SMAK! - Volksbühne Berlin
Fez und Faxen bis die Augen knacksen
14. April 2022. Was ist das? Eine Wimmelbild gewordene Drogenparty? Ein Pop-Konzert mit Ringelpiez? Ein Totalkunst-Triumph? Der philippinische Allroundkünstler Khavn zeigt an der Volksbühne "SMAK!" sehr frei nach Alfred Jarrys Dada-Kracher "König Ubu".
Von Michael Laages

14. April 2022. Wär’s ein Comic, stünde "Sma(c)k!" in der gezeichneten Sound-Blase über einer gezeichneten Ohrfeige, und zwar einer richtigen. "Smack!" – Superman verteilt so etwas unter Gegnern! Aber wenn "SMAK" für "SuperMachoAntiKristo" steht: Was soll das denn heißen?
Ein neuer Theaterabend an der Ost-Berliner Volksbühne am Rosa-Luxemburg heißt so. Hauptverantwortlich für ihn ist ein philippinischer Künstler namens Khavn de la Cruz, 1973 geboren und bei internationalen Kultur-Scouts und eingeweihten Fans (für die er – unter Kumpels – einfach "Khavn" genannt wird) berühmt für ganz viele Filme, ein eigenes Festival, reichlich Privat-Kult und vieles mehr. "SMAK" in Berlin hat er quasi allein entwickelt; Konzept und Musik sind von ihm, er sitzt am Schlagzeug auf halber Höhe im Bühnenbild von Leeroy New, singt und hat das Spektakel inszeniert.
Glücksfall oder gestohlene Lebenszeit?
Spektakel wie dieses sollten in Programmzetteln (und Pressemitteilungen) möglichst ganz ohne Text auskommen, nur mit Fotos oder Zeichnungen arbeiten, denn sobald die Basis-Informationen (hier sogar in Gestalt einer Handlungsbeschreibung wie im Opernführer) verglichen werden können mit dem, was dann tatsächlich auf der Bühne geschieht, wird schlagartig klar, dass die Gebrauchsanweisung einerseits tatsächlich zwingend ist (weil auf der Bühne gar nichts erklärt wird), andererseits aber auch völlig überflüssig – aus akkurat demselben Grund: Weil nicht nur nichts erklärt wird im Spiel, sondern Fakten und Details nicht mal ernstlich zu entschlüsseln sind vor lauter Tohu und Wabohu, Kuddel und Muddel, Ringelpietz und Tingeltangel. Wer sich da hineinziehen lassen möchte, hat Glück und wird unbedingt zufrieden gestellt, wer nicht, eben nicht; und könnte drei pausenlose Stunden im Theater durchaus als gestohlene Lebenszeit empfinden.
Ein Song des Abends: "Schreiße Sprakenheit"
Nun aber endlich zur Sache – Alfred Jarry und dessen berühmtes Skandalstück "Ubu Roi" aus dem Jahr 1896 markiert einen der Orientierungspunkte im weiten Feld der Assoziationen. Die grobe Herrscher-Parodie ist ja seither berühmt dafür, dass der König ein ekelhaft gewalttätiges Monstrum ist und im Original unentwegt "Merdre!" ruft, was in deutschen Fassungen meist sehr sinnig mit "Schreiße!" übersetzt wird.
Hier bei Khavn heißt diese Schreckgestalt "Ubulbulul“ und singt auch. Daniel Zillmann trägt als Krone auf dem Kopf eine Portion fein gehäufelter "Schreiße", wie sie auch als Groß-Skulptur auf dem Dach von Ubulbululs Palast-Konstruktion prangt. Sehr schön. Überhaupt ist die Bühne von Leeroy New durchaus ein Ereignis: ein Stahlgerüst wie bei Aleksandar Denic, nur eben viel bunter. Kostüme wie hier waren auch selten zu sehen bisher.
Zurück zu Monstrum Ubulbulul – der ist obendrein in eine Rache-Fabel verstrickt, die eine gewisse "Sissa Jarry" antreibt (vielleicht ist ja "Sista" gemeint, eine Schwester im Geiste des Autors?); wie Medea will sie zwei tote Kinder rächen, die sie immerhin nicht selber geopfert hat. Aber ähnlich besessen ist auch Sissa hier. Erinnern soll all das (irgendwie) an José Rizal, den 1896 von der französischen Kolonialmacht in Manila hingerichteten Nationalheld der Philippinen.
Lilith Stangenbergs Himmelfahrt
Lilith Stangenberg spielt Sissa Jarry, und als sie zum Ende hin den zuvor unbesiegbar scheinenden Ubulbulul doch klein gekriegt hat, wird ihr ein Stahlhelm mit "Merdre"-Imitat übers Langhaar gestülpt, ans Kreuz wírd sie gehämmert, und mit tätiger Hilfe der Bühnentechniker darf sie dann sogar als Engel verklärt gen Himmel schweben. Khavn verlässt derweil die Trommel und rennt mit einer Sirene um die Bühne … hurra!
Lilith Stangenberg als Racheengel Sissa Jarry © Lilli Nass
Viel weiteres Personal wäre zu erklären; das besorgt aber wirklich besser der Waschzettel; zumal es ziemlich wurscht ist, wer nun "Mamamakbeth" ist, also Mama Macbeth, wer in welcher entscheidenden Funktion "Uncle Jesus", "Caesar Hazard" und "Faustrollol" ist und was jede Rolle jeweils bedeutet in Khavns programmatisch wirrem Kosmos. Zeit und Ort der Handlung übrigens: "Mondo Europa des 38. Jahrhunderts".
Lilith Stangenbergs Monolog über das Recht auf Rache: "Mein Leidensweg ist der der Verfolgten!"
Wichtig ist, dass alle immerzu rumrennen und eine Art Choreographie erfüllen, dass sie mit archaischen Holzfahrrädern unterwegs sind (was zunächst nur Sissa Jarry vorbehalten ist), dass sie eine Art venezianischer Gondel über die Bühne ziehen, Rugby-Bälle von rechts nach links werfen (wird auf den Philippinen mehr Rugby als Fußball gespielt?), dass in einem glänzend blauen Sarg ein wenig kopuliert wird und im übrigen alle reichlich Fez und Faxen machen. Irgendwann mischt sogar der bewährte Volksbühnen-Schrat Mex Schlüpfer mit, der gar nicht auf dem Programmzettel steht. Aber er macht ja eigentlich auch nichts, nur Schattenboxen – sehr ulkig, ziemlich blöd.
Gummi Hühner als Genital-Ersatz
Die abgedrehtesten Soli gehören aber einem halben Dutzend kleinwüchsiger Männer und Frauen – eine ist die wildeste Verführerin des Abends, einer darf lauthals herum hitlern mit Führer-Bärtchen und Mütze, ein weiterer trägt den ganzen Abend über eine Ganz-Kopf-Ananas-Maske und nimmt sie kurz vor Schluss unter allgemeinem Jubel ab; auch Gummi-Hühner werden dringend benötigt als Genital-Ersatz.
Daniel Zillmann fährt Fahrrad und singt auch mal mit allen von der Liebe zum Bicycle © Lilli Nass
Zu den grundsätzlicheren Mitteilungen des Abends gehört die von Sissa nach knapp einer Stunde: dass nämlich "Dichtung Dreck" ist. Was in diesem Setting verständlich ist - eineinhalb Stunden später, kurz vor Tyrannenmord, Kreuzigung und Himmelfahrt, hat Stangenberg noch einen spektakulären Monolog über das Recht auf Rache, Gewalt gegen Gewalt und Blut gegen Blut, auch über Menschen und Untermenschen. Das ist sehr kryptisch und nachzulesen auf dem Programm-Falter des Theaters.
Totaltheater, tja
Selbst diesen (seltenen) gedanklichen Orientierungspunkten ist nicht leicht zu folgen – denn die Textzeilen oberhalb der Bühne übersetzen zum einen realen szenischen Text, aber (in anderem Schrift-Typ) auch Song-Texte und (nächste Schrift) allgemein-philosophisches Gebrabbel, von wem auch immer; am verwirrendsten (noch ein Schrift-Typ) sind Regie-Abweisungen und Szenen-Beschreibungen von Vorgängen, die auf der Bühne gar nicht zu sehen sind. Ganz zu schweigen vom Gaze-Vorhang, der alle paar Minuten herunterkommt, um kaum durchschaubare Stummfilm-Sequenzen (von Khavn?) herumflimmern zu lassen.
Tja.
Es ist zum Augenschmerzen-Kriegen. Und die Ohren sind bei der eher banalen Dauerbeschallung von Khavns Band mit dem Gast Brezel Göring auch nicht viel besser dran. Wer will, mag mal wieder vom "Totaltheater" schwadronieren – aber was zählt schon dieses Totale, wenn es sich letztlich eher um das totale Nichts handelt? Aber sicher finden genügend Menschen diese aufgeregten, nicht aufregenden Stunden sensationell. Mir hat all das nichts zu sagen. Da mag ich dumm dran sein, aber ich kann's in diesem Leben nicht mehr ändern.
SMAK! SuperMachoAntiKristo
von Khavn, Douglas Candano, Homer Novicio und Brezel Göring
Übersetzung: Marius von Mayenburg
Konzept, Musik und Konzept: Khavn, Bühne und Kostüme: Leeroy New, Musik: Khavn und Brezel Göring, Text: Khavn, Douglas Candano, Homer Novicio und Brezel Göring, Licht: Johannes Zotz, Ton: Gabriel Anschütz, Deniz Sungur, Video: Max Heesen, Matthias Klütz, Choreographie: King John, Bong Cabrera.
Mit: Cem Aydan, Maximilian Brauer, Bong Cabrera, Ballet Dumas, Bituin Escalante, Katch 23, King John, Mick Morris Mehnert, Roxlee, Yasmin Saleh, Sascha Schicht, Lilith Stangenberg, Daniel Zillmann, Mex Schlüpfer und dem "Smakestra"
Premiere am 13. April 2022
Dauer: 2 Stunden 50 Minuten, keine Pause
www.volksbuehne-berlin.de
Kritikenrundschau
"Der Zirkus ist in der Stadt!", ruft Patrick Wildermann im Tagesspiegel (online 15.4.2022) aus: "Khavns Anarcho-Crew trifft Volksbühnen-Angestellte sowie den Musiker Brezel Göring von Stereo Total, es werden hundert Akte einer überbordenden Dada-Oper performt, 25 Songs gesungen." Der Beipackzettel, der den „SMAK!“-Kosmos erkläre, lese sich, als hätte Jonathan Meese seine Bibliothek in einen Mixer geworfen. Allerdings: "Welche subversive Kraft Khavns Arbeiten in ihren bestimmt viel spannenderen philippinischen Kontexten auch entfalten mögen, am Rosa-Luxemburg-Platz ist davon nichts zu spüren."
"All die Hintergründe und Verbindungen der intertextuell aufgeschichteten Figuren liest man besser nach, da auf der Bühne vor allem fröhlich gewippt und getollt wird, während laufende Schriftbänder Handlungen ankündigen, die niemand ausführt", fasst Doris Meierhenrich den Abend in der Berliner Zeitung (online 14.4.2022) zusammen. An Khavns spannungsreiche Kunstfilme reiche hier aber nichts heran. "Über allem aber schwebt ein riesiger Kackhaufen als Heiligenschein. In Kackzeiten hier also die fröhliche Bühnenkacke. Wirklich schmutzig aber macht die keinen."
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Gerade bei so einem Abend, der einen mit ungewohntem konfrontiert, wäre mehr ernsthafte Neugierde wünschenswert.