Dantons Tod - Studenten spielen eine "Best of"-Fassung in der Box
Von der Mutter allen Terrors
von Nikolaus Merck
Berlin, 18. November 2007. Wenn Schauspielstudenten "Dantons Tod" von Georg Büchner spielen, was ist davon zu erwarten? Gewiss keine repräsentative Aufführung, keine gültige Neudeutung oder eine Auseinandersetzung mit dem Stoff, die etwa die mangelnde Triftigkeit der Thesen von Georg-Büchner-Preisträgern theatralisch aufdecken könnte.
Nein, der eher halbstarke St. Just (Paul Schröder) im Deutschen Theater hatte so wenig von Himmler, wie Georg Büchner sich am Ende des Abends als Nihilist entpuppt, der billigend den gewaltsamen Tod von Millionen Opfern revolutionären Terrors in Kauf nimmt.
Ein Unding, ein Brocken
Stattdessen zeigte sich nur, wie wesensfremd Büchners sprachgewaltige Klage über die Sinnlosigkeit menschlicher Existenz dem hedonistisch gepolten Zeitalter doch ist. Und auch die fragwürdige Behauptung, dass der terreur der französischen Revolution die Mutter allen uns bekannten Terrors darstelle, macht die Sache nicht greifbarer. Im Grund nämlich ist "Dantons Tod" ein Unding, ein Brocken, in dem Büchner seitenlang aus Protokollen des Revolutions-Konvents zitiert, voll gelehrter Anspielungen auf antike Mythen, vor allem aber gespickt mit Monologen, die nach den allerersten Schauspielern deutscher Sprache verlangen.
So gesehen hat sich das 3. Studienjahr der Berliner Ernst-Busch-Schule überaus achtbar aus der misslichen Affäre gezogen. Naturgemäß inszenierte Christoph Mehler in der 60 Zuschaumenschen fassenden Box des Deutschen Theaters, deren künstlerischer Hausmeier er selbst ist, nicht das ganze Drama um den lebensüberdrüssigen Danton. Sein "Best of" des Stoffes umfasst die schönsten Monologe und wundervollsten Phrasen, wie die von den "Rossen der Revolution", die Danton "am Bordell halten machen" wolle, worüber Herr Robespierre arg mit den Kiefern mahlen muss.
Von stählernen Kinnmuskeln droht Gefahr
Dabei, spöttischer Frohsinn beiseite, gehören die beiden monologischen Auftritte von Franz Konstantin Beil als revolutionärer Tugendbold Robespierre zu den Höhepunkten des Anderthalbstünders. Beil gibt das verhaltene Feuer des gefährlich leisen, deshalb umso bedrohlicheren Ideologen des Schreckens. Keine großen Gesten und ironisch-überlegenen Blicke wie bei seinem Gegenspieler Danton, den Sebastian Schwarz vornehmlich breitbeinig als eine Mischung aus gutem Banden-Boss und überheblichem Box-Champion gibt – stattdessen nur versteifte Kantigkeit vom kurz geschorenen Scheitel bis zur Sohle, viel stählerne Kinnmuskeln und eine Entschlossenheit, die die fehlende Brillanz doppelt aufwiegt. Ein Mann, jederzeit bereit, zwischen sich und der Welt eine tödliche Grenze zu ziehen.
Mehler und die Seinen legen ihren Danton-Digest als Schlüpfrigkeit an, je länger, je mehr Theaterblut und Wasser verwandeln die Aluminium-Spielfläche in eine Rutschbahn. Kein Halten hier, Metapher, Metapher, solange die Revolution ihre Kinder noch nicht frisst, zieht sie ihnen schon mal den Boden unter den Füßen weg.
Die Männer raufen, die Frauen schauen
Dabei läuft das Unternehmen auf das rhetorische Duell der beiden Leithammel vor den Schranken des Konvents zu. Den spielen stumm die Zuschauer. Der starre Robespierre macht dabei den Eindruck, als könne er jederzeit erfolgreich als Scharfmacher bei den Neofaschisten anheuern, derweil der leicht füllige Danton an seiner eigenen Überheblichkeit zu Grunde geht. Wie sich das allerdings genau vollzieht, bleibt im Ungefähren einer allgemeinen Rauferei der Deputierten und in den Leerstellen der ausgelassenen Texte verborgen.
Ohnehin ist das, was an den Rändern von den jeweils zuschauenden Akteuren geboten wird, oft spannender und vielsagender als das Geschehen im Zentrum. Am Rand sitzen die Frauen und schauen. Und während die Herren noch kabbeln, wissen die Damen längst, was kommt.
Somnambul und bewegungslos starrt Lucile (Laura Tratnik) auf das Unheil, das ihren Camille verschlingen wird. Derweil die innere Zerrüttung von Dantons Frau Julie (Gina-Lisa Maiwald) sich nach der Verhaftung ihres Gatten zu einer fast wortlosen Klageszene aufgipfeln wird, eine Szene, deren anrührende Kraft durch ein überflüssiges Anspiel eines Herrn im Publikum ganz zuletzt wieder zerdeppert wird. Sei's drum.
Trotz solcherart Vermeidbarkeiten überzeugen die zehn Jungakteure mit Lust und gleichsam frisch gewaschener Spielfreude. Wo es an Durchdringung des Textes und dramaturgischem Zusammenhang fehlt, schmeißen sich die zehn mit umso größerer Unbedingtheit in die Bresche. Vor dieser Haltung zieht der Rezensent ganz einfach achtungsvoll seinen Hut.
Dantons Tod
von Georg Büchner
Regie: Christoph Mehler, Ausstattung: Giulia Paolucci, Chorische Einstudierung: Marcus Crome.
Mit: Gina-Lisa Maiwald, Laura Tratnik, Annika Schilling, Franz Konstantin Beil, Johann Jürgens, Matthias Luckey, Marc Rissmann, Paul Schröder und Sebastian Schwarz.
www.deutschestheater.de
Kritikenrundschau
In der Berliner Zeitung (20.11.2007) schreibt Ulrich Seidler, Regisseur Christoph Mehler habe die zehn Studenten "umstandslos auf ein vergrößertes Fallbeil gestellt ... ein überzeugendes Bild für die Identität von Gedanke und Tat, wie sie in jenen Zeiten praktiziert wurde". Allerdings: "Das Ganze könnte auch ein psychodramatisches Seminar oder ein konfrontatives Casting sein." Das Stück werde nur "angerissen", seine "Fragestellungen vergröbert", die Figuren blieben "eindimensional" - doch gebe es auch "starke, intensive Auftritte". Mehler vermochte "seine Spieler zu motivieren. Indem er sie aufeinander hetzt und die Konkurrenzsituation, die zwangsläufig an Schauspielschulen herrscht, nutzt, kriegt das Ganze ordentlich Druck und Kraft." Auch wenn es Büchner "wahrscheinlich" um mehr gegangen sei, aber das könne man ja "nachlesen".
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