hildensaga - Deutsches Theater Berlin
Jenseits der Wolfsspur
29. März 2024. Wie kam es zu all dem Schrecken? Hätte es einen anderer Weg gegeben, der nicht in die Katastrophe geführt hätte? Fragen wie diese eröffnet Ferdinand Schmalz in seiner überaus erfolgreichen Nibelungen-Neudeutung. Die nun in hochkarätiger Besetzung am Deutschen Theater in Berlin über die Bretter ging.
Von Janis El-Bira
29. April 2024. Die Wacht am Theater-Rhein scheint abgelöst. War der Nibelungen-Mythos jenseits seiner Verwagnerung in der Oper bisher fest in der Hand von Friedrich Hebbels untergangsseligem Trauerspiel, legt in den vergangenen zwei Jahren die Neubearbeitung des österreichischen Dramatikers Ferdinand Schmalz einen beachtlichen Siegeszug hin.
Seit der Wormser Uraufführung 2022 wird Schmalz‘ "hildensaga" zwischen Burgtheater und Baden-Baden mittlerweile rauf und runter gespielt. Wohl auch deshalb, weil ihr das Kunststück einer Modernisierung gelingt, die gleichzeitig nicht modisch wirkt. Zum feministischen Twist der sich gegen die Männerbünde verschwisternden Rivalinnen Brünhild und Kriemhild gibt’s Schicksalsdräuen und eine Portion hochtönendes Silbengeklingel. Wer könnte da widerstehen?
Gegenwart in Trümmern
Folglich fragt man auch bei der "hildensaga" schon, wie man nur bei Dauerbrennern fragt: Wie war’s denn diesmal, also bei Regisseur Markus Bothe und seinem rund um Svenja Liesau, Julischka Eichel und Ulrich Matthes erstklassig besetzten Ensemble am Deutschen Theater Berlin? Nibelungentreu, ließe sich antworten, wenn auch nicht sklavisch am Stückaufbau klebend. Das zeigt schon der erste Auftritt des Abends: Ulrich Matthes spielt die Nornen – alle drei, weil sie eh als eine sprechen – und ringt in seinem kardinalsroten Gewand (überhaupt großartig: die Kostüme von Justina Klimczyk) mit dem Schicksalsfaden.
Wohin müsste man zurück, um die Begegnung zwischen Wotanstochter Brünhild und ihrem tumben Helden Siegfried zu verhindern, in deren Nachgang letztlich der ganze Wormser Hof zerfiel? Diese Nornen, deren Text edel schimmert im Matthes-Sprachgebirge aus glitzernden Höhenzügen und abgründigen Pausen, stehen vor einer Gegenwart in Trümmern. Unerklärlich, wie es so weit kommen konnte. So öffnet der Abend mit der Markierung eines katastrophischen Ist-Zustands, nach dessen Verfasstheit Bothes Inszenierung immer mal wieder die Fühler reckt.
Verschiebeware im Machtgeflecht
Dazwischen hat der Theatergott den Klamauk gesetzt. Die Inszenierung hat wie noch jede vor ihr massiven Spaß an Schmalz‘ Zeichnung der Wormser Hofschranzen rund um den schwachen König Gunther (Florian Köhler) und ihrer Fahrt ins isländische Eis, wo Brünhild mit Schrecken herrscht. Sie zu freien sind die Mannen in den nippelhohen Hosen und ostereibunten Pelzmänteln angerückt. Der vermeintlich unbesiegbare Siegfried (Janek Maudrich) soll dabei helfen – im Tausch gegen Gunthers Schwester Kriemhild. Also flext der seine mäßig ausgeprägten Muskeln und bezwingt letztlich an Gunthers statt mit einem Seidenstrumpf über dem Gesicht Brünhild. Sie und Kriemhild werden zu Verschiebewaren im Machtgeflecht des Hofes – bis sie sich zusammentun, um sich zu wehren.
Auf der scharfkonturig ausgeleuchteten Drehscheiben-Bühne von Kathrin Frosch entsteht daraus ein Abend güldenen Schauspielhandwerks. Jede Geste: punktgenau abgeliefert. Jedes Zusammenspiel: bestens aufeinander abgestimmt. Texthänger: null. Svenja Liesaus Brünhild ist aufgekratzt wie eine Berliner Einzelhändlerin kurz vor Ladenschluss. Felix Goesers Wotan: ein Machertyp, von dem man sich noch die dümmsten Geschäfte aufschwatzen lassen würde.
Umtriebe des Patriarchats
Tatsächlich fast ein Ereignis ist die sich überschlagende Kriemhild von Julischka Eichel. Schon bei ihrem ersten längeren Auftritt dekonstruiert sie wie im Vorbeiflug den "male gaze" der vor ihrem Fenster lungernden Ritterschaft ("unendlich fernes wunschobjekt, abstraktes lustprinzip, das ist, was ich für die da bin."), um sich sodann ebenso wildentschlossen wieder ihrer Stickerei zu widmen. Eine Königsschwester, der die widerlichen Umtriebe des Patriarchats permanent offen vor Augen stehen, und die nur auf die richtige Komplizin wartet, sie blutig auszuhebeln.
Es lässt sich knappe drei Stunden lang gut unterhalten leben mit alledem. Mit Schmalz‘ klassizistisch anmutender Sprache, dem ultragediegenen Regiezugriff, sowieso mit diesen Schauspielern. Aber dort, wo der Text seine Widerhaken ausfährt, wo sich im Reden und Tun seiner Figuren ein Vernichtungswille Bahn bricht, der uns eigentlich schaudern lassen müsste, gerade hier und heute – selbst da bleibt alles grundsolide. Noch die schreckliche Vergewaltigung Brünhilds durch Siegfried erscheint lediglich wie ein unangenehmer Zwischenfall.
Raus aus dem Wald des Mittelalters
Wenn im zweiten Teil dann die "Hilden" vor dem Skelett des einst von Siegfried getöteten Drachen auf Männerjagd gehen, klatschen sich die Sterbenden eine Handvoll Magnesium vor die Stirn. Als gäbe es Vertrauen nur in die Wörtlichkeit des Witzes, nicht aber in die des Horrors. Lediglich Brünhilds Schlussrede, in der sie den Wolf beschwört, der als dialektische Kehrseite ihres gnadenlosen Emanzipations-Rache-Feldzugs mit ihr aus dem Wald des Mittelalters in die Moderne ziehen wird, läuft einem dann doch ziemlich kühl über den Rücken. Vielleicht braucht es noch ein paar Inszenierungen, um dieser Wolfsspur im Text einmal wirklich nachzugehen.
hildensaga. ein königinnendrama
von Ferdinand Schmalz
Regie: Markus Bothe, Bühne: Katharina Frosch, Kostüme: Justina Klimczyk, Musik: Friederike Bernhardt, Video: Fritz Gnad, Alexander Rechberg, Licht: Matthias Vogel, Dramaturgie: Jasmin Maghames.
Mit: Svenja Liesau, Julischka Eichel, Ulrich Matthes, Felix Goeser, Janek Maudrich, Florian Köhler, Jonas Hien, Jeremy Mockridge, Andri Schenardi.
Premiere am 28. März 2024
Dauer: 2 Stunden 50 Minuten, eine Pause
www.deutschestheater.de
Kritikenrundschau
"Der Dramatiker Ferdinand Schmalz hat in seiner poetischen, wortgewitzten Kunstsprache ein spannungsreiches Schlachtenepos mit feministischem Perspektivwechsel geschrieben," gibt Barbara Behrendt im rbb24 (29.3.2024) zu Protokoll. Regisseur Markus Bothe inszeniert das aus ihrer Sicht "solide und mit reichlich Hohn für die männlichen Hohlköpfe. Mitunter gerät der Abend aber reichlich harmlos. Die im Stück sprachlich erschütternden Szenen der Vergewaltigung, des Gemetzels, der feigen Morde sind hier viel zu flach geraten. Trotzdem: Die zentralen Fragen bleiben haften. Wo und wie lässt sich die Gewalt stoppen? Womöglich endet sie erst, wenn vom Menschen nur noch Knochen geblieben sind. Wie beim gigantischen Drachenskelett, das im zweiten Teil wie ein böses Omen auf der Bühne liegt."
"Bei Ulrich Matthes, einem Spiel- und Sprechkünstler, (...), der die Poesie eines Textes klug und differenziert zum Blühen bringt (..), sind Schmalz' Sprachraffinessen gut aufgehoben. Matthes (...) setzt den Ton, und er setzt ihn so, dass man sich dieser Aufführung als Zuschauer sofort anvertrauen will", schreibt Peter Laudenbach in der Süddeutschen Zeitung (30. 3. 2024). Leider stürzt Markus Bothes Inszenierung dem Eindruck des Kritikers zufolge nach Matthes' Prolog "trotz der tollen Schauspielerinnen (Svenja Liesau als Brünhild, Julischka Eichel als Kriemhild) arg ins Plakative, in die plumpe Zeigefinger-Überdeutlichkeit, in die mal lustige, öfter aber billige Karikatur, die die Figuren banalisiert und auf Witzniveau verkleinert."
"Drei Stunden dauert die Aufführung in der Regie von Markus Bothe. Angesichts der Mythenfülle ist man damit wohl noch gut bedient. Wobei der superflache Klamauk die Geduld arg strapaziert," schreibt Rüdiger Schaper im Berliner Tagesspiegel (30.3. 2024) "Die Männer um König Gunther (Florian Köhler) sind rundweg Schranzen und Knalltüten in grellbunten Vogelkostümen." Für die beiden Frauen sei es eine Kleinigkeit, diese Mannsbilder von der schräg gestellten Drehbühne zu fegen. "Das Problem ist nur: Da kann dann auch das alte Nibelungenlied mit weg. Und manch einen im Parkett zog es in der Pause schon ins Freie."
Ein "konzentrierter, klug inszenierter, bewegender Abend", schreibt Felix Müller in der Berliner Morgenpost (30.3.2024). Markus Bothe habe alle Rollen bestens besetzt. "Es ist ein Vergnügen, sich in Ferdinand Schmalz' rhythmisierte Sprache einzuhören, die unsere Gegenwart des Klimawandels aufblitzen lässt und den frauenverachtenden Subtext so beherzt spürbar macht. Der schicksalsdräuende Ulrich Matthes, Julischka Eichel als wandlungsfähige Kriemhild und Svenja Liesaus aus völliger Zerstörung auferstehende Brünhild bilden dabei ein kraftvolles Dreiergespann."
Das Ensemble wisse "bestens mit den präzisen Hohlformen der Rollen zu spielen, auf die Markus Bothes Inszenierung baut", lobt Irene Bazinger in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (5.4.2024). Das gelte vor allem für Julischka Eichel und Svenja Liesau: Die beiden "überragenden Darstellerinnen bringen ihre Figuren in fast traumtänzerischer Solidarität zusammen und atmen eine große Freiheit jenseits von Mythen und Moden". Regisseur Bothe folge dem "amüsant aufgezwirbelten Text mit formaler Konzentration und erstaunlicher Gelassenheit, was ihm hörbar guttut", so Bazinger.
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Gut gespielt fand ich das auch - so Readers Digest Nibelungen mit virtuosen Schauspielern, das Vergewaltigen und Ermorden konnte ich mir mit dem Magnesium gut vorstellen, wenn ich das in real, also blutig sehen will, muss ich ja nur die tägliche Kriegsberichterstattung anschauen, kein Bedarf an Bühnenhorror.
Hauptsache "feministisch" im Begleittext , für`s eigene Gefühl der Gesellschaft Impulse geben zu können! Auf der Bühne kein intergeschlechtlicher Austausch, keine tatsächlich starken Figuren die mit Visionen einer nachhaltigeren Welt aus dem Gewaltkreislauf/Unterdrückungsapparat ausbrechen. Zeternde, mordende Frauen und dümmliche, mordende Männer in Clownskostümen , die ohne Reflektion nie verstehen werden wie sie selbst zu Marionetten der Machtgefüge wurden.
So gilt die Devise: Gleiche Unterdrückung für Alle , statt Befreiung Aller !
... da ist selbst Disney "feministischer ".
Schade für die Schauspieler*innen, die so flach spielen müssen, schade für die Kunst, die derart unsinnlich und uninnovativ ihre mystische Kraft nicht entfalten kann, schade für's Publikum, das ohne Impulse und innere Berührung entlassen wird , und schliesslich schade um die vielen intelligent kreativen Künstler*innen die am DT nicht ran dürfen !
egal.
Mal den letzten Sybille Berg Abend am Gorki gesehen? Dagegen is dieser Zirkus am DT BRD Frauenempörungsquatsch von 1962.
Toll gespielt, aber wo bleibt die aktuelle Diskurshöhe ? Traut man uns Berliner*innen diese nicht zu ?
2.Wo sind die Autorinnen auf der großen Bühne ?
Muss es denn immer die aktuelle Diskurshöhe sein?
Kann es denn nicht eine andere Höhe sein?
Eine andere Theaterhöhe und Theaterhöhle?
Eine die etwas länger dauert als die aktuelle?
Mit fast drei Stunden hat der Abend doch einige Längen: Wann immer Matthes zu einem neuen Exkurs ansetzt und das Niveau hebt, ist die nächste alberne Szene der tollpatschigen Möchtegern-Helden nicht mehr weit. Schmalz schrieb diesen Text als Auftragswerk für die Nibelungenfestspiele in Worms, er machte überraschend Karriere und wurde landauf, landab z.B. am Münchner Volkstheater und Wiener Akademietheater nachgespielt, bevor er nun auf der großen Bühne des DT landete. Bothe bekam den Stoff bei seiner ersten Arbeit am Haus jedoch nicht richtig in den Griff. Am besten eignet sich der Text immer noch für den Zweck, für den er ursprünglich gedacht war: für ein Sommer-Event-Spektakel vor eindrucksvoller Dom-Kulisse mit hohen Schauwerten bei Kampf- und Tauchszenen, wie ihn der Berner Schauspieldirektor Roger Vontobel im Juli 2022 für die Wormser Nibelungenfestspiele inszenierte.
Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2024/04/12/hildensaga-ein-koeniginnendrama-deutsches-theater-kritik/