Auferstehung - Deutsches Theater Berlin
Rußverschmierte Reue
27. März 2022. Eine Geschichte von Schuld und Sühne erzählt Lew Tolstoi in seinem letzten Roman "Auferstehung". Armin Petras setzt den Stoff jetzt mit viel Aufwand als bildmächtiges Breitwandpanorama in Szene.
Von Simone Kaempf
27. März 2022. Von diesem Gericht lässt sich Gerechtigkeit nicht erhoffen. Ein Geschworener schwärmt nur vom Festschmaus, der noch auf ihn wartet. Der überstrenge Staatsanwalt mit schwarzem Zylinder hat noch viele Fälle vor sich. Und die des Mordes angeklagte Prostituierte hat keinen Anwalt und muss sich selber verteidigen. Folglich liegt das Urteil nahe, das der Richter spricht: Schuldig.
Ein Prozess wie eine Karikatur ist es, mit dem Armin Petras seine Inszenierung von Lew Tolstois "Auferstehung" am Deutschen Theater startet, und es bleibt nicht die einzige dieses Abends. Breit, bildmächtig und szenisch mäandernd fährt Petras auf, um den langen Weg des Fürsten, Lebemanns und Sinnsuchers Nechljudow zu erzählen. In der Verurteilung der jungen Jekaterina Maslowa erkennt er sein eigenes Mitwirken und weiß, dass das Urteil ein Irrtum ist. Vor Jahren war er ihr bei seiner Tante begegnet, wo sie als Ziehtochter und Hausmädchen aufwuchs. In der Osternacht verführte und schwängerte er sie. Aber nicht er, Nechljudow wurde bestraft, sondern sie verstoßen.
Welt aus Gewalt
Nechljudow versucht, diese Schuld wiedergutzumachen und das Schicksal zu wenden, das ist die Essenz von "Auferstehung". Der Weg dahin ist lang, nicht nur weil Nechljudow der Verurteilten bis nach Sibirien in die Verbannung folgt. Wortreich werden Ideologien und Überzeugungen ausgebreitet. Und auch in der von Petras bearbeiteten Version fragt der Geläuterte noch am Schluss in aller Vergeblichkeit: "Wie kann ich leben, ohne mich immer schuldig zu fühlen?"
Felix Goeser spielt diese Szenen rußverschmiert zwischen den Resten eines Straflagers. Bevor es aber derart ernst wird, die Häftlinge die Fahnen schwingen und den Aufstand üben, geht es erst einmal pittoresk zu, ja fast comicartig. Es ist Osternacht auf dem Landgut der Tante. Scherenschnitt-Figuren werfen ihre schwarzen Schatten tänzelnd auf die Bühne. Landarbeiter schieben einen Karren, ein Bauer mäht das Gras mit der Sense und hackt Holz. Dann zieht die heitere Prozession wie in der Osternacht mit Kreuzen in die Kirche.
Sehr spielerisch ist das gemacht, und auch die Rückblende in die ersten Begegnungen als noch Jugendliche gerät mit Pappmasken und Zopfperücke verzerrt comic-ähnlich. Natali Seelig imitiert die Ziehmutter mit ausgestopfter Hüfte und Kopftuch in komischer Garstigkeit und punktet mit Slapstick. Aber man fragt sich auch, ob das nicht zu viel des Menschenzoos ist. Nechljudows adlige Verlobte Missi wiederum trägt extravagante Kostüme und lebt in einem Holzwand-Interieur der teureren Art. Auf seine Versuche, sich loszusagen, reagiert sie (gespielt von Kotbong Yang) allein mit Posing und Verführungsversuchen.
Windmühle und Mülltonnen
Zur Karikatur geraten in diesem ersten Teil beide Milieus: die ländliche Welt und die bessere St. Petersburger Gesellschaft, die Zylinder trägt aus alten Zeiten oder Kleider wie heutige Super-Reiche. Die mächtigen Bilder und die vielen Rollen- und Kostümwechsel dominieren und drängen Nechljudows intensive und wortreiche Suche in den Hintergrund. Und dann gibt es noch die dritte Welt: die Verbannten, politischen Häftlinge, verurteilten Revolutionäre und Kämpfer für Gerechtigkeit. Für Jekaterina Maslowa werden sie das, was Nechljudow nicht zu sein schafft: Lehrer, Vorbilder, denen sie sich verbunden fühlt.
Der zweite Teil Abends bereitet ihnen die Bühne, und Petras reißt überhaupt den Spannungshebel in die Höhe. Ein Energieschub, der auch die Spielerinnen deutlich befreit. Harter Techno ersetzt nun die Streicherklänge und Orchestermusik, die zuvor alles theatralisch untermalte. Peta Schickarts Bühnenbild zeigt eine große Windmühle, samt Stahlofen und Mülltonen, in denen Feuer aufglimmt. Wirkte Anja Schneiders Maslowa erst fast wie eine Nebenfigur, zeigt sich jetzt eine Frau, die eigene Entscheidungen trifft und Nechljudows Heiratsangebot ausschlägt. Da lässt Regine Zimmermann als Botschkowa ihren Fantasien freien Lauf, wie nach der Revolution alle Kleinbürgerlichkeit über den Haufen geworfen wird. Zusammen diskutiert man über Darwinismus und das Überleben menschlicher Schwächen in der Evolution.
Rede gegen den Krieg
Rote Fahnen werden geschwungen, die Windmühle in Gang gesetzt, an deren Flügeln irgendwann Flugblätter flattern. Eine Choreographie eines Aufstands, mit dem die Inszenierung am Ende in der Gegenwart ankommt. Zwischendurch klingen die ersten Sätze aus Tolstois "Rede gegen den Krieg" an, beim Einlass wurde die Rede auch an die Zuschauer:innen verteilt. An einen Anti-Kriegs-Appell reicht das jedoch nicht heran. Und den harmlos russisch-folkloristischen Bildern sitzt man eher ratlos gegenüber.
Vielleicht wäre das im November zum ursprünglichen Premierentermin noch anders gewesen. Aber jetzt entsteht das Panorama unterschiedlicher Menschen, die etwas verändern wollen und dafür weit zu gehen bereit sind.
Auferstehung
von Lew N. Tolstoi
in einer Bearbeitung von Armin Petras
Regie: Armin Petras, Bühne: Peta Schickart, Kostüme: Annette Riedel, Musik: Sven Kaiser, Dramaturgie: Bernd Isele.
Mit: Anja Schneider, Natali Seelig, Katrin Wichmann, Regine Zimmermann, Felix Goeser, Paul Grill, Andreas Leupold, Sven Kaiser.
Premiere am 26. März 2022
Dauer: 3 Stunden 10 Minuten, eine Pause
www.deutschestheater.de
Kritikenrundschau
"Wo ist die Intendanz? Gibt es eine Dramaturgie, die sich solchen naiven Blödsinn mal genauer anschaut und eingreift?", stöhnt Rüdiger Schaper im Tagesspiegel (27.3.2022). "Viel Schwund" sei bei Romanadaptionen ja immer, hier aber wolle man "sich schämen", da Petras in seiner Bearbeitung, "nicht einmal die Grundlinie" der Geschichte erzähle, geschweige denn, dass er "eine Atmosphäre oder einen Ort, einen Zeitpunkt" schaffe, "an dem das spielen könnte". Stattdessen bekomme man "nur peinliche Klischees zu sehen". Es sei "schon ein Kunststück, den alten Tolstoi in seiner massiven Gesellschaftskritik derart zu entschärfen", so der Kritiker in seinem veritablen Verriss.
"Wie immer experimentiert das Petras-Ensemble furchtlos mit allen möglichen Formen offenen Spiels, eingeflochten in epische und bildliche Erzählweisen", schreibt Doris Meierhenrich in der Berliner Zeitung (27.3.2022). "Geschickt" sei, "wie Petras dem durchaus auch sentimentalen Wandlungsdrama des Romans jede einfühlende Psychologie entzieht, stattdessen in verschiedensten Schattierungen eine Art lebendiges Pappfiguren-Theater stattfinden lässt". Das habe zwar "wunderschöne, vielgestaltige Sequenzen" zur Folge, zünde an diesem Premierenabend gleichwohl aber "nicht ganz".
"In dem schönsten Bild dieses Abends huschen Schatten vor einer nebelverhangenen Landschaft vorbei: ein Bauer mit Sense, ein Mann, der Holz hackt, ein Pope, Bilder einer Prozession des Landlebens", so Eberhard Spreng im DLF (27.3.2022). Gerade nur illustrierend stünden hier viele Figuren Tolstois für Typen sozialen Verhaltens. "Die Flächigkeit dieser Menschen illustriert Petras mit einem Theater der forcierten Unfertigkeit: Sein Ensemble agiert, so als machten sich da Theateramateure mit dilettantischem Spiel über einen Stoff her. Theater als lustige Karikatur von Theater." Mit Bildern einer fröhlichen Apokalypse gehe der lange Abend zu Ende, ohne dass man wüsste, wie diese mehrfach verschobene Inszenierung in der veränderten Situation heute gedeutet sein will. "Sind wir mit Tolstoi gegen Putin und für Russland? Oder doch nur im Allerlei der theatralen Illustration von Diesem und Jenem? So unentschieden wirkt diese 'Auferstehung' wie unglücklich aus der Zeit gefallen."
Wie im "lustigen Gulag" kommt sich Peter Laudenbach für die Süddeutsche Zeitung (28.3.2022) vor. Ein "typenfroher Schwank mit lauter lustigen Knallchargen" sei aus Tolstois "Geschichte einer moralischen Läuterung" geworden. Dabei suggeriere das "gewollt kindlich naive Petras-Volkstheater (...) etwas zu penetrant, dass das alles nur ein Spiel ist".
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Anders und erfreulich die Beschreibung des Gesehenen von Simone Kaempf von Nachtkritik.
Für mich war es ein Fest der Schauspieler:innen, allen voran: Zimmermann, Wichmann, Schneider, Yang... Letztere fehlt übrigens in der Auflistung der Spieler:innen... Seelig, Leupold, Grill und Kaiser.
Wer in dieser Inszenierung ausschließlich Klamauk sieht, muss geschlafen haben. Der zweite Teil ist ein surreales Bild, ähnlich wie "Im Herzen der Finsternis".
Ein wichtiger und guter Theaterabend.