der tempelherr - Philipp Arnolds Uraufführung des Stücks von Ferdinand Schmalz im Deutschen Theater Berlin
Die Oberfläche – als Fundament
von Michael Wolf
Berlin, 3. März 2019. Ein Raumschiff ist im Deutschen Theater notgelandet. Steinerne Tragflächen lehnen sich mühsam aneinander, bilden mit letzter Antriebskraft ein zertrümmertes Dreieck. Vor der Unfallstelle rieselt Laub auf das Ensemble herab. Gekleidet in glitzernde Lumpen, wirken sie wie eine postapokalyptische Elite.
Was ist denn hier passiert? Die Fünf erzählen. Nein, das ist kein Raumschiff, eher ein Luftschloss. Der Lehrer Heinar hat es gebaut. Ziel war ein Eigenheim für seine Kleinfamilie, ein Refugium vor den Toren der Großstadt. Aber dann habe Heinar gemerkt "dass er nicht bauen könne / wenn er das bauen selbst nicht für sich neu erfinde". Einen Tempel hat er schließlich errichtet, "denn bei den tempeln müsse man anfangen", "aus den ruinen, den ruinen dieses kontinents heraus müsse man sich selber neu erfinden". Natürlich geht das nicht gut aus. Heinars Umfeld erzählt, wie sie sich alle von ihm abwandten, diesem Spinner. Als sein Kind vom Gerüst stürzt, verlässt ihn auch seine Frau Petra. Heinar aber baut unbeirrt weiter, bis er selbst in seinem Tempel verschwindet.
Ruinen-Konstruktion
Wir befinden uns in der Welt des Dramatikers Ferdinand Schmalz. 2017 gewann er mit einer Erzählung den Ingeborg Bachmann Preis, am Theater ist der 34-Jährige schon lange bekannt. Schmalz' Stil ist unverwechselbar. Es ist der Dialekt eines Paralleluniversums, in dem Elfriede Jelinek, Werner Schwab und Ludwig Wittgenstein sich bei Sonnenuntergang zum Bongospielen treffen. Der Rhythmus klingt, als würde der Autor seine Sätze in derselben Bewegung streicheln und zerhacken. Schmalz' Kunstfertigkeit liegt in der selbstgewissen Künstlichkeit seiner Sprache. Seine Wörter denken über sich selbst nach, leugnen ihre Bedeutung, lachen sich tot über die eigene Existenz.
"der tempelherr" ist sein bislang konsequentestes Stück. Weil sein Held sich an etwas abarbeitet, was Schmalz mit seinen Sprachspielen beständig adressiert. In einer Vorbemerkung zählt er auf, was alles frei erfunden sei: die Figuren, das Theater, die Stadt und "die natürlichste natur drum rum" und selbst das angesprochene Publikum; "das einzige, das existiert, / sie ahnen es, / sind ähnlichkeiten, / unendlich viele ähnlichkeiten, / um die es uns hier geht."
Schmalz' "erbauungsstück" nimmt sich die dominante Geisteshaltung unserer Zeit vor, den Konstruktivismus. Ihm zufolge hat nichts auf der Welt eine originäre Bedeutung; so etwas wie Sinn ergibt sich nur durch Zuschreibungen, durch die Kombination von Zeichen, die sich aber längst so weit aufgetürmt haben, dass niemand mehr weiß, was eigentlich unter ihnen begraben liegt. Deswegen baut Heinar einen antiken Tempel, er will zurück zu einem Anfang, er will die Grundlage für eine neue Epoche legen. Es ist "der versuch, ein zentrales geheimnis, / eine unverfügbarkeit, ein heiligtum zu schaffen, von dem aus weiter gebaut werden könne". Letztlich möchte er also wieder einen Gott installieren, der letzte ist ja schon eine Weile tot. Das zugleich düstere wie futuristische Setting deutet darauf hin, dass er sogar Erfolg hatte. Womöglich hat sein Tempel eine neue Zeit eingeleitet, eine Zeit aber, die inzwischen schon wieder genauso verschüttet ist wie die der Alten Griechen.
Made in Maßarbeit
Die Uraufführung in der Kammer des Deutschen Theaters verhandelt also gewichtige Themen. Aber Schmalz nötigt zum Glück niemanden, sich über dem eigenen Niveau zu amüsieren. Man muss die vielen Anspielungen an Mythologie, Philosophie und Politik nicht zwingend bemerken; der Humor, die Tragik und ihre klassische Dramaturgie tragen die Geschichte auch so. Die Oberfläche dient als Fundament. Schade nur, dass die Schauspieler über Strecken des Abends archaische Masken tragen. Ihr Einsatz ergibt nur vage Sinn als Referenz auf das antike Theater; vor allem aber geht einiges verloren, wenn die Gesichtsmuskeln nicht im Takt der Silben tanzen. Durch den Körper muss dieser Text schon durch, sonst klingt er nicht. Ansonsten macht Regisseur Philipp Arnold genau das richtige, nämlich nicht zu viel. Er verordnet genaue Spracharbeit und sucht keine Spielanlässe, wo sie nicht versteckt sind. An diesem Abend sind Details gefragt, kleine exakte Aktionen.
Harald Baumgartner knurrt mafiös heiser, lässt sein Augenlid zucken und fuchtelt aus Wut über den verdorbenen Schwiegersohn mit dem Gehstock. Linn Reusse lauert ständig auf die Millisekunde, in die gerade so eine spitze Pointe passt oder eine oblatendünne Traurigkeit. Bernd Moss, als Affäre von Heinars Frau, lässt den Kopf zentimetergenau hängen, als sie an seiner Liebe zweifelt. Großartig besetzt ist auch die humorhochbegabte Natali Seelig als Petra. Sie inhaliert den feinen Witz und lässt ihn ganz organisch aus ihren Poren entweichen. Da hebt er ab, der Text, da schwebt er über den Ruinen.
Der tempelherr – ein erbauungsstück
von Ferdinand Schmalz
Uraufführung
Regie: Philipp Arnold, Bühne: Viktor Reim, Kostüme: Julia Dietrich, Video: Sebastian Pircher, Musik: Matthias Lunow, Licht: Christina Jedelski, Dramaturgie: Bernd Isele und Juliane Koepp.
Mit: Natali Seelig, Harald Baumgartner, Bernd Moss, Linn Reusse, Edgar Eckert.
Premiere am 3. März 2019
Dauer: 1 Stunde 20 Minuten, keine Pause
www.deutschestheater.de
Kritikenrundschau
"Der Dramatiker Ferdinand Schmalz", schreibt Peter Laudenbach in der Süddeutschen Zeitung (7.3.2019), "erforscht den Aberwitz im zeitgenössischen Miteinander." Die Stehparty von Trauergemeinde biete "Anlass für allerlei Gedankenpingpong" unter von sich selbst gelangweilten Zeitgenossen. Die Uraufführungsinszenierung gerät laut Laudenbach "etwas bieder und ausstattungsverliebt, aber mit Freude am komischen Potenzial" des Stückes, dem der Kritiker viele wagemutige Nachinszenierungen wünscht: "Es kann gar nicht genug Schmalz-Erbauung geben."
Als "gesellschaftskritische Satire auf die permanente Selbststilisierung und Selbstkastrierung einer Gegenwart, in der jeder Aufbruch, jeder noch so kleine revoltierende Schritt sofort wieder in bereits vorhandene Geschichts- und Bildkategorien einsortiert und zu folgenlosen Kulten ikonisiert wird", beschreibt Doris Meierhenrich das Stück in der Berliner Zeitung (5.3.2019). Das Mythische des Stücks hat der Regisseur aus Sicht der Kritikerin "zum Motor seiner Inszenierung gemacht" leider aber nur als "deren ausufernde Karikatur." Anders sei "die statische, einfallslose Behandlung der fünf Schauspieler nicht zu deuten, die in glitzernd-ruinösen, antikisierenden Feudalkostümen samt steinernen Chormasken wie eine Art postapokalyptische Heinar-Müller-Gesellschaft aufgereiht an der Rampe stehen und mit quasi improvisiertem Routinewitz den klangreichen Text zum eher stumpf lauten Standkabarett machen."
"Schmalz' Sprache, die sich sonst durch einen eigenartigen Rhythmus und eine verquere Diktion auszeichnet, hört sich hier überraschend brav und gezügelt an," schreibt Simon Strauß in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (5.3.2019). Aus Sicht des Kritikers gehen die Worte "hier zu leicht und logisch über die Lippen, als dass sie eigenartig wirken könnten. Die Inszenierung von Philipp Arnold versucht zwar mit Hilfe von Videoeinspielungen und Klangimpulsen einen bedrohlichen Hintergrund zu suggerieren, aber im Wesentlichen bleibt das Ganze doch eine recht harmlos unterhaltsame Vorstadtfarce."
"Philipp Arnold und seinem Team gelingt hier die kongeniale Ur-Inszenierung eines tollen Stückes," schreibt Christine Wahl im Berliner Tagespiegel (5.3.2919). Regisseur Philipp Arnold gibt aus Sicht der Kritikerin dem Anspielungsreichtum des Texts Raum, "ohne ihn durch enge Bebilderungen zu verzwergen". Arnold und seine Akteure hätten sehr genau in den Text hineingelauscht und den spezifischen Sprachwitz dieses 1985 in Graz geborenen Autors mit großer Präzision herausgearbeitet. Schmalz selbst erweise sich mit seinem neuen Stück einmal mehr als "Meister des großen Gesellschaftssymbols".
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Heinar ist der große Abwesende. Witwe Petra (Natali Seelig), Schwiegervater Kurt (Harald Baumgartner) sowie die „Zaungäste“ genannten Nachbarn Markus (Bernd Moss), Christina (Linn Reusse) und Thomas (Edgar Eckert) umkreisen ihn in ihren assoziativen Erinnerungen.
Philipp Arnold, seit 2015 Regieassistent am DT und 2017 mit der starken Fassbinder-Adaption „Tropfen auf heiße Steine“ aufgefallen, beginnt den Abend sehr vielversprechend mit langen Kamerafahrten (Video: Sebastian Pircher) durch eine Theater-Ruine, die Spieler*innen stecken in Kostümen von Julia Dietrich, die Rokoko-Mode und Neandertaler-Fell in skurriler Fantasy-Manier kombinieren, und staksen durch eine aus den Fugen geratene Trümmerwelt (Bühne: Viktor Reim).
Die 80 Minuten bieten einige nette Einfälle: Die RTL-Serie „Bauer sucht Frau“ wird kurz parodiert, was aber nicht weiter verfolgt wird. Die Einheimischen tragen Alien-artige Masken, aber auch dieser eindrucksvolle Kostümeffekt wird verschenkt.
Das Hauptproblem des Abends ist, dass die Textvorlage nicht trägt: die Groteske will einfach keinen richtigen Sog entfalten. Zu statisch kämpfen sich die fünf Spieler*innen durch die Vorlage.
Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2019/03/04/der-tempelherr-ferdinand-schmalz-deutsches-theater-kritik/
Dabei finden Schmalz – wie immer – Arnold und die famosen Spieler*innen (neben den genannten Linn Reusse, Edgar Eckert und der führ dieses Stück unverzichtbare Singsang des Harald Baumgartner) eine Menge Humor in der weitgehend entfärbten, dunkel schroffen Nach-Welt voller grotesker Maskenwesen, albtraumhafter, archaischer, gesichtsloser. Die Figuren sind durchaus karikaturesk angelegt, deuten hin auf so manche Spezies ((post)post)moderner, urbaner (und nicht-urbaner) Zivilisationsbewohner – vom Besorgtbürger über den ordnungsliebenden Spießbüger bis zum patriarchalen Machtmensch, wobei auch Aussteigerträumer Heinar genügend Fett wegkriegt – und sorgen für manch wohligen Lacher. Wie der Abend ohnehin vielleicht ein bisschen zu wenig wehtut. Zu klar sind die Fronten, zu wahnwitzig Heinars Gegenentwurf, zu deutlich und früh auserklärt die Kernmetaphern. Und stört doch kaum, denn Schmalz‘ Sprachananrchie ist so anders als Jelineks: nicht aggressiv herausfordernd, sondern sich anschmiegend, einschmeichelnd, einlullend und in höchster Bequemlichkeit dem Zuschauer den Boden unter den Füßen wegziehend. Was das gesagte nicht immer schafft, die Unsicherheit, die Fragilität gesellschaftlichen des Konsens zu vermitteln, tut die Art, wie gesagt, gesprochen, dekonstruiert wird. Das gilt auch für Arnolds Inszenierung. Sie grinst ihr Publikum freundlich an, nimmt es an die Hand, bis es unvermittelt vor dem großen schwarzen Abgrund steht. Der wiederum – wie könnte es anders sein? – lächelt.
Komplette Rezension: https://stagescreen.wordpress.com/2019/03/04/der-abgrund-lachelt/