stefan Hartmann) stürmt durch den Kunststoff auf die ebenerdige Bühne, ein Kapuzinermönch in einer Kutte in Telekom-Magenta. Er würde gerne eine Rede halten, wird unterbrochen von Pater Cyrillus (Alexander Tröger), der ein massives Holzkreuz schultert. Medardus verkriecht sich in die Kiste, flennt den Rosenkranz, vom mächtigen Sound einer Kirchenorgel beschallt. Cyrillus schwenkt das Weihrauchfass.
Wahn, Trieb und Moral
Das ist das Kapuzinerkloster in Bamberg. E.T.A Hoffmann besuchte es 1812 und war von der Atmosphäre des düsteren Ortes anscheinend derart beeindruckt, dass er den Anfang seines Schauerromans "Die Elixiere des Teufels" dorthin verlegte. Heute ist das ehemalige Kloster das größte Gymnasium der Stadt. Hoffmann verbrachte vier Jahre in Bamberg, in denen er weder erfolgreich noch glücklich war. Das Theater wurde dennoch nach ihm benannt.
Für die kleinere Studio-Bühne dieses Theaters hat sich der 1981 geboren Regisseur Hannes Weiler die "Elixiere" vorgenommen. Ein Buch, das zwar zu den Schlüsselwerken der schwarzen Romantik gehört, sich dem heutigen Leser aber geradezu versperrt. Es ist ein ausschweifendes, verwirrendes Werk über Wahn, Trieb und Moral, eine literaturhistorisch frühe Auseinandersetzung mit der Schizophrenie.
Posse einer paranoid-hysterischen Gesellschaft
Medardus trinkt von den titelgebenden Elixieren, die in der Reliqienkammer des Klosters lagern – und erkrankt am Wahn. Im Roman ist das eine Reliquie des Heiligen Antonius, auf der Bühne – leider plump – ein Kasten Bier. Er versteigt sich daraufhin in hochmütige Predigten, hält sich für Gottvater selbst und verfällt einer Frau, die ihm im Beichtstuhl ihre Liebe gesteht: Aurelie (Pina Kühr), oder in seinen Augen: die heilige Rosalia. Als er vom Pater von seiner Pflicht entbunden und mit einem Auftrag nach Italien geschickt wird, folgt eine Art Road-Movie ohne Vorwärtskommen: Medardus trifft einen optischen Doppelgänger, den Grafen Viktorin, und nimmt dessen Rolle an. An Viktorins Hof trifft er auf die Tochter seiner neuen Geliebten: Es ist Aurelie. Das Begehren nimmt unerträgliche Züge an.
Weilers Inszenierung ist eine Überforderungsmaschine, die eine Detonation nach der anderen zündet. Geschickt hat er den höchst zeitgenössischen Kern des 200 Jahre alten Materials freigelegt und erzählt die Posse einer paranoid-hysterischen Gesellschaft, in der das Individuum pathologisch überfordert ist. Aus einem schwarzromantischen Text wird so ein grellbuntes Spektakel. Das Tempo ist atemberaubend, das Chaos im kranken Hirn schlägt sich schon früh in der Umsetzung nieder. Medardus' Unklarheit über die Verfasstheit des eigenen Selbst steigert sich in eine allgemeine Unschärfe zwischen Realität und Illusion. Gab es den Doppelgänger Viktorin oder ist er dem Wahn entsprungen?
Kalauernde Sprachspiele
Die Vorlage, die sich am literarischen Motiv des Doppelgängers abarbeitet, die unentwegt die eigene Wahrnehmung der Welt sowie die Freiheit des Willens in Frage stellt, eignet sich hervorragend für die postdramatische Inszenierungslust des jungen Regisseurs. Medardus begegnet nicht mehr nur immer wieder sich selbst, er weiß auch nicht, welche Rolle der Schauspielerin Marie Nest er vor sich hat: Ist das seine Mutter oder der Friseur Peter Schönfeld?
Menardus ist letztlich auch nur der Verrückteste in einem verknäulten Haufen an Figuren, von denen keine richtig tickt. Euphemie kommt hinter Medardus' Liebe zu Aurelie und versucht, ihn zu vergiften, trinkt aber letztlich selbst von dem tödlichen Gebräu. Ihren Bruder ermordet Medardus hinter den giftgrünen Plastikbahnen, gefilmt von der Handkamera in wackelnder "Blair Witch Project"-Ästhetik. Anschließend flieht er an den "Hofe mit der Katstrophe" (einer der Ausflüge in kalauernde Sprachspiele, die nicht wirklich zünden wollen), an dem das Laster regiert: Glücksspiel, Motörhead, noch mehr Bier. Die Hintergründe dieser Katstrophe werden ihm geschildert, auf dass alles klar werde. Klar wird aber nichts, zumindest nicht beim Publikum. Schließlich ist die Erzählung vollständig der hysterisch treibenden Logik der Schizophrenie unterworfen.
Weiler skizziert das reiche Material an, das dem Betrachter in 90 Minuten um die Ohren fliegt. Die Schauspieler überbieten einander in ihrer Aufgekratztheit und scheitern darin nur selten. Auch wenn zwei bis drei komödiantische Ideen ins Skript gewandert sind, deren kindliche Albernheit übers Ziel hinaus schießt, rundet sich am Ende ein so erfreulicher wie erschöpfender Abend.
Die Elixiere des Teufels
Regie und Video: Hannes Weiler, Bühne und Kostüme: Lena Hiebel, Dramaturgie: Olivier Garofalo.
Mit: Stefan Hartmann, Pina Kühr, Alexander Tröger, Marie Nest, Benedikt Flörsch.
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause
theater.bamberg.de
Diese Inszenierung sei "Rock 'n' Roll. Nicht mehr, nicht weniger", schreibt Florian Welle in der Süddeutschen Zeitung (25.1.2016). Hannes Weiler drehe "an der Sinnschraube, bis sie durchdreht. Wenn es dann nach 90 Minuten redundant zu werden droht, ist es auch schon vorbei." Schon das Buch sei "ein Wirrwarr, teuflisch gut." Hannes Weiler mache "das erzählerische Durcheinander zum Ausgangspunkt seiner Inszenierung. Er bemüht sich erst gar nicht, dem Zuschauer irgendwie die Handlung verständlich zu machen. Im Gegenteil. Er setzt noch eins drauf." Das wahnhafte Rasen des Medardus versuche "die Aufführung einzufangen, indem sie selbst rast." Und Welle ist sich sicher: Mit der neuen Bamberger Intendantin Sibylle Broll-Pape "hat im Herbst eine neue Zeitrechnung begonnen".
Eine "erfreulich pfiffige Pfefferminz-Version" von E.T.A. Hoffmanns Roman hat Christian Muggenthaler gesehen und schreibt in den Nürnberger Nachrichten (25.1.2016): Hannes Weiler begegne dem "fantastischen, vielschichtigen, doppelbödigen und zuweilen bizarren" Stoff "mit Phantasie, Vielschichtigkeit und einem schrägen Hochgeschwindigkeits-Kuddelmuddel, das passt wie der Mönch ins Kloster". In all ihrem "schrillen Gebaren" stecke viel Logik in Weilers Inszenierung.
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