Liebestaumel mit Schildbürgern

18. Januar 2024. Frau spielt Mann, in den sich Frau verliebt, die von anderem Mann geliebt wird. So oder ähnlich geht es in William Shakespeares großem Komödien-Verwirrspiel "Was ihr wollt" zu. Regisseur Alexander Riemenschneider macht es am Theater an der Parkaue zu einem Fest für Genderoffenheit.

Von Sophie Diesselhorst

"Was ihr wollt" in der Regie von Alexander Riemenschneider an der Parkaue Berlin © David Baltzer

18. Januar 2024. "Was ihr wollt" als Feier der Queerness – das ist keine Überraschung. Landauf, landab wird die Komödie von Shakespeare zurzeit so auf die Bühne gebracht. Auch wenn sie in diesem Sinne nichts Neues bietet, ist Alexander Riemenschneiders Inszenierung im Theater an der Parkaue ein äußerst überzeugendes Beispiel für diese Deutung und kommt zudem mit so lockerer Virtuosität aus dem Berliner Winter geschlittert, dass es eine Freude ist.

Das Glück der Heteros

Apropos Virtuosität, die ist ja auch gefordert, wenn es darum geht, den Plot übersichtlich zusammenzufassen. Die adligen Zwillinge Viola und Sebastian stranden bei einem Schiffbruch an der Küste von Illyrien und verlieren sich aus den Augen. Viola verkleidet sich als Jüngling und macht Brautwerbung für Herzog Orsino, in den sie sich heimlich verliebt. Dessen Objekt der Begierde, Gräfin Olivia, wiederum verliebt sich in den vermeintlichen jungen Mann. Nur die verspätete Ankunft des Zwillingsbruders kann Glück im heteronormativen Sinne stiften. Olivia kriegt Sebastian und Orsino kommt zu Sinnen und erkennt, dass er eigentlich Cesario beziehungsweise Viola liebt.

Wasihrwollt David BaltzerWas ihr wollt Oder Wer ist für wen der oder die richtige? Vorn: Tenzin Chöney Kolsch, Patrice Grießmeier und Claudia Korneev. Im Hintergrund: Henri Jakobs © David Baltzer

Diesem Shakespeare'schen Happy End erteilt die Inszenierung in der Parkaue eine rüde Abfuhr, die schon in der Besetzung angelegt ist, aber trotzdem erst ganz am Ende kommt, nachdem die Handlung mit all ihren Spannungen werktreu aufgebaut worden war: Cesario/Viola und Sebastian werden nämlich hier vom*n der selben Schauspieler*in (Patrice Grießmeier) dargestellt. Der Unterschied liegt in der feinen Nuance und einer Jacke, die Grießmeier sich als Sebastian zusätzlich überzieht. In der Auflösungsszene, in der Viola und Sebastian einander endlich gegenüberstehen und sehen, dass sie beide den Schiffbruch überlebt haben, rennt Grießmeier erst wie bescheuert zwischen zwei Namensschildern hin und her, bleibt aber plötzlich stehen und entscheidet sich einfach für iher*seine neue und selbstgeschaffene (queere!) Identität: Cesario. Der Rest ist Musik.

In Liebesfragen offen

"Was ist ein Name? Die Antwort, mein Kind: Eine Hand voller Sand, ein Rufen im Wind, ein Laut, der entsteht und wieder vergeht" heißt es in einem der Songs, die Riemenschneider und seine Musiker Henri Jakobs und Taylor Savvy komponiert haben. Die Inszenierung ist durchzogen von genrefluiden musikalischen Auftritten, die sich perfekt einfügen in das Hin und Her zwischen den beiden Höfen mit ihren Herscher*innen, die nichts besseres zu tun haben als sich besinnungslos zu verlieben. Bereits zu seinem Morgencafé verlangt Orsino nach einem Lied, das ihm die traurige Wahrheit – die Gräfin will ihn nicht – in deutlichen Worten darlegt, aber eben melodisch gedämpft, so dass er trotzdem weiter in seiner aufgeklärten Täuschung verharren kann.

Wasihrwollt 4 David BaltzerTheaterzeigekunst mit Pappschildern auf der Bühne von Maria-Alice Bahra: Ariel Nil Levy und Patrice Grießmeier © David Baltzer

Das Lied wird ihm dargeboten vom Narr Feste, der zusammen mit all den anderen Nebenfiguren aus dem Stück genüsslich in der Parallelhandlung schwelgt. Olivias Onkel Sir Toby Rülps spielt zusammen mit seinem Freund, dem einfach gestrickten Ritter Andrew Leichenwang, dem kleinkarierten Verwalter von Olivias Gut Malvolio einen Streich, indem sie ihm vorgaukeln, Olivia hätte sich in ihn verliebt. Bei Shakespeare nimmt das Stück für Malvolio wegen dieser Täuschung keinen guten Ausgang, doch die Inszenierung in der Parkaue zersetzt die komischen und die tragischen Wendungen des Originals eben dadurch, dass sie das ursprüngliche Happy End abschafft. So bleibt für alle alles offen, zumindest in Liebesfragen.

Spiellust bis zum bittersüßen Ende

Und das war ja auch der ganze Spaß an dem Verwirrspiel mit den getauschten Identitäten im Zentrum – hier wird's bei den Theaterhörnern genommen, was gleich zu Anfang klargestellt wird, wenn der Blick auf die Besetzungsliste eine gewiefte Crossbesetzungspolitik offenbart: Die Männerfiguren sind überwiegend mit Schauspielerinnen besetzt, mal abgesehen von den unverbesserlichen Heteros Orsino und Olivia. Malvolio ist gleichzeitig Verwalter und Inspizient*in und kontrolliert also auch die Abläufe der Inszenierung. Doch dann bricht gleich erstmal die gesamte Kulisse in sich zusammen. Die Operas, die die Szenenordnung vorgeben sollten, werden viel zu früh enthüllt, bis zum ordentlich geschrieben "Ende"-Schild, und hängen fortan schepp in der Gegend herum. Illyrien ist eine Kombination aus Südseelandschaft, Sternenhimmel, einem verhüllenden weißen Gazevorhang und der Vorstellungskraft des Publikums, das bei der Premiere mit Ausnahme einer jugendlichen Schulklasse überwiegend erwachsen war.

Doch diese Shakespeare-Adaption wird auch ein überwiegend junges Publikum erreichen, denn sie ist klar und offen und biedert sich in keine Richtung an, sondern bleibt ihrer einfachen Grundidee und der daraus entfesselten Spiellust der Darsteller*innen bis zum bittersüßen Ende treu. Und das ist mitreißend.

 

Was ihr wollt
von William Shakespeare
Regie: Alexander Riemenschneider, Bühne: Maria-Alice Bahra, Kostüme: Lili Wanner, Musik und Komposition: Henri Jakobs, Taylor Savvy, Dramaturgie: Matin Soofipour Omam, Künstlerische Vermittlung: Nils Erhard.
Mit: Birgit Berthold, Patrice Grießmeier, Henri Jakobs, Tenzin Chöney Kolsch, Claudia Korneev, Ariel Nil Levy, Yazan Melhem, Taylor Savvy, Mira Tscherne, Kofi Wahlen.
Premiere am 17. Januar 2024
Dauer: 2 Stunden 15 Minuten, eine Pause

www.parkaue.de


Kritikenrundschau

Einen "unaufwendigen und gut gelaunten Abend, der sich ruhig noch einschleifen darf" hat Ulrich Seidler erlebt und schreibt in der Berliner Zeitung (19.1.2024): "Schön zu erleben, wie humorvoll und leicht und fluide das Spiel mit den sozialen und biologischen Geschlechtern und Identitäten sein kann."

Herrlich gespielt werde die Genderkomödie an der Parkaue, so Elena Philipp in der Berliner Morgenpost (20.1.2024). Zauberhaft sei auch die Bühne von Maria-Alice Bahra. "Für einen richtig runden Abend nötig gewesen wäre nur mehr Vertrauen in die Seelennöte der Figuren. Und etwas weniger Klamauk und Ironie."

 

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