Zum Abgesang ein leises "Bl-l-l-ubb"

5. Juni 2022. Die Molche übernehmen die Macht, denn die Menschen haben sie lang genug ausgebeutet: Karel Čapeks satirischer Roman warnte 1936 vor Nationalismus und Größenwahn. Clara Weyde adaptiert ihn mit Soeren Voima an der Schaubühne als krachkomische Kritik an Kolonialismus und klimaschädlichem Fortschrittswahn.

Von Elena Philipp

"Der Krieg mit den Molchen" an der Schaubühne am Lehniner Platz in der Regie von Clara Weyde © Gianmarco Bresadola

5. Juni 2022. Der Mensch des Molchzeitalters, er geht unter in den Fluten wie der Zauberlehrling, der seiner Kreatur nicht mehr Herr wird. Was einst Instrument war, wird Subjekt der Geschichte, und die Verhältnisse kehren sich um. Von Mensch und Molch erzählt der tschechische Autor Karel Čapek in seinem satirischen Roman "Der Krieg mit den Molchen", den Clara Weyde gemeinsam mit dem Autor und Dramaturgen Soeren Voima an der Berliner Schaubühne adaptiert. Bei seinem Erscheinen 1936 war der Text eine Warnung vor dem Aufstieg der Nazis – und lässt sich aus heutiger Sicht als Vorwegnahme der Klimakatastrophe und als Kolonialismuskritik lesen.

Zivilisation flutet

Bei Čapek versklaven die Menschen eine kleine Population lernbereiter Lurche, die Perlen fischen und dafür Harpunen erhalten, um gegen ihre Fressfeinde, die Haie, anzugehen. Global angesiedelt, um als Arbeitstiere dem menschlichen Fortschritt zu dienen, sind die Molche mit der Zeit in der Überzahl – und sie nutzen das in ihrer Knechtschaft erworbene Wissen, selbst eine Zivilisation zu begründen, welcher alles Menschliche weichen muss. Landstriche werden geflutet und ganze Erdteile gesprengt, denn die "ozeanische Kultur" braucht Lebensraum.

Schaubühne am Lehniner Platz "DER KRIEG MIT DEN MOLCHEN" nach Karel Čapek. Regie: Clara Weyde, Bühne: Bettina Pommer, Kostüme: Clemens Leander, Musik: Thomas Leboeg, Dramaturgie: Christian Tschirner, Licht: Erich Schneider. Mit: Holger Bülow, Bastian Reiber, Alina Vimbai Strähler, Axel Wandtke, Doğa Gürer.Ramponierende Molche an der Berliner Schaubühne © Gianmarco Bresadola

In einer irrwitzigen, live abgemischten Radiosendung (Hitlers Propagandamedium lässt grüßen) manifestiert sich die Machtübernahme der Molche. Zwei Meter über der Spielfläche mixt Bastian Reiber moderierend Musikfetzen, Klangsamples und Notstandsmeldungen von im Wasser versinkenden Städten. Philosoph Peter Sloterdijk wird als Experte angerufen und darf den Epilog zur Geschichte der Menschen ausrufen. Ein Biologe namens Hans Thüring erklärt die germanischen Molche zu einem "rassisch höheren Typus", und ein anonymer Hörer fragt panisch, was die Forderungen der Molche seien. Alle Stimmen: Bastian Reiber, der als Mad DJ Molch aus hochwassersicherer Position auf seine vormals überlegenen menschlichen Meister herabblickt.

Klamaukiger Machbarkeitswahn

Das Theater von Herbert Fritsch steht an der Schaubühne Pate für eine klamaukige Parabel auf den (un)menschlichen Machbarkeitswahn. Drei Fritsch-Veteranen sind unter den Spieler:innen – neben Bastian Reiber auch Holger Bülow und Axel Wandtke. Austauschbar kostümiert im schwarz-weißen Karo-Dreiteiler, mit üppigem Backenbart und sauber gescheitelter Lockenpracht im Stil des 19. Jahrhunderts, treten die fünf Spieler:innen und der Musiker Thomas Leboeg auf. Als "Povondras" sind sie gelabelt: Karel Čapeks Portier, der Kapitän Van Toch Zutritt gewährt zum Magnaten Bondy, welcher den Perlen-gegen-Harpunen-Handel finanziert und mit seinen Schiffen die Ansiedlung der tiefenscheuen Molche außerhalb ihres Habitats ermöglicht.

Mit stolz geschwellter Brust erklären sich die Povondras zu Türsteher:innen des Fortschritts (Alina Vimbai Strähler macht die Figur, entgegen der männlichen Prägung im Roman, gender-divers). Sie haben den Abenteurer Van Toch, trotz anfänglicher Zweifel, vorgelassen – und machen damit in schönster Dialektik auch den Weg frei für die Entmachtung ihrer eigenen Spezies. Dieses Mitläufer-Moment ist in der Schaubühnen-Adaption präsent, aber randständig, weil statt der Nazi-Thematik die Fragen von Kolonialismus und wissenschaftlich fundierter Fortschrittsideologie im Fokus stehen.

Kopfsprung in ein neues Kapitel

Fluide in ihren Rollen, springen die Figuren von Kapitel zu Kapitel, bisweilen mit einem wirklichen Hopser, der sie in eine andere Situation katapultiert. Mit beherztem Kopfsprung in den kaum knietiefen Pool befördert Axel Wandtke anfangs einen ersten Molch an Land: ein schlackerndes, beige-rotes Strickwesen. Jahrzehnte an Kolonial- und Industriegeschichte werden schlaglichtartig in kurze Szenen gefasst: Wie Kapitän Van Toch am Strand die ersten Lurche anlockt, indem er ihnen Muscheln öffnet, die sie begierig ausschlecken. Wie die Amphibien lernen, Messer und Harpunen zu verwenden, und wie ihre Einführung in kulturelle Zeichensysteme beginnt: Großäugig schaut Bastian Reiber, in beigem Strickpullover und mit roter Häkelmaske in einen Molch verwandelt, auf das seltsame Treiben der Filmcrew, die ihn King Kong-mäßig zum bedrohlichen Anderen stilisiert (herrlich überdreht kieksend als Schauspielerin Lilian: Holger Bülow).

Schaubühne am Lehniner Platz "DER KRIEG MIT DEN MOLCHEN" nach Karel Čapek. Regie: Clara Weyde, Bühne: Bettina Pommer, Kostüme: Clemens Leander, Musik: Thomas Leboeg, Dramaturgie: Christian Tschirner, Licht: Erich Schneider. Mit: Holger Bülow, Bastian Reiber, Alina Vimbai Strähler, Axel Wandtke, Doğa Gürer.Schleichend mehr und plötzlich zu viel: die Molche übernehmen, die Povondras sind hilflos © Gianmarco Bresadola

Nervös mit den Lidern zwinkernd versucht er sich in der menschlichen Sprache, bei den Anlauten noch die Luft ein- oder aussaugend und immer wieder sein molchisches "rrinngk" zwischen die Satzfetzen streuend, die er den Menschen abgelauscht hat. Schon selbstsicherer sitzt er mit seinem Pfleger in der Talkshow, in der er als "Andy" (nach dem real existierenden Urmolch-Fossil "Andrias scheuchzeri") Satzfetzen aus der Zeitung zitiert. Als ihm der Moderator einen Wortschatz von 400 Vokabeln zu-, aber das selbständige Denken abspricht, erwacht in Reibers Andy der Widerspruchsgeist, und mit "selbständig" und "Denken" summiert er selbstgewiss grinsend seinen Wortschatz zu 402 auf. Die zivilisatorische Evolution der Lurche spiegelt sich in den Kostümen von Clemens Leander: anfangs Strickschick, dann ein spaciger Ganzkörperanzug mit silbernen Mustern und Anschnallschwanz, schließlich ein roter Zweiteiler mit schwarzen Applikationen, Zehenschuhen und, statt Schwanz oder Backenbart, Dreiwochenstoppeln sowie gegelter Frisur.

Lachen und Längen

So weit, so komisch. Mal muss man lachen, mal sitzt man durch Längen. Manches verläppert sich, weil das Timing (noch) nicht ganz stimmt – wie bei Bastian Reibers von Monty Python und Mr. Bean inspirierten Kampf mit dem Laubbläser, der die wild verstreuten schwarzen Plastikbälle ins kreisrunde Bassin zurückbefördern soll, das auf der holzgetäfelten Bühne von Bettina Pommer das anfangs eingehegte Element der Molche symbolisiert. Kleine dystopische Schauer wehen einen an, der Bezug zum Heute ist hier klar, auch wenn sich für die Parabel keine 1:1-Übertragung findet und Einiges in diesem Katastrophen-Premix in der Luft hängen bleibt. Einmal lacht Bastian Reibers Lurch über die fehlenden Sprengstoff-Sanktionen ("das hilft wirklich sehr") und Russland lässt leise grüßen.

Zum Schluss bläht sich aus dem mittigen Eingang des Bühnenhalbrunds im Schaubühnen-Globe ein riesiges schwarzes Luftkissen. Hilflos versuchen die Povondras, das entfesselte Gebilde zurückzudrängen, aber der Kampf ist aussichtslos. Axel Wandtke als Zauberlehrling Van Toch versinkt oder: versenkt sich im wallenden Schwarz – und nun ist er es, der von den Molchen ihre Sprache lernt: einen sanften Abgesang, ein melancholisches "bl-l-l-ubb".

 

Der Krieg mit den Molchen
Nach Karel Čapek, in einer Bearbeitung von Soeren Voima
Regie: Clara Weyde, Bühne: Bettina Pommer, Kostüme: Clemens Leander, Musik: Thomas Leboeg, Dramaturgie: Christian Tschirner, Licht: Erich Schneider.
Mit: Holger Bülow, Doğa Gürer, Bastian Reiber, Alina Vimbai Strähler, Axel Wandtke.
Premiere am 4. Juni 2022
Dauer: 2 Stunden, keine Pause

www.schaubuehne.de


Kritikenrundschau

Schon die Stückfassung findet aus Sicht von Doris Meierhenrich von der Berliner Zeitung (5.6.2022) keinen Zugriff auf die "vielstimmige, collagenhafte Romanvorlage" und setze stattdessen das Ganze "als Vorführfarce der fünf unbeholfenen Erzählklone" an. "Ein Unterbietungsabend also, und: die Verschlumpfung des Molchozäns," so der Befund dieser Kritikerin.

"Die Theaterversion von Soeren Voima lässt die militärischen Aspekte der Romanvorlage aus und beschränkt sich auf die ökologischen Folgen einer kapitalgetriebenen Kooperation und Konkurrenz von Molch und Mensch," so Eberhard Spreng in der Sendung "Kultur heute" vom Deutschlandfunk. (6.2022). Da aber Farce, Satire und Komik ihre eigene, eng gesteckte Ästhetik hätten, sei hier sogar der Weltuntergang ein lustiges Vergnügen. "Natürlich darf es die alle Formen sprengende Apokalypse auch als satirischen Klamauk geben, aber von dieser Theaterbearbeitung einigermaßen unterfordert, stellt sich der Betrachter dann doch die Frage, ob diese Bühnenkomik überhaupt etwas von der Welt zu fassen kriegt, von der hier die Rede sein soll."

"Holger Bülow, Doğa Gürer, Alina Vimbai Strähler sowie die exorbitanten Klamaukakrobaten Axel Wandtke und Bastian Reiber sind als Molche wie als Menschen amüsant überzeugend und bringen die hässlichen, bizarren, zarten Seiten der einen wie der anderen aufs Schönste zur Geltung," schreibt Irene Bazinger in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (7.6.2022). "Am Schluss säuft die Erde ab, wie einer Radiosendung zu entnehmen ist, und der Homo sapiens hat in der nächsten, überaus feuchten Stufe der Evolution nichts mehr verloren. Dass er mit seiner Raffgier, Niedertracht und Gewalt daran selbst die Schuld trägt, ist der Treppenwitz dieser bösen Satire. Sie geht uns etwas an, und sie ist gut gemacht. Kein Wunder, dass der Schaubühne das Publikum auch in Zeiten wie diesen überwiegend treu bleibt und die Auslastung stimmt."

"Die Inszenierung von der Regisseurin Clara Weyde spielt mit dem Slapstick. Ihr Stil erinnert ein wenig an den des Regisseurs Herbert Fritsch, das Zelebrieren des Nonsens, aber die flotte Entwicklung des Inhalts verwischt diesen Eindruck bald wieder," schreibt Katrin Bettina Müler in der taz (7.6.2022). Die Theaterfassung des Textes durch das Autorenkollektiv Soeren Voima lässt nicht nur viele Parallelen der Geschichte zum Kolonialismus und zum Faschismus sehen, sondern auch – und das ist das Beklemmende – zur Gegenwart."

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