Gott lebt

1. Dezember 2023. Bastian Reiber, ein Komödiant von Gnaden, wechselte schon mehrfach auf den Regieposten. Im Studio der Schaubühne hat er jetzt einen Abend angerichtet, der mit der Angst des Schauspielers vor der Leere beginnt und mit den großen Fragen des Seins endet.

Von Christian Rakow

"Genesis" von Bastian Reiber an der Schaubühne Berlin © Alice Ionescu-Nell

1. Dezember 2023. Der Ehrentitel "Tausendsassa-Legende des Monats" gebührt in diesem November Bastian Reiber. Vor gerade einmal zwei Wochen stand er noch als einer der Kombattanten des Prinz von Homburg auf der großen Bühne (in Jette Steckels Kleist-Inszenierung). Und jetzt tritt er im Studio der Schaubühne auf. Und das in einem Stück, das ihm nach eigenem Bekunden völlig fremd ist, auf einer Bühne die für irgendeine andere Produktion eingerichtet wurde. Aber er will's mal trotzdem angehen. Teufelskerl!

Die Nähe des Humors zum Unendlichen

"Genesis", also Schöpfung, nennt Bastian Reiber sein in Eigenregie entworfenes Solo (zu dem später noch zwei Kompagnons hinzutreten). Und solche Schöpfungen aus dem Nichts, geboren aus einem scheinbaren Fehler, wo sich jemand wie aus dem Stegreif in eine Leere hineinspielt, haben ihren ganz eigenen Reiz. Wenn denn tolle Leute am Werk sind, Leute, die ihre Behauptung des Unfertigen mit Nonchalance und Understatement aufrecht halten. Leute wie Forced Entertainment etwa. Oder eben Bastian Reiber.

Reiber hat in den letzten Jahren als einer der glanzvollen Rampenartisten im Tross von Herbert Fritsch Berühmtheit erlangt, als Klamaukeur von höchsten Gnaden. Und sein Alleingang hier im Schaubühnen-Studio versprüht vieles von dem, was er offenbar mit Fritsch teilt: die Liebe zum Nonsens, zur Leere, zu Ruhepausen, zu Pfusch, zu abgedreht Anekdotischem. Vor allem aber ein tiefes Verständnis dafür, dass der Humor eine ganz eigene Nähe zum Unendlichen besitzt, und dass der wahre Komiker ein verzweifelter und verquatschter Suchender ist: nach dem Rätsel des Daseins. Warum gibt es eigentlich etwas und nicht vielmehr nichts?

Genesis3 1200 Alice Ionesu uBastian Reiber auf dem Showtreppchen © Alice Ionescu-Nell

Genau darum geht es in "Genesis". Reiber schlägt die Zeit tot, die nicht die seine ist, er räumt auf der Bühne umher, die angeblich für etwas anderes eingerichtet wurde: Er stöbert in herumstehenden Frachtkisten und findet allerlei Handwerkskram (Ausstattung: Marina Stefan). Er entdeckt irgendwann ein kleines Modell der Bühne und vervollständigt das Set nach seinen Maßgaben: Weiße Palmen richtet er her, die entfernt an den Garten Eden erinnern. Er rückt Ventilatoren heran und fügt sie erst zu einer Familienaufstellung, später dann zur Allegorie auf das Verhältnis des Menschen zu Gott. Und zwischendrin plaudert er, anekdotisch, kalkuliert fahrig, sinnhaft im scheinbar Sinnlosen: über die Angst des Spielers vor der Leere. Wo doch die Bühne ein "angstfreier Raum" sein soll, wie er witzelt.

Göttliche Energie strömt auch unter Kochpfannen

Der Spieler ohne Skript offenbart den Menschen ohne Geschick. Im doppelten Sinne: der Mensch als Tollpatsch und als undurchsichtiger Schicksalswurf. Langsam arbeitet sich Reiber in die im Titel anklingende biblische Schöpfungsfrage vor. Inzwischen ist Thomas Witte als Schlagzeuger hinzugetreten und knallt uns Trommelschläge um die Ohren. Und Reiber begibt sich in endlose, widersprüchliche Listen von Gottes-Definitionen, von Thomas von Aquin bis Udo Lindenberg. Herrlich. Manchmal unterbricht ihn Witte mit einem Drum-Solo, einmal auch mit einer Geschichte über die Vor- und Nachteile von Induktionsherden oder Gas- und Elektroherden. Die göttliche Energie strömt halt auch unter heimischen Kochpfannen.

Reiber pinselt nichts von all dem aus. Alles bleibt Fragment, zarte Andeutung, sorgsam unterspielt. Statt Pathos bietet Reiber hinreißend ungelenkes Posing auf einer viel zu winzigen Showtreppe am Bühnenrand. Im Finale lässt er wieder die Objekte sprechen. Ein Entlüftungsschlauch verwandelt sich zum Erdwürmchen, das sich unter dem Auge Gottes windet, und es entsteigt seiner Hülle Axel Wandtke, auch ein Fritsch-Getreuer, als öliges Marsmännchen. Eine glitschige Geburt, ein Aufscheinen von göttlichem Eigensinn. Der kleine Schöpfungsabend hat das Zeug zum Kult-Hit.

 

Genesis
von Bastian Reiber und Team
Regie und Konzept: Bastian Reiber, Künstlerische Mitarbeit: Christina Deinsberger, Bühne, Kostüme und Konzept: Marina Stefan, Musik: Thomas Witte, Dramaturgie: Bettina Ehrlich / Elisa Leroy.
Mit: Bastian Reiber, Axel Wandtke, Thomas Witte.
Premiere am 30. November 2023
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.schaubuehne.de

 

Kritikenrundschau

Über einen "höchst merkwürdigen, durchaus bemerkenswerten Abend" schreibt Georg Kasch in der Morgenpost (2.12.2023). Bastian Reiber gelinge das "Kunststück, einen herrlich verschusselten Improvisationsabend vorzutäuschen, um dann bei den großen Fragen zu landen". Dass Reiber in seinem Stück "so ziemlich alles verwitzelt – nicht aber die Frage nach Gott", hat den Kritiker beeindruckt: "Man geht ziemlich heiter aus diesem Abend. Und kommt dann doch nicht los vom Gedankenfutter, das Reiber virtuos umspielt, aber nie erklärt."

Bastian Reiber zeige sich in seiner Inszenierung "vor allem als begeisterter Schüler von Herbert Fritsch. Nicht, dass an diesem Abend die grotesken Perücken und Schraubschritte aus der Fritsch'schen Anarcho-Kiste geholt würden, doch schreibt Reiber mit seinem absurden Solo, das sich um die Angst des Schauspielers vor dem Nichts dreht, unübersehbar weiter an Fritschs 'Null'-Stück, das seit 2018 in der Schaubühne läuft", berichtet Doris Meierhenrich in der Berliner Zeitung (2.12.2023). Rieber versuche "die bedrohliche Sinnleere seines Auftritts durch metaphysische Überfülle zu vertreiben und betet Dutzende Gottesdefinitionen von Meister Eckehart über Marx bis Breton großäugig herunter. Und tatsächlich, immer mal wieder lichtet sich der Wortnebel und aus dem Nichts wird ein Etwas und aus dem Etwas ein Alles und aus dem Alles wieder nichts."

Kommentare  
Genesis, Berlin: Fingerübung mit Windmaschine
Der Ausgangspunkt der zweiten Regie-Arbeit von Bastian Reiber im Studio der Schaubühne nach „Prometheus“ (2019) ist vielversprechend: Wie geht ein Schauspieler damit um, wenn er in einem real gewordenen Albtraum aufwacht? Wenn er die Bühne vor vollem Haus betritt, sich aber plötzlich in einem völlig fremden Bühnenbild aus einem anderen Repertoire-Stück wiederfindet.

Wie könnte ein Spieler auf eine solche Situation reagieren? Wie lässt sich am besten Zeit überbrücken und totschlagen? Im Small-Talk mit einer Zuschauerin aus der ersten Reihe plaudert er mit Anekdoten aus dem Opernbetrieb aus dem Nähkästchen und klärt uns auf, warum das verprellte Publikum sein Geld nicht zurückfordern kann, wenn der Abend nach der Hälfte der geplanten Zeit abgebrochen werden muss.

Schließlich fügt sich seine Figur in ihr Schicksal und versucht aus den Kisten und Bühnenbild-Versatzstücken, die auf der Studiobühne nur scheinbar wie in einer Abstellkammer deponiert wurden, eine angenehmere Atmosphäre und einen „angstfreien Raum“ zu schaffen. Mit etwas Slapstick ordnet er Ventilatoren zu einer Choreographie an oder springt ein paar Treppenstufen hoch und wieder runter. Dazwischen memoriert er sich durch einen langen Monolog, der auf den „311 Gottesdefinitionen“ von Valère Novarina basiert und sich mit exzessivem Name-Dropping durch die Geistesgeschichte wühlt.

Als Sidekick kommt Thomas Witte hinzu, der stoisch und stumm auf das Schlagzeug eindrischt und später in einem grotesken Laber-Flash über Induktionsherde referiert. Wenn man den Abend nach fat 90 Minuten gedanklich schon als typische Studio-Fingerübung abgehakt hat, die sich eine interessante Fragestellung wählte, aber dann viel zu wenig daraus kommte, gibt es ganz zum Schluss doch noch einen schönen Moment, der in Erinnerung bleibt: Das vermeintliche Heizungsrohr am linken Bühnenrand setzt sich langsam in Bewegung und tänzelt in die Mitte, beginnt einen Pas de deux und stülpt sich über Reiber, der davon ganz verschluckt wird, während sich Axel Wandtke am anderen Ende herausschält und im Hintergrund die Windmaschine angeworfen wird, die die Frisuren des Premieren-Publikums zerzaust. Zu einer letzten Runde von Gottesdefinitionen setzt Reiber noch an, bevor dann endgültig Schluss ist.

Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2023/11/30/genesis-schaubuehne-kritik/
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