Kill your Darlings! Streets of Berladelphia (UA) - Das fabelhafte Duo René Pollesch/Fabian Hinrichs erzählt in der Volksbühne tatsächlich von Liebe
Pollesch in love?
von Matthias Weigel
Berlin, 18. Januar 2012. Eine Viertelstunde vor Vorstellungsbeginn kommt er mit roten Backen angeradelt, der Fabian. Als sich die Menge im Saal der Volksbühne eingefunden hat, winkt er vom Bühnenrand noch schnell dem ein oder anderen zu. Eine Baggerschaufel lugt schon hinterm Seitenvorhang vor, während er auf der anderen Seite halbverdeckt in den Bühnenhimmel hinaufgezogen wird. Es ist, als habe ein guter Freund zur Voraufführung seiner neuen Show eingeladen, die er erst im kleinen Bekanntenkreise testen will. In jedem seiner noch so strengen Ausrufe wird später mitschwingen, dass es ja eigentlich ein bisschen lustig ist, dass er gerade uns jetzt diese sperrigen Sätze über Netzwerk und Kapitalismus hinschleudert, und dass er sich schon aufs gemeinsame Bier danach freut, um über alte Zeiten zu plaudern.
Weltklasse-Früchtchen im Akrobaten-Chor
Fabian Hinrichs, unser Freundchen, das Früchtchen, den Spargeltarzan, den Max-und-Moritz, den Oberschelm, man muss ihn lieben. Denn er liebt uns auch, bestimmt. Er scheint überhaupt alles und jeden grundsätzlich zu mögen, und wahrscheinlich hat er mit seiner entwaffnenden Menschenfreundlichkeit nun auch Regisseur-Autor René Pollesch endgültig rumgekriegt, beim neuen Stück "Kill your Darlings! Streets of Berladelphia".
Vor ziemlich genau zwei Jahren schickte Pollesch Fabian Hinrichs in Berlin ganz allein in den Ring, um uns interpassiv auf den Verblendungszusammenhang hinzuweisen. Bereits damals hatte es für Pollesch-Verhältnisse verdächtig warmherzig gemenschelt. Jetzt ist Hinrichs mit einem Chor zurück – ein Mittel, auf das Pollesch in den letzten Jahren öfters zurückgegriffen hat (u.a. Ein Chor irrt sich gewaltig, Mädchen in Uniform). Und es ist nicht irgendein Chor, hören wir: Nicht etwa ein Arbeiter-Chor, ein Chor des Proletariats oder der kommunistischen Genossen – alte Hüte. Diesmal repräsentiert der Chor nicht weniger als den Kapitalismus höchstpersönlich, und zwar als Netzwerk! Das sich zusammensetzt aus fünfzehn jungen Turn-Akrobaten.
Sie schweben zu Beginn mit Hinrichs auf die Bühne. Schon seit ein paar Minuten läuft der knackige Schlagzeug-Beat, der das (sonst getragene) Streets of Philadelphia von Bruce Springsteen einleitet. "Achtung, wir springen jetzt", sagt eine Stimme, "Mut, Mut, Mut", und das letzte gedehnte "U" geht nahtlos über in die triefenden Synthesizerklänge des Weltschmerzes. Weltklasse.
Übrig bleibt die Pizza
Also früher!, früher hätte es sowas nicht gegeben bei Pollesch. Im Programmzettel finden sich zwei rote Herzen, aber keine Geisteswissenschaftler. Und Hinrichs' Spiel macht die Thematisierung der Theatersituation ja sowieso überflüssig. Was bleibt also? Fabian Hinrichs will nicht mit dem Netzwerk des Kapitalismus ins Bett gehen, er zankt, zieht, zerrt an den Turnern. Menschenpyramiden, Menschen-Sofas, Menschen-Treppen entstehen, choreographierte Illustrationen seiner Sätze. Die Theorie war nie leichter.
Doch das wirkliche Problem an diesem Abend ist auch ein anderes. "Dass es uns heute Abend nicht reicht, dass wir zusammen Pizza essen gehen, das ist wirklich gefährlich." Das ist es. Natürlich reicht es uns nicht. Wir wollen nicht, dass es uns reicht. Wer gesteht sich schon gerne ein, dass einem nicht mehr einfällt, als Pizza essen zu gehen.
Zum Beispiel: Um sich die (durchwegs beeindruckend virtuosen) Akrobaten allein in einer Mehrzweckhalle anzusehen, da hat Hinrichs recht, würde wohl keiner 45 Euro hinlegen. Es muss ein Mehrwert her, in der Volksbühne: Musik, Kraken-Kostüm, Lichtshow! Wir brauchen einen Mehrwert! Ach, übrigens war der zweisame Urlaub auf Sylt auch langweilig. Es fehlte etwas.
Liebe und Leim
Das alles umspielt auch eine tragische Liebesgeschichte. Ja, Pollesch und Hinrichs erzählen tatsächlich ein bisschen von der Liebe, die dem postdramatischen Entzauberer sonst doch eher entlarvungswürdiger Verblendungszusammenhang war. Oder von deren Ende, wenn die große Liebe auf einmal nur noch Pizza Essen ist und plötzlich eine Panna Cotta her muss. Von der Sucht nach immer höheren Dosen.
Das ist, wenn man den Schluss ziehen will, ja auch Polleschs Verhältnis zum Theater. Die Pizza gab's bei ihm nie ohne den theoretischen Mehrwert, es reichte ihm nie, bis zur völligen theoretischen Über- und Unterwanderung, Abschnürung, Aushebelung. Eigentlich fasst er in "Kill your Darlings!" seine Stücke in ein paar Sätzen zusammen: "Gibt es eine Antwort? Ja. Aber wir mussten sie raus schneiden. Ihr hättet das einfach nicht ertragen, und wir hätten das auch nicht ertragen. Es war eine Antwort, die nicht zu leben ist." Diese durch Fabian Hinrichs personifizierte Selbstbefragung ist als Pollesch-Theater-Theaterstück sehr berührend. Trotz aller natürlich vorhandenen Ironie, trotz der Brechungen und Zweideutigkeiten: "Kill your Darlings!" schüttelt sich ganz sanft den eigenen Mehrwert des Theoriedefätismus' ab und bejaht das Leben, umarmt die Menschen. Ganz warm, ganz nah, ganz herzlich. Pollesch hat seine Darlings gekillt.
Und wenn ich ihm jetzt so richtig auf den Leim gegangen bin – so tat ich's gern.
Kill your Darlings! Streets of Berladelphia (UA)
Regie: René Pollesch, Bühne und Kostüme: Bert Neumann, Licht: Frank Novak, Torsten König, Dramaturgie: Henning Nass.
Mit: Fabian Hinrichs und Chor (Eduard Anselm, Johanna Berger, Christin Fust, Hannes Hirsch, Emma Laule, Ronny Lorenz, Martina Marti, Fynn Neb, Rudolph Perry, Simone Riccio, Nicola Rietmann, Paula Schöne, Anna Smith, Lukas Vernaldi und Claudia Vila Peremiquel).
www.volksbuehne-berlin.de
Noch mehr lesen über die gemeinsamen Arbeiten des fabelhaften Duos Pollesch/Hinrichs? Bitte schön: Ich schau dir in die Augen, gesellschaftlicher Verblendungszusammenhang! in der Volksbühne (Januar 2010), Der perfekte Tag (Ruhrtrilogie III) in Mülheim an der Ruhr (Juni 2010), XY Beat an den Münchner Kammerspielen (November 2010).
"Wieso rufst du mich nicht an. Du hast doch meine Nummer. Ich sitze zu Hause rum und du bist nicht da." - Wer hätte gedacht, dass wir solche Sätze in einem Pollesch-Stück zu hören kriegen werden, schreibt Ulrich Seidler in der Berliner Zeitung und Frankfurter Rundschau (20.1.2012) und fragt sich: "Ist das ein Pollesch-Paradigmenwechsel, weg von den bescheidwisserischen Theorie-Verwurstelungen hin zu unverstellt privaten Problemen, wie der hoch geschätzte Kritiker-Kollege, der dem hier schreibenden gegenüber sitzt, vermutet?" Oder sei da nur eine künstlerische Resignation zum Vorschein gekommen? "So oder so ist Pollesch irgendwie die Ironie ausgegangen", findet Seidler, und das mache durchaus neugierig.
Die Inszenierung jongliere mit den alten antikapitalistischen Behauptungen, aber nur, um sie sofort wieder in freiem Spiel und Doppelbödigkeiten aufzulösen, so Peter Laudenbach in der Süddeutschen Zeitung (20.1.2012). "Jede von ihnen hat hier eine Rückseite, ihr genau so schlagendes Gegenteil." Hinrichs katapultiere sich im Solo durch einen Text, der gleichzeitig hochbeschleunigtes Gedankenspiel, scheinbar privates Statement und vor allem eine große Freude ist. Fazit: "So lustig, klug, bei allen Selbstreferenzschleifen präzise in der Gesellschaftsdiagnose war das Theater lange nicht."
"70 Minuten Zuschau-Rausch", sah Christine Wahl (Tagesspiegel, 20.1.2012), und schreibt, "was diesen Abend so herausragend macht, ist die Tatsache, dass man ihn auf unzähligen Ebenen gleichzeitig lesen kann." Das Allerbeste sei, dass man auch ohne Brecht, Schleef, Jean-Luc Nancy & Co. ein komplexes Vergnügen an ihm finden könne. Dafür sei Fabian Hinrichs verantwortlich, der den oft als ausgeschöpft beschriebenen PolleschSound "noch einmal neu hinterfragt und ihm dabei überraschend vielgestaltige Töne abgewinnt". Man verlasse die Volksbühne so gut gelaunt wie schon lange kein Theater mehr.
"Auch diesmal ist Polleschs Theater wieder Boulevard für Intellektuelle, aber wärmer, emotionaler als sonst", lobt auch Georg Kasch in der Berliner Morgenpost (20.1.2012). Natürlich gebe es wieder die absurden Reibungen zwischen Theorien und Camp, dem großen Ganzen und dem Individuum. "Und es gibt die Glamourshow-Versatzstücke, Morrissey singt, Michael Jackson tanzt übergroß als Projektion, und wenn Hinrichs am Beispiel der Turner den Mehrwert von Kapitalismus und Sinn erklärt, dann orgeln die Scheinwerfer und dröhnt der Pop das schön anschaulich: Sporthalle ist wirklich was anderes."
"Agitprop für die wissende Mittelschicht", so deutet Mathias Greffrath den Abend in der taz (1.2.2012), "um ihre Sinnsucht zu provozieren, ihren Suchtrieb zu locken." Diese Mittelschicht sei, was das Proletariat einst war: "eine Klasse von Menschen, ohne die nichts lief und denen es nicht reichte, was man ihnen gab. Die in einer langen Lehre lernen mussten, dass es keine individuellen Lösungen gibt." "Wir hatten die Antwort, es war die beste Antwort. Sie war richtig, aber nicht zu leben", rufe Hinrichs in den Saal, "und ironisch lugt unter dem säkularen Erlösungsbegehren eine untergegangene Welt hervor: Hinrichs sei die zeitgemäße Mutter Courage und spannt sich vor diesen Satz wie die Weigel vor den Karren. Die Szene treibt historisch wehmütige Tränen ins Auge, aber diese Courage verteilt keine Aufmunterungen, sondern Saunahandtücher."
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Kunstgewichse eben.
Kann ich mir nicht anschauen so was.
Ich will acting nicht brechting.
gestern war eher tragisch.
Aber hier hat es einen anderen Sinn: Weil es nichts zu lehren gibt!
KILL YOUR DARLING, was immer es ist: nimm Abschied! Hinrichs sagt es irgendwann: Es geht nicht um den großen Spaß, es geht auch gar nicht um den Zuschauer: "Dieser Abend ist nicht für Euch, er ist für uns allein!" Aber immer wollen wir uns als Linke mit Linken ins Bett legen. Unsere gemeinschaftlich geteilten Meinungen über die Welt, den Kommunismus, den Kapitalismus schieben sich vor jegliche Erfahrung, vor das sprachlose "Singuläre" (wieder verneigt sich Pollesch vor Nancy und Agamben), das sich in einem anderen "Zusammen" ereignet: dem hingebungsvollen Schlittern durch das Bühnennass, einem fast schillerhaften Spiel der Artisten mit der Anarchie des Wassers. Ein Spiel, das nichts repräsentiert als sich selbst. Hier, könnte man mit Lyotard sagen, wäre Theater einmal nicht Pornographie.
Aber dieser seltsame Abend wird weggelacht, vom Publikum, einem Teil der Kritik. Die "Lehre", dass es nichts zu "verstehen" gibt (die Brechts Lehre von der Leere ist), kann offenbar so wenig ausgehalten werden wie die Einsicht in die Öde von Theaterspäßen, die den Charakter von Turnübungen haben (wie bei everybody‘s darling Herbert Fritsch). Dieser Abend ist eine Schlitterbahn für ein zeitgenössisches Publikum, das nichts anderes erwartet als die Bestätigung seiner manifesten Vorurteile. Dabei übersieht es grinsend, wie jeder Moment auf der Bühne unserer Souveränität als Zuschauer den Boden entzieht. Aber mit welchem Grund, fragt der Abend, sollten wir allen Ernstes erwarten, dass „Publikum“ heute erlöster, klüger, aufgeklärter und politisch smarter wäre als zu Zeiten Brechts?
Theater, zeigen Pollesch und Hinrichs, hat seine Adressaten nicht verloren (wie Heiner Müller meint), sondern es adressiert schlichtweg nicht mehr. Es geht eben nicht um das Angebot der Identifizierung mit dem Geschehen auf der Bühne; es geht bei allem Spaß - der hier ein sardonischer ist – gerade um die passionierte Distanznahme vom Kopfkino. Als Chance, damit sich das ereignen könnte, was das allerschwerste ist: Hingebung als Selbst-Aufgabe. In diesem Sinne scheint mir Polleschs Brechtlektüre von Nietzsches Denken des Aristokratischen her gedacht – auch wenn man sich diese Erkenntnis einer „Publikumsbeschimpfung“ als strikte Antithese zu den Arbeiten des Unterhaltungskünstlers Fritsch in der Volksbühne nur zuflüstern darf.
besinnung auf die liebe als schlüssel der eigenen wahrheit, ist nichts unbekanntes.
doch der durchschnitt grinst realistisch-wirklichkeitsgesättigt darüber hinweg...
Herrliche Idee! Eine Website entwickeln, auf der sich die Theatermacher ausschließlich über das Publikum äußern. Verschiedene Publikumsarten definieren, Zusammensetzungsbarometer erstellen, Wanderungsbewegungen im Diagramm festhalten, Publikum des Jahres wählen lassen, das eine Publikumsextrem mal auf das andere treffen lassen, Selbstanalysebögen auslegen ... traumhaft! Wenn ich nicht so viel zu tun hätte würde ich da SOFORT zulangen!!!
Komplette Kritik: http://stagescreen.wordpress.com/
Ich habe mich verliebt. So stark und innig, wie es mich nie getroffen hat. Ich habe mich in ein Theaterstück verliebt. Und in den vermuteten Geist dahinter. Ich habe mich in „Kill Your Darlings – Streets of Berladelphia“ verliebt. Jetzt mache ich mir das Lied „Life is a pigsty“ an, damit es mich noch einmal übermannt. Moment.
Die Aufgabe, die es zu bewältigen gilt, ist eine Stückanalyse, im Rahmen eines Theaterwissenschafts-Moduls habe ich die Vorstellung besucht. Wie ich mich kenne und gerade beobachte, entbrennt in mir der Wunsch, es so gut wie möglich, ja „perfekt“ zu machen. Was heißt das überhaupt…Überdrehter, sinnloser Anspruch.
„Es fehlt uns was, es reicht uns nicht“… Was auch immer ich da entdeckt habe, ich liebe dieses Entdeckte. Ob ich Pollesch und sein Team verstanden habe, ist für mich einerlei. Was ich aber meine verstanden und erfühlt zu haben, liebe ich. Kann es denn wahr sein, dass man sich in ein Theaterstück verliebt? Analytisch betrachtet scharfe, spitze, treffende Sätze. Entwaffnende Bilder. Ein unglaublich zugänglicher wie irritierender Fabian Hinrichs, der einige Pannen so zugänglich behandelte, wie das Leben selbst. Ein starker Chor, der nicht spricht sondern nur ein einziges Mal gesprochen in die Schranken weist. Entlarvend und hoffnungslos bezeichnend. Ich danke dafür, bin so dankbar für diese Theatererfahrung. Habe nie konkreter vor Augen geführt bekommen, wie leer und einsam doch unsere eigenen Hüllen und Innereien in diesem System sind. Wie sinnlos so vieles ist, von dem wir uns Erfüllung erhoffen. Wie konstruiert das alles ist, und wie sehr verloren wir sind, auf der Suche nach einem DRINNEN. Ich werde dem intellektuellen Anspruch Polleschs sicher nicht gerecht. Sei’s drum. Das werde ich mein Lebtag nicht vergessen. Diese tiefe Spitze, dieses in-mir-selbst-herumgerühre. Das so nachhallt, dass ich mein Leben in Frage stelle. Tiefgründig, nicht trotzig. Mit einer Frage, die das Stück parat hätte (angeblich) aber nicht preisgibt. „Warum machen wir das?“
Suchen, zeigen, fragen, suchen. Fragen, zeigen. Suchen. Machen. Leben eben. Oder so tun als ob. Konstruieren. „Die besten Szenen haben wir gestrichen. Sie würden sie nicht ertragen. Und wir auch nicht.“. Eben. Das trifft es doch. Und dann darüber mit Stirnrunzeln freuen. Und alles wieder ausschütten und es sich anschauen. Sezieren. Wir nehmen uns alle viel zu ernst. Und die Konsequenzen machen so unglaublich einsam, dass man sich fragt, was das alles soll. Und dann denkt man sich wieder: Es ist doch nur Theater. Aber wenn ich so durch Leipzig laufe, an Berlin denke, an diesen Abend, an den wunderbaren Hinrichs und viel Liebe spüre, und doch meine zu wissen, dass Pollesch in Interviews sagt, die Liebe brächte uns nicht weiter, so denke ich doch: Doch, doch. Die Liebe erinnert uns an das nicht Vorhandene, dann bin ich erfüllt und auch auf einmal hellwach. Traurig, skeptisch und lakonisch.
Schmerz wird immer da sein, die Frage ist, akzeptieren wir ihn endlich in einer Art und Weise, dass wir unseren Geist öffnen können? Wann ist Leid erfahrbar? Und wann hören wir auf, Hamster zu sein? Verdammte Hamster. „Ich wünsche mir Nahwelt-Erfahrung“. Und dann lacht man herzlich und schluckt und schaut und ist ganz und gar da drinnen, wenn man sich auf diese Sicht einlässt und vorher Adorno gelesen hat. Es hilft, den Abend zuzulassen. Es muss nicht sein, aber mir persönlich hat es geholfen. Der „Fatzer“-Vorhang. Hinrichs überspanntes Gesicht mitten durch die Mitte des Vorhangs: „Huhu!! Naaaaaaa? Kekse?“ Wenn man sich auf diese Bilder nicht einlassen kann oder will: Kein Problem. Ich habe es getan, mit voller Inbrunst, und ich bin pathetisch und überdreht. Aber dieser Theater-Abend hat mit mir etwas gemacht. Sanft, subversiv, eindringlich. Unvergesslich. Sehenswert.
Danke, Herr Pollesch. Sie haben mich wach gemacht. Vielleicht bin ich jetzt versaut für immer. Auch schön.
Gut, dass uns Pollesch und Hinrichs das ersparen, wie Fabian Hinrichs in kurzen Atempausen betont, wenn er gerade mal nicht von den durchtrainierten jungen Turnerinnen und Turnern, dem „Netzwerk“, über die Bühne gejagt wird oder im Stil der Mutter Courage seinen Wagen ziehen muss.
Auch bei diesen nur zweitbesten Szenen, die Pollesch und Hinrichs für zumutbar halten, bekommen die Zuschauer einiges geboten: eine Mischung aus philosophischen und soziologischen Diskursschleifen mit expliziter Kapitalismuskritik und unterhaltsamem Kasperletheater.
(...)
„Kill your darlings“, das 2012 zum Theatertreffen eingeladen war, wirkt rückblickend wie eine Vorarbeit zum beeindruckerenden „Keiner findet sich schön“, den besten Pollesch/Hinrichs-Abend. Aber auch dieser Abend lohnt sich. Es wird wohl nicht mehr viele Gelegenheiten geben, Fabian Hinrichs und seine Crew dabei zu erleben, wie sie zu Bruce Springsteen-Klängen von der Decke schweben.
Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2016/12/06/kill-your-darlings-fabian-hinrichs-und-rene-pollesch-turnen-durch-die-kapitalismuskritik/
wenn ich mir diesbezüglich etwas sehr egoistisches wünschen dürfte,
im Jänner 2022, mindestens eine Wiederaufführung von meinem liebsten Theaterabend.
Diesmal mit allen Kindern.
Es wäre ein weiters Fest.
Vor allem wusste man um die Schwierigkeit dieser Fragen, man brauchte für eine Antwort mindestens Bruce Springsteen, einen Chor, Turner und ein Tintenfischkostüm. "Wir wollen immer eine Lösung. Die Wahrheit ist: Wir müssen aushalten, dass es keine gibt", hat Pollesch gesagt. Aber wie soll man so einen Satz ertragen? Also zieht man den Helm drüber, ab zum LDL-Cholesterinspiegel-Check. Wenn es sein muss, eben ohne Zigarette danach."
https://www.sueddeutsche.de/kultur/langlebigkeit-peter-attia-longevity-rene-pollesch-fahrradhelm-medizin-outlive-1.6495070