Eine schrecklich nette Familie

17. Februar 2024. In seinem Stück erzählt der australische Autor Andrew Bovell im Zeitraffer vom Verfall einer vermeintlich heilen Familie. Zentrales Bühnenelement in Bettina Rehms konzentrierter und spannender Inszenierung ist eine Wäschespinne.

Von Andreas Thamm

Rosi (Suna Hettinger) in "Dinge, die ich sicher weiß" © Thomas Langer

17. Februar 2024. Rosi will eine Liste schreiben, mit all den Dingen, die sie sicher weiß. Sie ist in Berlin gestrandet, während eines verkorksten Euro-Trips, wo ihr ein wunderschöner Spanier 400 Euro stahl. Jetzt will sie heim, zurück zu den Menschen, die doch unbedingt glauben sollten, dass ihr Abenteuer glückt, den Menschen, die man nicht loswird: ihre Familie in Australien. 

Sie stehen da im Hintergrund rund um eine baumgroße Wäschespinne auf einer drehenden Scheibe, Familie Price, Mutter, Vater, zwei Söhne, zwei Töchter, Rosi, 19, ist die jüngste. Der große Garten vorm Haus, erzählt die älteste Tochter Pip, da spielte sich das ganze Leben ab. Das ganze Leben ist die Familie in "Dinge, die ich sicher weiß", dem 2016er-Stück des australischen Autoren Andrew Bovell, das am Fürther Stadttheater von Bettina Rehm inszeniert wird. 

Die dreckige Wäsche der Familie Price

Alles an der monologischen Anfangsszene sagt: Wir, die Familie Price, sind eng verbunden, wir halten zusammen. Was dann folgt, ist ein Kondensat der Schwierigkeiten, die diese Liebe in immer neuen, fein komponierten Eskalationsstufen auf die Probe stellen. 

Dinge1 1200 Thomas Langer uFamilie vor Wäschespinne: Jonas Kling, Hannah Candolini, Anton Koelbl, Sunna Hettinger, Boris Keil © Thomas Langer

Die Bühne dreht sich weiter, setzt immer neue Figurenkonstellationen zusammen. An der Spinne weht Wäsche in pastelligen Rot- und Blau-Tönen. Der Vater Bob ist immer am Bügeln. Als Rosi nach Hause kommt, erfährt sie, dass ihr Lieblingsbruder Marc sich von seiner Freundin getrennt hat. Dabei hatte ihre Mutter Fran die doch ins Herz geschlossen! 

Schwerer wiegt, dass Pip sich von ihrem Steve trennen will, mit dem sie zwei Kinder hat. Sie liebt ihn nicht, ihr ist eine Stelle in Vancouver angeboten worden. "Du wolltest Kinder, da kriegt man das auf die Reihe", ätzt giftig Michaela Domes als Mutter Fran. Es gibt wenig Liebe zwischen diesen beiden Frauen. Fran bevorzugt den maximal missratenen Ben, den schmierig-karrieristischen Finanzdienstleistertypen, der mit einer neuen Karre protzt, um seinen Working-Class-Daddy zu provozieren. 

Toleranzgrenze erreicht

Bob, der immer leicht gebeugt schlurfende Anton Koelbl, wird anfangs im Kontrast zu seiner Frau als emotional intelligenter Elternteil etabliert. Bis der Erstgeborene Marc mit seiner Last nach vorne tritt: "Ich war nie Teil des Ganzen", sagt er mit brechender Stimme, und es liegt auf einmal ganz viel echter Schmerz in der Luft. 

Dinge5 1200 Thomas Langer uSohn Ben und tragischer Vater Bob: Jonas Kling, Anton Koelbl © Thomas Langer

Die Toleranzgrenze seiner Eltern ist an dem Punkt, an dem Marc seine Transidentität nach all den Jahren endlich offenlegt, erreicht. Das ist nun der Konflikt, der mit lautstarken Eruptionen alle vorangegangenen in den Schatten stellt. Fran: "Hör auf zu glauben, dass wir damit umgehen können!" Die Schauspieler:innen sind mikrofoniert, ihre Atmung, ihr Schnauben sagt teilweise mehr als Bovells hammerharte Sätze. 

"Du musst aufhören, uns so sehr zu lieben", sagt Marc zu seiner Schwester Rosi. "Wir sind am Arsch." Es kommt immer noch ärger. Fran offenbart Bob, dass auch ihr die Liebe in 30 Ehejahren abhanden gekommen ist. Zuletzt muss noch Ben fehlt vollgekokst und verzweifelt zugeben, Unsummen veruntreut zu haben. 

Keine Versöhnung

Regisseurin Bettina Rehm hat für diesen zusammengeschnurrten Verfall einer heilen Welt zusammen mit Ausstatterin Clara Wanke unverkopfte, subtile Bilder gefunden: die wehende Wäsche in Blau und Rot, das ständige Umziehen der Figuren im Hintergrund. Irgendjemand will immer etwas abstreifen, loswerden, ein Leben finden, das passt. Bovells Text ist dabei so dicht und voller Leben, dass zweieinhalb Stunden ohne Längen vergehen. Das gesamte Ensemble widmet sich diesem Text mit viel Aufrichtigkeit und einem realistischen Spiel in sämtlichen psychologischen Nuancen. 

Wenn einer herauszuheben ist, dann doch der glänzende Anton Koelbl, der seinen Bob durch diese Leidensgeschichte hindurchtragen muss, einen Mann, dem alles zwischen den Fingern zerrinnt, der zwischen Wutausbruch und Nervenzusammenbruch versucht, Haltung zu bewahren. Dem die Stimme versagt. Es gibt keine Versöhnung, und nichts von dem, wie er sich sein Leben im Alter vorgestellt hat, wird eingelöst. Das Publikum verlässt den Saal mit dickem Kloß im Hals. 

Dinge, die ich sicher weiß
von Andrew Bovell
Deutsch von Maria Harpner und Anatol Preissler
Inszenierung: Bettina Rehm, Bühne und Kostüme: Clara Wanke, Lichtdesign: Raphael-Aaron Moss, Dramaturgie: Astrid Reibstein.Mit: Michaela Domes, Anton Koelbl, Sunna Heittinger, Boris Keil, Jonas Kling, Hannah Candolini.
Premiere am 16. Februar 2024
Dauer: 2 Stunden 30 Minuten, eine Pause

www.stadttheater.de

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