altVertreibung aus dem Familienparadies

von Hartmut Krug

Cottbus, 7. April 2012. Joe Keller steht wie ein Denkmal der Zufriedenheit morgens vor seinem schmucken Haus. Ein Vogel zwitschert, und Keller versucht ihm zu antworten: die Szene zeigt ein Idyll. Doch der abgebrochene Zweig eines Baumes mit seinen abgefallenen Äpfeln liegt im Garten auf dem Rasen und bedeutet dem Publikum, noch bevor ihm erklärt wird, dass der Baum eine besondere, biographische Bedeutung für Kellers Familie hat, dass hier ein Fall aus dem Paradies stattfinden wird.

Standbilder einer Familie

Von der ersten szenischen Einstellung an bedient Regisseur Harald Fuhrmann die zeigefingerige Deutlichkeit von Millers psychologisch-realistischem Aufdeckspiel. Dem Programmheft ist zu entnehmen, dass am Probenbeginn eine für Film und Theater aus der therapeutischen Familienaufstellung entstandene Drehbuchaufstellung stand. Die Methode, Verborgenes in Beziehungen und verborgene Beziehungen aufzudecken, ist aber bei Arthur Millers Stück kaum nötig. Denn der Autor tut genau dies so methodisch, dass sich der Zuschauer an die Hand genommen und voraussehbar belehrt fühlt.

soehne1 560 marlieskross uFamilienaufstellung im Vorgarten © Marlies Kross

Noch in anderer Weise ist dies eine Aufstellung: man hat sich leider entschieden, Millers Kammerspiel auf die große Bühne des Staatstheaters zu stellen. Das Bühnenbild zeigt vor der Front des Hauses als Hauptspielfläche einen schräg an die Rampe führenden Rasen. Auf ihm stehen die Schauspieler meist frontal vor dem Publikum, und die Figuren des Stücks sprechen mehr ins Publikum als, schräg zur Seite, miteinander. Diese im modernen Theater leider modische Art schafft hier, wo die Szene wie ein gestanztes Standbild präsentiert wird, auch bei aller einzelnen Schauspielerbeweglichkeit eine Starrheit des Spiels. Obwohl uns die Figuren wie auf dem Tablett dargereicht werden, entfernen sie sich von uns nicht nur wegen ihrer vierziger Jahre Kostümierung immer mehr. (Roger Vontobel hat vor anderthalb Jahren an den Kammerspielen des Deutschen Theaters uns das Stück nahe zu bringen versucht, indem er das Publikum auf der Hinterbühne ganz dicht um den Rasen setzte.)

Wer ist schuldig und in welchem Maß?

Arthur Millers bei der Uraufführung 1947 am Broadway enorm erfolgreiches Stück "Alle meine Söhne", das mit Edward G. Robinson und Burt Lancaster verfilmt wurde, ordnet sich gut ein ins Cottbusser Spielzeitthema "Familienbande". Allerdings kann man darüber streiten, ob es ein gutes Stück ist. Es lässt keine Frage offen und birgt keinerlei Geheimnisse mit seiner Art, die Erfolge, Lebenslügen und Verdrängungen der Familienmitglieder einer amerikanischen Mittelschichtsfamilie kritisch aus den gesellschaftlichen Regeln des American way of life zu erklären. Wir erfahren, was wir wissen: hinter einer Erfolgsfassade tun sich moralische Abgründe auf.

soehne 280h marlieskross uDas Ehepaar Keller (Sigrun Fischer und Rolf-Jürgen Gebert) © Marlies KrossDas Stück spielt nach dem 2. Weltkrieg. 21 Piloten sind abgestürzt, weil Joe Keller wissentlich schadhafte Zylinderköpfe an die Air Force ausgeliefert hat. Doch er bestreitet dies und kann sein Geschäft erfolgreich fortsetzen, während sein Kompagnon für diese Tat als allein schuldig im Gefängnis sitzt. Joes Sohn Larry ist nicht aus dem Krieg heimgekehrt, aber seine Mutter will noch immer an seine Rückkehr glauben. Wenn Ann, die einstige Verlobte des Vermissten und Tochter des unschuldig Verurteilten, zu Besuch kommt, um sich mit Larrys Bruder, der mittlerweile Kompagnon in der Fabrik des Vaters ist, zu verheiraten, brechen die Konflikte auf.

Das Stück ist so schlicht wie gut gemacht und läuft wie ein Uhrwerk ab. Hier ein falscher Satz, dort ein alter Brief und die Schuld von Joe Keller wird völlig offenbar. Wer ist schuldig und in welchem Maß, so lauten die Fragen. Schon der, der Ahnungen aus Bequemlichkeit verdrängt? Oder nur der, der lügt und den ökonomischen Erfolg über die Moral stellt.

Man kann dieses Stück mit seiner Aufdecktechnik und seinen psychologischen Überdeutlichkeiten langweilig und schrecklich altmodisch finden. Aber man kann sich auch, wie Regisseur Fuhrmann und seine Schauspieler, mit viel Einverständnis und Elan hineinwerfen. Dann wird es immerhin ein klares Demonstrationsspiel mit Entwicklungsfiguren, auch wenn die sich nicht wirklich entwickeln.

Falsche Seligkeit

In Cottbus werden sie gelegentlich von dräuenden Dunkeltönen untermalt. Rolf-Jürgen Gebert beeindruckt als Jo anfangs als von sich überzeugter und in sich ruhender Erfolgsmensch, der allmähliche Absturz gelingt ihm nicht ganz so beeindruckend. Sigrun Fischer, die als seine Frau Kate durch die wellig aufgebrezelte Haarmode der Zeit zur spießigen Familienmutter verunstaltet ist, verwechselt leider Expressivität mit Intensität und führt ihre Rolle in zum Schluss unangenehm und unangemessen ausartende Toberei.

soehne 560 marlieskross uStürzendes Vatermonument? © Marlies Kross

Ganz anders, sehr konzentriert und überzeugend ruhig gibt Johanna Emil Fülle die junge Ann. Ansonsten werden, teils durchaus souverän, Figuren entwickelt, die nicht Brüche zeigen, sondern Begründungen liefern. Also wird jede vom Autor erklärte menschliche Regung von den Schauspielern mimisch-gestisch nachgemalt. Und dass der heile Lebensraum der Familie ein Konstrukt ist, zeigt das Bühnenbild überdeutlich. Es wird immer mehr abgebaut, bis zum Schluss nur noch ein kleines Stück des Gartens, der Insel der Ruhe, der falschen Seligkeit, aber auch der Lügen, übrig ist.

Hier stehen beim offenen Schluss, nachdem sich Joe erschossen hat, Chris und Ann. Beieinander und doch kein heiles Paar. Da haben wir am Schluss wenigstens noch etwas zum Nachdenken.

 

Alle meine Söhne
von Arthur Miller
Deutsch von Bertold Viertel, überarbeitet von Bernd Schmidt
Regie: Harald Fuhrmann, Ausstattung: Okarina Peter und Timo Dentler, Dramaturgie: Sophia Lungwitz, Ton: Holger Brandt.
Mit: Rolf-Jürgen Gebert, Sigrun Fischer, Oliver Seidel, Johanna Emil Fülle, Amadeues Gollner, Gunnar Golkowski, Johanna-Julia Spitzer.

www.staatstheater-cottbus.de

 

Das Arthur-Miller-Drama wurde im Kontext des Cottbusser Spielzeitmottos Familienbande inszeniert, dem im Januar 2012 auch das jährliche Theaterfest FamilienBande. Ein Spektakulum des Staatstheaters gewidmet war.

 
Kritikenrundschau

Ein "großes, ergreifendes Schauspiel" hat der Rezensent unter dem Kürzel J.H. für den Märkischen Boten (14.4.2012) in Cottbus erlebt. Rolf-Jürgen Gebert brilliere in der "Figur eines Mannes, der harmlos-tuttelig einem Vögelchen nach pfeift, ehe er sich, nach und nach straffend, Geschäftlichem zuwendet, mit mächtiger Zigarre erstarkt, später grau verfällt, die zitternde Hand auf der Banklehne – ein geschlagener, ein toter Mann". Und Sigrun Fischer zeichne seine Frau "hart, verbissen das Unmögliche skandierend, und sie weint wirkliche Tränen!" Fazit: "Eine faszinierende Aufführung, kammerspielhaft direkt. Es gab Riesenbeifall."

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