Penthesilea - Felicitas Brucker inszeniert Kleists Drama im Nirgendwo zwischen Knast, Schulhof und Kriegsfront
von Simone Kaempf
Berlin, 20. Oktober 2010. Mit einem Türknallen tritt die blutverfärbte Penthesilea der Anja Schneider noch einmal auf die Bühne, stellt sich zwischen die Oberpriesterin und den Griechenführer Odysseus, beide ergebnislos um die Schuld an den Gräueltaten streitend, und schleudert jenen zarten Schlussmonolog heraus, der den Irrtum so hart benennt: "So war es ein Versehen, Küsse, Bisse. Das reimt sich, und wer recht von Herzen liebt. Kann schon das Eine für das andere greifen."
Versehen und Schicksal, Lust und Rohheit verschmelzen in Felicitas Bruckers Inszenierung am Berliner Maxim Gorki Theater in der Tat zu einer diffusen Anziehungskraft. In ihrer "Penthesilea" steht eine Paarwerdung im Vordergrund, eines Paares freilich, das sich an der Kriegsfront finden muss. Anfangs werden Soldatenplaketten aus einem Plastikbeutel auf die Bühne geworfen. Man robbt in einem Video-projizierten Fadenkreuz über die Bühne, und Achill entdeckt Penthesilea zum ersten Mal an der Spitze ihres Amazonenheeres, das sich in den Krieg um Troja einmischt.
Liebesbad im Plastikbottich
Das Kriegsthema ist omnipräsent. Der Bühnenkasten in Sperrholzästhetik bleibt als Ort dennoch recht harmlos verspielt. Die hintere Wand fährt mal rampenartig hoch. Im symbolischen Kampf rutschen die Körper an ihr ab und bleiben leblos liegen. Wenn von Gewalt auch viel die Rede ist: Atmosphärisch befindet man sich auf einem ganz anders angesiedelten, viel harmloseren Terrain.
Penthesilea und Prothoe treten auf als beste Freundinnen, Typ Schulhof, die miteinander raufen und alle Geheimnisse teilen. Achill und sein kleines Gefolge repräsentieren eher eine Jungsgang, die durch Verrohung gekennzeichnet ist. Das Überzarte und exotisch Brutale hat Brucker nicht in einer Person vereint, sondern auf die Geschlechterwelten verteilt. Das antagonistische Prinzip wiederholt sich in Bilddetails, wenn Penthesilea und Achill in einem Plastikbottich als Liebesbad zusammenkommen und das Wasser in der nächsten Szene rot wie Blut gefärbt ist.
Karikatur des pädagogisch-autoritären Machtsystems
Was aber soll man davon halten, dass Prothoe mit komischen Verzweiflungsfusstritten bei den beiden anklopft? Oder dass die Oberpriesterin als ballettrattenhafte Aufseherin mit den Frauen Tanzschritte einübt? Eine der Szenen, die den Eindruck der Unstimmigkeit dieses Abends verstärkt. Was immer die Rechnung war: mehr als eine Karikatur des pädagogisch-autoritären Machtsystems ist nicht das Ergebnis.
Im Hauruck hat Regisseurin Brucker das Pathos des Stücks aufgebrochen. Das Ergebnis ist eine heruntergestrippte Liebesgeschichte, in der es am Ende zu einem blutigen Eklat kommt, so wie das Stück es vorsieht. Mit Anja Schneider und Michael Klammer als Penthesilea und Achill spielen zwei Protagonisten, die glanzvoll eine wunde Sehnsucht ausstrahlen. Zu Furien werden sie sich nicht entwickeln, warum sollten sie auch. Ahnungsvoll schauen sie immer wieder weit nach Vorne, als liege das Unheil dort sichtbar in der Ferne. Episch lehrbuchhaft wird in chorischen Szenen von ihrem Zusammentreffen auf dem Schlachtfeld erzählt. Dazwischen aber fehlt es einfach an einer Not, die sie treibt. Und an einem schlüssigen Zugriff, das Stück in seinen Wendungen, Täuschungen und Gefühlsgewittern glaubhaft zu machen.
Penthesilea
von Heinrich von Kleist
Regie: Felicitas Brucker, Bühne: Kathrin Frosch, Kostüme: Sara Schwartz, Musik: Jörg Follert, Video: Stefan Bischoff, Dramaturgie: Jan Kauenhowen, Carmen Wolfram.
Mit: Anja Schneider, Julischka Eichel, Ninja Stangenberg, Nele Rosetz, Michael Klammer, Wilhelm Eilers, Christian Kuchenbuch, Albrecht Abraham Schuch.
www.gorki.de
"Am Ende, nach zweieinviertel Stunden, ist man so schlau als wie zuvor und so ratlos wie der Ochs vorm Berg", schreibt Jürgen Otten in der Frankfurter Rundschau (22.10.2010). Felicitas Brucker interessiere sich in erster Linie für die Ordnungsmuster auf beiden Seiten und dafür, "wie es dem dieser Ordnung abtrünnigen Menschen, hier Penthesilea, dort Achilles, in einem so restriktiven System ergeht. Damit ist eine für das Stück elementare Komponente von Beginn an ausgeblendet: die Beziehung zwischen Gesellschaft und Wahnsinn." Aber kein Wahnsinn waltet, sondern nur soziale und in Ansätzen psychologische Chiffren gesetzt werden, "da sind auch die im Text virulenten Konflikte zwischen den einzelnen (Gedanken-) Welten abgeschliffen." Es fehle schlicht die Fallhöhe, die "Penthesilea" so abseitig, so reizvoll macht, so spektakulär. "Und letztlich auch: so existenziell." Felicitas Brucker scheue diese Dimension, "vielleicht auch, weil sie ihr nicht über den Weg traut". Sie übersehe aber, dass sie genau damit in die ganz gemeine Kleist-Falle tappe.
Dass sie mit ihrem Ausscheren aus den Mustern, die nur Sieg oder Niederlage kennen, chancenlos seien, sieht man das Bild der großen Schräge von Anfang an, so Katrin Bettina Müller in der taz Berlin Kultur (22.10.2010). "In diesem mächtigen symbolischen Apparat ist Kleists Sprache (...) nicht mehr selbst die verstörende Macht, das Instrument des Aufbegehrens, der Funke, an dem sich die Fantasie entzündet; sie ist nicht mehr der Keim, aus dem eine barbarische Mythologie wächst." Warum Kleist, ein preußischer Dichter und junger Offizier, vor mehr als zweihundert Jahren seine Zuflucht in der Antike nahm, beschäftige diese Inszenierung nicht. "Das ist erstaunlich an einem Theater, das auf das Fortleben der Geschichte in der Gegenwart sonst so großen Wert legt." Davon abzusehen, funktioniere aber auch als Befreiung. "Die Dramen Kleists können sich wie gewaltige Gebirgsmassive vor Leser und Zuschauer türmen, romantisch in jedem Sinne, voller erschreckender Abgründe", das nahe heranzuholen, gelinge dieser Inszenierung. "Das hat etwas sehr Sympathisches, freilich um den Preis, dass auch das Wilde und Grenzüberschreitende der Dichtung wie ein zwischen den Festungsmauern gezähmter Fluss wirkt."
"Es hilft auch nicht viel, dass zwischen den kahlen Furnierholzschachtwänden ein großes, rundes Fadenkreuz projiziert wird", findet Dirk Pilz in der Berliner Zeitung (22.10.2010), denn das "ist nur die Chimäre einer diffusen Bedrohung, die nirgends kenntlich und also auch nie gefährlich wird". Meroe sei sinnfreierweise stumm (und Ninja Stangenberg zu Augenaufreißern und Händewacklern verurteilt); Achill (Michael Klammer) platterweise ein "Hellas" an den Hals tätowiert; Odysseus (Wilhelm Eilers) schüttet sich Wasser über den Kopf, "lauter inszenatorische Notlösungen, um zu kaschieren, dass dieser Zweistundenabend eine leere Mitte umkreist". "Schon möglich, dass Brucker damit näher am gegenwärtigen Gefühlshaushalt ist. Vielleicht stimmt es auch, dass wir heute zu Leidenschaftsaufwallungen a la Penthesilea nicht mehr fähig sind (...) Wer aber mit hohen Tönen, mit Pathos und Göttern nichts anzufangen weiß, braucht es auch nicht zu inszenieren."
So achselzuckend nüchtern, so harmlos, so irgendwie hausmeisterhaft Anja Schneider am Ende Kleists superberühmte Worte "Küsse, Bisse" spricht, "könnte man glatt auf die Idee kommen: War eh alles nur ein Spiel, eh nur ein Missverständnis", so Andreas Schäfer im Tagesspiegel (22.10.2010). Was da eigentlich für ein Krieg sei, in dem man sich aufreibt, nach welchen Regeln die Amazonen nehmen und abstoßen, und inwiefern der Liebesrausch Penthesileas, von dem unablässig die Rede ist, sogar ein Produkt der Gesellschaft sein soll, wie es die Regisseurin im Programmheft-Interview andeutete, "all das bleibt einem schleierhaft. Man versteht bei den Formationsübungen kaum, worum es geht." Fazit: "Ein paar Schritte näher ans verführerisch saugende innere Dunkel sollte man sich schon trauen, wenn man Penthesilea auf die Bühne bringt."
"Felicitas Brucker stellt ihre Schauspieler vor allem zu immer neuen, langen Sprech-Arrangements zusammen, und Kleists hochfahrend symbolische, sich verschachtelt auftürmende Sprache blüht bei einigen Schauspielern zuweilen durchaus auf", so Hartmut Krug auf Deutschlandfunk Kultur vom Tage (21.10.2010). Kampf sei hier vor allem sprachliche Behauptung, und so sind die inneren Suchbewegungen und Selbstverständigungsversuche von Achilles und Penthesilea das Thema dieser Inszenierung. "Insgesamt ist dies eine eher leichtgewichtige, oft elegante, auch spielerische, aber nie den Schrecken und das Entsetzen, das im Verfehlen zweier Liebender liegt, zeigende Inszenierung." Wie allerdings Michael Klammer und vor allem Anja Schneider ihr Suchen spielen, das besitze sinnliche, anrührende Kraft.
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Erst vor kurzem hat das aufbruch-Gefängnistheater auf der Museumsinsel Kleists Penthesilea als Chordrama inszeniert, in dem der Einzelne nichts ist ohne die Geborgenheit in der Tradition und die Zugehörigkeit zu einer Gruppe. Ein Kampf zwischen den Geschlechtern, Klassen und Rassen bis zum bitteren Ende. Heute stehen sich unweit am Festungsgraben in Mitte die beiden unvereinbaren Pole wieder gegenüber. Felicitas Brucker hat auch Christa Wolfs Nachwort zu Kleists „Penthesilea“ gelesen. Sie biegt aber die beiden Enden des Magneten zusammen bis es schmerzt.
Auf einer sperrhölzernen Bühne mit schiefer Ebene, die sich zwischen einer Schlucht hebt und senkt, stehen zu Beginn Männer wie Frauen an der Rampe und beschreiben den Zusammenprall der Heere der Amazonen und Griechen. Dazu gibt es pathetische Musik von Bach. Anschließend rennen alle auf der schiefen Ebene nach oben und rutschen wieder ab. Dieser Vorgang wiederholt sich mehrfach an diesem Abend, der vergebliche Versuch den Konventionen der Gruppe zu entfliehen. Als Zeichen des Krieges hängen sich alle Erkennungsmarken um und zerstreuen sich. Die Griechen werden von ihrem Stimmungsmacher Odysseus (Wilhelm Eilers) angestachelt, die Frauen haben ihre Zuchtmeisterin in Reithosen. Die Oberpriesterin (Nele Rosetz) trainiert ihre Amazonen wie eine Gruppe Cheerleader, immer wieder werden die Verse und Choreographien des Amazonenbrauchtums einstudiert.
Felicitas Brucker stellt die beiden Kontrahenten Penthesilea und Achill als Ausbrechende aus ihren Systemen aus Tradition und Gruppenzwang dar. Immer wieder will Penthesilea, selbstbewusst aber auch zweifelnd dargestellt von Anja Schneider, der Selbstdisziplinierung „Fasse dich“ entfliehen, bis sie mit Achill, sportlich forsch Michael Kammer, zusammenstößt. Prothoe (Julischka Eichel) überredet den siegreichen Achill sich Penthesilea zum Schein zu ergeben. Er geht darauf ein, da sein Interesse für sie erwacht ist. Die plötzliche Liebe, lässt die beiden wie junge Hunde raufend die schräge Ebene erklimmen, verkeilt ineinander, ein Paar das sich von allen Zwängen zu befreien scheint. Popmusik und Videoeinblendungen von Stefan Bischoff verstärken dieses unbändige Gefühl.
Nach der Pause baden Penthesilea und Achill in einem großen Wasserbehälter aus Plastik und leben ihre frisch gewonnene Liebe aus. Prothoe sitzt sichtlich gequält neben diesem Glück. Es bleibt aber Ziel Penthesileas Achill als Beute zum Rosenfest zu führen, sie erzählt ihm die Geschichte der Entstehung des Amazonenstaats, mit seiner Tradition, der sie verpflichtet ist und das Achill ihr von den Göttern vorbestimmt ist. Dieser will sie aber das sie mit ihm zieht, als seine Königin. Eine Lösung ist nicht in Sicht, das Paar wird wieder von den Griechen und Amazonen getrennt, der Krieg und die Pflicht stehen wieder zwischen ihnen. Die Griechen fallen in das Lager der Amazonen ein, rauben und vergewaltigen.
Achill will aber Penthesilea, er sucht erneut den Kampf um sich ihr endgültig zu ergeben. Diomedes (Christian Kuchenbuch) und Odysseus können es nicht fassen. Auf Odysseus bohrender Frage ob der ganze Helenenstreit vor der Dardanerburg, gleich einem Morgentraum vergessen sei, ist Achill Troja egal, als wenn es just in einem See versinken würde. Wie ein Besessener schleudert er den Boten gegen die Sperrholzwände, nur auf die Botschaft Penthesileas lauernd. Auch Penthesilea widersetzt sich nun den Amazonen und zieht ihrem Geliebten mit geballter Streitmach von Hunden und Elefanten entgegen. Um sich zu befreien muss sie zerstören, was sie doch liebt. Erst dadurch sind ihr die Augen geöffnet, der blinde Gehorsam zerfällt in freien Willen. Die Sinnlosigkeit der erzwungenen Werte wird offenbar. Hierin unterscheidet sich die Rezeption von Felicitas Brucker von der üblichen, in der Penthesilea die Tat im vollen Wahn verübt.
Die beiden Streitenden/Liebenden steigen aus dem Wasserbehälter nun Blut überströmt und rennen wieder die schiefe Ebene an, schließlich an ihrem Scheitel hängend und ein letztes Mal abrutschend, dann ist Achill tot. Einen Chor bildend berichten alle anderen von dem Kampf. Zum Schluss stehen nur noch die Oberpriesterin und Odysseus am Bühnenrand, die Worte der Priesterin aufteilend, schieben sich die beiden Einpeitscher die Schuld für den Tod Achills gegenseitig zu. Die letzten Worte gehören wieder Penthesilea: „Küsse, Bisse, das reimt sich und wer recht von Herzen liebt, kann das eine für das andre greifen.“ Sie sagt sich los vom Gesetz der Amazonen und gräbt sich tief aus ihrem Herzen ein vernichtendes Gefühl. Aber ein Dolch wird nicht daraus, das Pathos Kleists ist tot, Penthesilea hat sich endgültig emanzipiert.
deine beschreibung der inszenierung trieft vor kitsch, und wortwahl und satzbau klingen selbstverliebt, dein letzter satz: "das Pathos Kleists ist tot, Penthesilea hat sich endgültig emanzipiert." lass ich mir daher auf der zunge zergehen.
du kannst dir die aufführung ja gerne noch mal ansehen, ich fand sie ärgerlich und langweilig. das schlussbild war gut, und verführt dazu, sich mit den schwächen des abends auszusöhnen.
doch sie sind meiner meinung nach zu arg. ich gebe frau kaempf in den meisten punkten recht. nur strahlten die beiden protagonisten in meinen augen nicht "glanzvoll eine wunde Sehnsucht aus", sondern eher gar nichts.
sorry, aber "so unendlich viel mehr sehen" kann man immer.
schade
Liebe Gabi, wenn Sie schreiben, Sie wollen etwas Initialisierendes erleben, so gehen Sie sicher mit einer etwas überzogenen Forderung in dieses Stück. Es ist aber alles drin, was Sie sehen wollen. Liebe, Schmerz, Verzweifelung aber auch Erlösung, Kitsch sehe ich da nicht, wie Herr Göpfert im Kulturradio. Er ist auch jemand der in Anbetracht seiner Erfahrung mit einem fertigen Kleistbild in die Aufführung geht und schon vorher weiß, dass das kleine Gorki-Theater sich verheben wird. Das ist ignorant. Ich kenne keine Inszenierung, die es bisher geschafft hat, eine wirklich eigene Interpretation zu zeigen, ohne irgendwann ins Schlingern zu kommen, von der sehr kraftvollen Aufführung des aufbruch-Theaters mal abgesehen. Aber ich will mich gar nicht aufregen, ich war gestern einfach mal wieder wirklich im Theater und das ist schon viel wert.
Schön, dass Sie „mal wieder wirklich im Theater“ waren. Das klingt, als hätten Sie seit Äonen keine Bühne mehr besucht und als habe eine neue Ära in Ihrer Freizeitgestaltung begonnen. Im Kommentar 2. lese ich den Satz: „Dieser will sie aber das sie mit ihm zieht, als seine Königin.“ An dieser und einigen anderen Stellen scheint Ihre Sprachgewalt eigene Wege zu gehen.
Ich warte erst einmal ab, zumal es schwer ist, Percevals Inszenierung mit der Schüttler in der Hauptrolle zu überbieten. Ein Stück verliert nicht seinen Wert, wenn man es sich erst nach einem Monat ansieht. Sie aber lassen keine wichtige Premiere aus, als wollten Sie zu den Ersten gehören, die darüber informiert sind. Warum immer die Premiere? Wegen der Sie umgebenden Theaterprominenz?
Bevor Sie sich aufregen: in der Regel schätze ich Ihre Kritiken. Sie haben wenigstens Ihre eigene Sichtweise.
es gibt auf dem theater eben immer zeichen, die sich intuitiv, sinnlich übersetzen lassen und direkte, unverstellte den worttext unmittelbar bereichernde wirkung haben. nonverbal. jenseits von ratio. und es gibt zeichen, die ich als solche erkenne und die mir sagen wollen: hier bin ich und ich habe ganz gewiss große bedeutung. und dann darf ich grübeln, was es denn bedeuten soll... oder die bedeutung ist total offensichtlich, die wirkung stellt sich aber nicht ein. die zeichen, die frau brucker sich ausgedacht hat, haben mich keinesfalls überzeugt, berührt oder erreicht. sie waren bemüht und ungelenk. trotzdem dankeschön, dass sie mich auf den mutigen zugriff im versuch, den kleistschen pathos aufzubrechen, hinweisen. ich denke darüber nach.
spontan bleibt mir nur: dieses stück beinhaltet liebe, schmerz, verzweiflung. zerissenheit. kampf um autorität, autonomität. das darf wohl auch weiterhin inhalt bleiben. auch ohne pathos. und mein eindruck war: die beiden hauptdarsteller kennen keinen schmerz. oder machen einen großen bogen um die bearbeitung solcherlei gefühle. da wurden dinge gesagt und behauptet von denen die worte reden. gelebt haben sie nicht. das mache ich jedoch in erster linie der regie zum vorwurf. nicht das schlingern, nicht das scheitern, sondern das: behaupten ohne wirklich zu wagen.
Kann ich gut nachvollziehen, es geht mir ja oft genug auch so. Musik und Video zur Verstärkung der Aussage sind immer eher Glücksgriffe. Mal klappt es, mal nicht. Ich habe mir die hier auch ausgeblendet, sie stören eigentlich nicht. Was die Sprache betrifft, ist da alles drin was Kleist ausmacht und für die Inszenierung notwendig ist. Das komplette Stück kann man eh nicht aufführen. Was den Ausdruck der Gefühle betrifft, hat das Gezeigte bei mir etwas ausgelöst, ich kann auch nicht sagen warum, es ist einfach so und das ist eben das persönliche Empfinden. Schade das das nicht mehr so sehen. Man kann die Szenen im Bottich für kindischen Kitsch halten, Felicitas Brucker geht es eben auch um eine Darstellung einer ganz normalen unschuldigen Liebe, nur eben unter schwierigen Vorzeichen. Alles fällt in diesem Moment von den beiden ab und trotzdem weiß man sie machen sich etwas vor. Die Tragik ist da schon mit drin. Ich hätte übrigens die Pause weggelassen, das reißt eine unnütz raus. Da aber danach eigentlich kaum einer gegangen ist, bin ich der Meinung, dass es so schlimm nicht gewesen sein kann.
Ich kann die Kritik zu Felicitas Bruckers Penthesilea nicht im Geringsten nachvollziehen.
Ich fand die Inszenierung konzeptionell glasklar und atmosphärisch sehr, sehr dicht, beinahe möchte man sagen 'berührend'. Die Haupteinsicht, die die Inszenierung - ja bereits das Programmheft - transportiert, ist die, dass es bei "Penthesilea" nicht prímär um eine Darstellung des Geschlechterkampfs geht (wie es in dem von Ortrud Gutjahr herausgegebenen Band zu Kimmigs Thalia-Inszenierung suggeriert wird), sondern in der Tat über das Identitäts- und Liebesbegehren (beides fällt bei Kleist im Grunde zusammen) von individuellen Subjekten in Systemen, die diese Subjekte funktionalisieren und instrumentalisieren...
Aber ich merke, dieses Vokabular wird viel zu technisch.... Ich war zuerst etwas enttäuscht wegen des hart geschnittenen Schlussparts: Penthesileas großer Monolog, in dem sie sich psychologisch selbst tötet, fehlt bis auf die ersten Zeilen ("Denn jetzt steig ich in meinen Busen nieder, / Gleich einem Schacht, und grabe [...] mir ein vernichtendes Gefühl hervor"; auch fehlen die sentenzhaften, ja nachgerade chorisch-deutenden Schlussverse:
Sie sank, weil sie zu stolz und kräftig blühte!
Die abgestorbne Eiche steht im Sturm,
Doch die gesunde stürzt er schmetternd nieder,
Weil er in ihre Krone greifen kann.
Da gehen sicherlich poetische Potenziale des Texts verloren, was ich im ersten Augenblick bedauert habe. Ein, zwei Stunden nach dem Schlussapplaus habe ich das aber schon anders gesehen. [Fortsetzung folgt…]
Denn die Reue, das tiefe Schuldgefühl, in dem es in Penthesileas Selbstmordmonolog geht, hat in dieser Inszenierung keinen Platz. Das Gefühl der Reue würde die Ordnung, aus der Penthesilea ausgebrochen ist, restituieren. Auch wäre es eine Rückkehr eines Subjekts, das sich zuvor im Wahnsinn selbst "extern" war.
Penthesilea ist aber in dieser Inszenierung nicht wahnsinnig, mänadenhaft, besessen. Die Denkfigur, die Brucker, so wie ich sie verstehe, vorschlägt, ist leicht dahergesagt, aber nicht ganz leicht zu denken, wenn man sie wirklich, von seinem ganz persönlichen Lebensstandort aus, verstehen will.
Penthesilea ist nicht "wahnsinnig", sie ist sich nicht selbst extern. Die Strukturen ihrer Gesellschaft haben den "Wahnsinn" - die Verachtung des Einzelnen in seinem Glücks- und Identitätsbegehren - in solchen Grade fixiert, dass jeder Anspruch auf ein Ich - selbst auf ein Ich, dass sich in Liebe verschenken möchte - entweder unterdrückt wird, oder aber in einer Weise ausbrechen, durchbrechen, durchschlagen muss, dass der (vermeintliche) Wahnsinn des Subjekts, genau betrachtet, nur den "Wahnsinn", das strukturell festgeschriebene (und am Einzelnen vollzogene) Gewaltpotenzial der Gesellschaft (des Amazonenstaats) in greller Weise sichtbar macht.
Und dieses Glücksbegehren Penthesileas (und auch Achills) - Bruckers Inszenierung macht es in einer phasenweise wirklich bewegenden Zartheit (ich entschuldige mich für den 'unwissenschaftlichen' Ausdruck...) deutlich, die in der Tat zu Herzen geht. [Fortsetzung folgt…]
Denn die Reue, das tiefe Schuldgefühl, in dem es in Penthesileas Selbstmordmonolog geht, hat in dieser Inszenierung keinen Platz. Das Gefühl der Reue würde die Ordnung, aus der Penthesilea ausgebrochen ist, restituieren. Auch wäre es eine Rückkehr eines Subjekts, das sich zuvor im Wahnsinn selbst "extern" war.
Penthesilea ist aber in dieser Inszenierung nicht wahnsinnig, mänadenhaft, besessen. Die Denkfigur, die Brucker, so wie ich sie verstehe, vorschlägt, ist leicht dahergesagt, aber nicht ganz leicht zu denken, wenn man sie wirklich, von seinem ganz persönlichen Lebensstandort aus, verstehen will.
Penthesilea ist nicht "wahnsinnig", sie ist sich nicht selbst extern. Die Strukturen ihrer Gesellschaft haben den "Wahnsinn" - die Verachtung des Einzelnen in seinem Glücks- und Identitätsbegehren - in solchen Grade fixiert, dass jeder Anspruch auf ein Ich - selbst auf ein Ich, dass sich in Liebe verschenken möchte - entweder unterdrückt wird, oder aber in einer Weise ausbrechen, durchbrechen, durchschlagen muss, dass der (vermeintliche) Wahnsinn des Subjekts, genau betrachtet, nur den "Wahnsinn", das strukturell festgeschriebene (und am Einzelnen vollzogene) Gewaltpotenzial der Gesellschaft (des Amazonenstaats) in greller Weise sichtbar macht.
Und dieses Glücksbegehren Penthesileas (und auch Achills) - Bruckers Inszenierung macht es in einer phasenweise wirklich bewegenden Zartheit (ich entschuldige mich für den 'unwissenschaftlichen' Ausdruck...) deutlich, die in der Tat zu Herzen geht. [Fortsetzung folgt…]
Da ist z.B. die Szene mit der Gitarre, die der Bote spielt, während Achill zu verstehen gibt, dass er den ganzen Trojakrieg, die gesamt Operation "Dardanerburg" satt, zum sterben satt ist. Das sind Verse, die einem beim Lesen immer eher skurril erschienen sind. Da sagt nämlich Achill - durchaus entnervt - zu Odysseus (21. Szene):
Wenn die Dardanerburg, Laertiade,
Versänke, du verstehst, so daß ein See,
Ein bläulicher [dieser Detail-Surrealismus Kleists ^^ ^^ - unbeschreiblich...!], an ihre Stelle träte;
Wenn graue Fischer, bei dem Schein des Monds,
Den Kahn an ihre Wetterhähne knüpften;
Wenn im Palast des Priamus ein Hecht
Regiert', ein Ottern- oder Ratzenpaar
Im Bette sich der Helena umarmten:
So wär's für mich gerad soviel, als jetzt.
Durch die Gitarrenmusik - drei, vier simple, in ihrer Schlichtheit aber schöne Akkorde - erhalten die Verse einen melancholischen, beinahe traumverlorenen Ausdruck. Die Musik fokussiert gleichsam das Motiv des bläulichen Sees, der alles überdeckt hat, Stille, das Ende allen Kriegs, zugleich freilich das Ende aller Kultur, ja das Ende der Welt symbolisiert - ein seltsam hypertrophes Bild, dass aber doch nicht nur "krude" ist, sondern einen Grad an Melancholie und Weltschmerz ausdrückt, der für das frühe 19. Jh. außerordentlich ist und durch die skurrile Wendung vom "Ottern- oder Ratzenpaar" eher noch bitterer wird. Genauer müsste man sagen, dass durch dieses Bild die Traurigkeit in Bitterkeit und Verachtung der Kultur (nun der griechischen, die Achill gefangenhält, so wie die Strukturen der Amazonengesellschaft Penthesilea als Subjekt gefangenhalten). "Das ist richtig gut gemacht", dachte ich; "wenn der Typ nur vernünftig spielen und nicht so kläglich klimpern würde". Wie groß aber war meine Überraschung, als die Melodie dann von der Musikanlage übernommen wurde und, zwar dezent, aber doch in brillanter Qualität und Einspielung die folgenden Verse und Gedanken unterlegte.
Nun sagt mir bitte nicht, dass das "Kitsch" sei. Dass Theater darf auch noch rühren, auch nach Brecht, auch nach Beckett - und ich würde noch einen Schritt weitergehen und sagen, es soll das sogar, wenngleich sicherlich nicht bei jedem Stück und in jeder Inszenierung. Spätestens in dieser Szene jedenfalls dachte ich nicht mehr nur "Das ist richtig gut gemacht", sondern "Felicitas, ich liebe dich". ;-) ^^
Denn seit Jahren kämpfe ich um "Penthesilea". Ich habe es inzwischen 8 Mal gelesen, 4 Mal im Theater gesehen und diverse Male (u.a. noch auf der Fahrt nach Berlin) das Hörspiel mit Will Quadflieg und Maria Becker (ein alter Schinken, aber irgendwie immer noch gut) gehört.
Aber gestern hatte ich das Gefühl, dass etwas Besonderes geschieht. Dass ich einen Schritt weiterkomme, wirklich weiterkomme.
Kurz und gut: Wer immer es irgend einrichten kann, der möge sich die Inszenierung ansehen! Ich bin über 400 km angereist und habe es nicht bereut, vielmehr werde ich im November noch einmal kommen.
Nur ein Tipp: lest das Stück vorher, lest es wirklich durch und lest auch das Programmheft. Ich weiß, ich klinge nun vielleicht altväterlich und moralisierend, aber wenn jemand den Text der "Penthesilea" nicht wirklich gut kennt, und dann das Gefühl hat, dass er eine Inszenierung nicht "versteht" - - über die Vermutung, dass es dann an der Regie läge, werden Kleist-Freunde und Enthusiasten nur müde lächeln... Denn - allein was die bildhafte Verdichtung der Sprache angeht, ist dies wohl eines der komplexesten Dramen der deutschen Literatur.
Fazit: Großartig; 10 von 10 Sternen. Danke für diesen wundervollen Abend!
Andreas (Homberg/Efze bei Kassel).
P.S. Werde ich nun als "Provinzler" gedisst? Um mit Kleist zu kontern: "Das gilt mir gleichviel... ;-)"
All the best!
Beste Grüße
Die Verse hätten hier gepasst; es scheint in der Inszenierung jedoch die Deutungsinstanz zu fehlen, die sie sprechen kann. Prothoe ist zu jung, so wie Julischka Eichel - großartig... - die Figur realisiert hat. Gleiches gilt für die (ohnehin psychologisch stark überreizt und sehr labil wirkende) Meroe (Ninja Stangenberg) (eine sehr, sehr interessante Interpretation der Figur; auch sehr gut umgesetzt!). Die Oberpriesterin? Wohl kaum... Als hochrangige Funktionärin des Systems kann sie diese Verse nicht sprechen.
Insofern fehlen diese Verse in dieser Inszierung wohl schon in Ermanglung einer Deutungsinstanz. Prothoe selbst ist für diese Verse hier zu jugendlich. Was aber meiner Meinung nach durchaus noch nicht heißt, dass man hier statt der trojanischen Gefilde einen Schulhof erblicken müsste. - ENDE.
Genau das is es.
Ein klares Bühnenbild mit verschiedenen Ebenen, die dies unterstützen (könnten)...; der Tank als Liebesbad und Folterraum (Waterboarding).
Aber das Spiel der Schauspieler bleibt ungefüllt, leer, langweilig.
Schauspieler, die Ihr Können nicht zeigen dürfen?? Die ihren Text oftmals nur abspulen, stellenweise gar unverständlich, die den Eindruck vermitteln, eigentlich keine Lust an diesem Spiel zu haben; die viel zu oft nicht miteinander in Beziehung stehen, sondern nebeneinander grundlos vor sich hin spielen, den angebotenen Bühnenraum nicht nutzen und beleben (da hilft dann nur, die Augen zu schließen, denn nur so kann man die sich ständig wiederholenden Frontalproklamationen an der vorderen Bühnenkante überstehen).
Man hat den Eindruck, die Regie ist permanent überfordert, kann sich nicht für eine klare Aussage entscheiden, den Schauspielern keine eigene Entfaltung einräumen (einzige Ausnahme vielleicht die Liebesszene im zweiten Teil).
Schade, schade: so viel Arbeit und so wenig Substanz.
Langweiliges Theater!
Liebe "Kleist- und speziell "Penthesilea"-Interessierte" !
Es wird zu Kleist im November ein Symposion (Sonntag, 21.11.)
am Hamburger Schauspielhaus geben -sicher auch eine gute Gelegenheit,
sich mit den dann neuesten HH-Entwicklungen vertraut zu machen-;
am Abend zuvor wird die "Penthesilea" in der Regie von Roger Von-
tobel gezeigt werden, der dort ja auch schon das "Käthchen" inszenierte (insofern werden diese Inszenierungen beim Symposion,
wie das Programmheft ankündigt, in einer Art "Zusammenschau" der
beiden Kleist-Dramen eine Rolle spielen).
@ Stefan
Und im Thalia wird es im November sowohl die "Axolotl Roadkill"-
Premiere geben als auch ein Gastspiel des "Helmi" mit "Axel hol den
Rotkohl".
Stefan, Ihre umgesetzte Inszenierungsidee wird in der Vorankündi-
gung des Monatsprogrammes ausdrücklich erwähnt: ... "Hier trägt der
Chor der wütenden Blogger Pappköpfe und wichtigtuerische Groß-
kritiker beschwören die Hochkultur".
Zur Brucker-Inszenierung der "Penthesilea" gibt es zudem noch ein
Interview mit Frau Brucker im "Freitag" der letzten Woche.
Auf nach Hamburg also oder -wie ich- Kaisersaschern (Saale) ...
Danke für den Hinweis. Am 28.11. ist bei mir schon dick im Kalender HH angestrichen. Den Rotkohl habe ich mir aber schon im Ballhaus Ost schmecken lassen. Ob ich noch Lust auf eine weitere Kleistinszenierung habe muss ich mir allerdings noch überlegen.
Weiß ich, daß Sie seinerzeit ne Freikarte hatten. Schön, daß Sie am 28.11. nach HH
kommen ! Ich versuche, mir das Wochenende 20./21.11. für Kleist frei zu halten:
drücken Sie mir die Daumen !!
Bei meinem Hinweis in § 22 machte ich jedoch den Fehler, vom "Freitag" der ver-
gangenen Woche zu sprechen, dabei handelt es sich allerdings um die aktuelle
Ausgabe: ich hatte schlichtweg verschlafen, daß der "Freitag" offenbar am Donnerstag erscheint.
Wer weiß, was bis dahin in HH vor sich gegangen sein wird ?
Jedenfalls gibt es heute dazu ein weiteres "Schirmer-Interview" in der Taz (Hamburg), das mir
schon ein wenig "lichter" anmutet als das "Spiegel-Interview", sich inhaltlich (bezogen auf den Rücktritt) annährend deckt.
Obschon Herr Schirmer weiterhin vom "Karriereende" spricht, nimmt er andererseits
auch die Begriffe "spielen", "unterrichten", "moderieren" in den Mund; dafür ist diesem sympathischen Theatermann alles Gute zu wünschen !
Möglicherweise gibt es demnächst einen lesenswerten Theaterkritiker mehr !!
Im Vergleich hat mir die damalige Inszenierung von Perceval in der Schaubühne besser gefallen, sie war wesentlich dynamischer (nicht nur wegen des Laufens im Kreis), im Gorki dagegen wurde das Statische hervorgehoben.
Was hat nicht die Kritik für einen Wirbel um das Planschbecken und die rampenartige Schräge gemacht! Ich habe mir Wunder was vorgestellt! Aber was sah ich? Ein schlichtes Bühnenbild, aufgebauscht von ein paar Redakteuren, die auch noch Assoziationen von Schulhof und Mädchengruppen hatten. Ich bin verblüfft, was so alles während einer Vorstellung durch das kognitive System eines Kritikers jagt.
Aufgefallen ist mir vor allem Anja Schneider, die im Lauf der Jahre dazugelernt und sehr ausdrucksstark gespielt hat. Drumherum wurden nur mimische Standards eingesetzt, die dem Stück nichts hinzufügten. Sicherlich, derartig große, hehre Gefühle sind heute kaum noch denkbar, gerade in Zeiten, wo derb-fortschrittliche Energien des kulturell verbrämten Fernseh-Unwesens alle Emotionen einebnen und Gemütsbewegungen auf Produktbedürfnisse reduziert werden.
Immerhin erreichte die Inszenierung nie die Schmerzgrenze, sie war durchaus erträglich und im Vergleich zu anderen Produktionen sogar eine Erleichterung.