Ulysses - Marat Burnashevs und Swantje Basedows Joyce-Projekt über das Alles-Gleichzeitige am Berliner Ballhaus Ost
Das Schummrige im Kopf
von Eva Biringer
Berlin, 9. Mai 2014. Über seinen Roman "Ulysses" sagte James Joyce: "Ich habe so viele Rätsel und Geheimnisse hineingesteckt, dass es die Professoren Jahrhunderte lang in Streit darüber halten wird, was ich wohl gemeint habe. Nur so sichert man sich seine Unsterblichkeit." Aus heutiger Sicht hat Joyce alles richtig gemacht. Sein opus magnum ist Grund für mehrere Wochen Alltagsabstinenz, Generationen beißen sich daran die Zähne aus. Ulysses auf der Theaterbühne, das kann immer nur Annäherung sein.
Marat Burnashev und Swantje Basedow gehen diese Herausforderung von zwei Seiten an. Ihr "Ulysses", eine Koproduktion des Ballhaus Ost und der Garage X in Wien, besteht aus einem Internetauftritt und der szenischen Umsetzung in den jeweiligen Spielstätten. Bereits seit Februar geistern vierzehn Kurzfilme des Ulysses-Projekts durchs Netz, in denen zeitgemäße Wiedergänger der Nebenfiguren des Romans von ihren Begegnungen mit den Hauptfiguren Bloom und Dedalus erzählen.
Welpenwildes Duo
Auf Thomas Gigers Bühne kehren sie als Projektionen auf einem Leinwandtriptychon zurück in Form eines visuellen und auditiven Stream of consciousness, unterbrochen von der ersten Begegnung der beiden Protagonisten. Mirco Kreibich trägt als Jungspund Dedalus einen schlecht sitzenden Anzug (das Bildungsprekariat!), fällt von einem Gefühlsausbruch in den nächsten, zwischendurch die Zigarette knibbelnd, ohne sie anzuzünden (das Dandy-Accessoire!).
Das erste Drittel des Abends dominiert dessen Welpenwildheit, nur mühevoll gezügelt vom vermeintlichen Ziehvater Bloom. Bruno Cathomas spielt diesen Bloom so, wie man sich einen Ziehvater vorstellt, ein bisschen oberlehrerhaft, ein bisschen mit Schablonensätzen hantierend ("Du siehst blass aus, Du solltest etwas essen").
Zeitweise blitzt die unter der Durchblickeroberfläche lauernde Geilheit in Form eines Seidenstrumpffetischs auf. Als ihm eine Wahrsagerin am Telefon die Karten legt – ein heiterer Tele-5-Moment, "live" auf der Leinwand, Rückkopplung inklusive – macht Bloom sich über deren amouröse Prophezeiungen lustig. Dabei weiß der Zuschauer, der sich zuvor ein wenig in Joyce eingelesen hat, dass Blooms Feixen nur eine hilflose Geste ist, um den Betrug seiner Frau Molly zu kompensieren.
Diese Molly (Patrycia Ziolkowska) ist nur auf der Leinwand präsent, als stumme Alltagsbewältigerin, Bier öffnend, Zähne putzend, Stulle essend, bevor sie allein zu Bett geht. Kehrt nicht Bloom am Ende des Buchs zu ihr zurück?
Perfekte Frauenstimmen
Glücklich derjenige, der sich im Vorfeld alle Videoepisoden angesehen und die grobe Struktur der Vorlage bei Wikipedia nachgelesen hat. Der Joyce-Neuling hingegen kommt ganz schön ins Schwitzen beim Versuch, den Roman aus der Bühnenhandlung heraus zu filtern. Neben existenziellen Fragen (die Seele, habe ich mir sagen lassen), ging es Joyce vor allem um die Überforderung des Alles-Gleichzeitigen. Dabei, das muss man sich noch einmal klar machen, spielt "Ulysses" 1904, knapp hundert Jahre vor der Erfindung des Smartphones.
Hier verschenkt die Inszenierung ihr Aktualitätspotential. Wir wissen doch, was Bloom mit diesem "unkonzentriert Schummrigen im Kopf" meint, verstehen doch den an sein iPhone gerichteten Satz "Wie sehr wir uns durch Dich verändert haben!" Statt jedoch zu hinterfragen, warum wir uns von einer Frauenstimme den Sinn des Lebens erklären lassen, verharrt die Inszenierung über weite Strecken in einer 70er-WG-Küchen-Atmosphäre, wo Philosophiestudenten die ganz großen Fragen stellen ("Woher kommen wir, wo gehen wir hin?"), von denen die meisten heute allenfalls noch als Werbeclaims taugen ("Ja, es gibt ein Leben vor dem Tod!").
Sprachwahnsinn
Am Ende ist der Joyce-Neuling so klug als wie zuvor, also ganz im Sinne des Urhebers. Analog zur Molly auf der Videoleinwand lässt er sich vom Singsang der Fantasiesätze einlullen, die sich Bloom und Dedalus zuschanzen. "Mit Sindbad dem Seefahrer und Tindbad dem Teefahrer und Findbad dem Feefahrer und Rindbad dem Rehfahrer und Windbad dem Wehfahrer und Klindbad dem Kleefahrer..." Da scheint noch einmal der Joyce'sche Sprachwahnsinn auf. Da purzeln die Gedanken durcheinander wie im Moment kurz vor dem Einschlafen, den man immer, immer verpasst. Das ist schön. Dann fällt die Leinwand um.
Ulysses
nach James Joyce
Ein Projekt von Marat Burnashev und Swantje Basedow
Regie: Marat Burnashev, Bühne und Lichtdesign: Thomas Giger, Kostüme: Sibylle Wallum, Musik: Marcus Thomas, Dramaturgie: Christina Bellingen.
Mit: Bruno Cathomas, Mirco Kreibich. Im Video: Patrycia Ziolkowska, Elia Harzer, Prashanti, Eisenhans.
Dauer: 1 Stunde 10 Minuten, keine Pause
www.ballhausost.de
www.ulyssesprojekt.de
"Hier stürzen zwei unvermittelt in die Jetztzeit, um zu ergründen, wo wir leben, und wie, und warum", schreibt Dirk Pilz über die beiden Schauspieler in der Berliner Zeitung (13.5.2013). Zur Multimedialität des Projekts heißt es: Das Theater und die Filme zum Stoff wirkten auf den Kritiker "für sich genommen" seltsam schlaff, beide zusammen ergeben aus seiner Sicht jedoch "ein schön wackliges und zugleich luftiges Assoziationsgelände. Ein Puzzle aus Joyce-Etüden, das sich im Kopf des Betrachters zur Symphonie vereint."
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"Maschinen. Malmen einen Menschen in tausend Stücke, wenn sie ihn einmal erwischt haben. Beherrschen die Welt heutzutage. Das tun seine Maschinerien ja auch: feste drauflos, mahlen trefflich fein. Wie diese hier, wenn man sie nicht mehr in der Hand hat: alles zergärend. Arbeiten weg, reißen weg. Ja, und die alte graue Ratte vorhin, die sich zerriß, um reinzukommen."
Tolles Bild von Joyce, stimmt heute ohne Zweifel immer noch.
Wie man "Ulysses" von James Joyce mal eben so querliest, können sie mir ja mal bei Gelegenheit erklären. Zumindest mit der Sekundärliteratur scheinen Sie sich ja besten auszukennen. Aber warum sollten ein Spieler, ein ehemaliger Millionär, oder ein Impresario nicht da reinpassen. Sind doch alles alltägliche Glückssucher, jeder so auf seine Weise. Sie sollten sich ruhig die Zeit nehmen und alle Videos ansehen, dann wird Ihnen vielleicht der Zusammenhang etwas klarer. Außerdem ist es ja das Prinzip des Romans, dass eben nichts klar ist. Ein schier end- und zusammenhangloser Strom der Gedanken, von Reflexionen auf das Leben ansich.
Komplette Kritik: http://stagescreen.wordpress.com/2014/05/13/scheitern-als-prinzip/