Draußen vor der Tür - Am Staatsschauspiel Cottbus entdeckt Katka Schroth in Wolfgang Borcherts Kriegsheimkehrerstück das Drama des Innenseiters
Deutschland, ein Männerheim
von Esther Slevogt
Cottbus, 20. Februar 2016. Fast am Ende schon, da finden sich in einem Alptraum des Kriegsheimkehrers Beckmann noch einmal alle Figuren ein, denen er in den drei Tagen seit seiner Rückkehr aus dem Krieg nach Hamburg begegnet ist: darunter sein ehemaliger Oberst, dem er die Verantwortung zurück geben wollte und der ihn verhöhnte. Seine Frau, die er mit einem anderen Mann vorfand, als er nach Hause zurückkommen wollte. Eine junge Frau, die den Fast-Selbstmörder nass an der Elbe aufliest. Ja, und sogar Gott tritt auf in Wolfgang Borcherts berühmten Nachkriegsdrama "Draußen vor der Tür", 1947 an Ida Ehres Hamburger Kammerspielen uraufgeführt. Am Tag vor der Uraufführung am 21. November 1947 war Borchert, der schwer krank aus dem Krieg gekommen war, sechsundzwanzigjährig verstorben.
Bei Katka Schroth, die das Stück nun auf der Kammerbühne des Staatstheaters Cottbus inszenierte, sehen wir fünf Männern bei einem meisterlich in Slow-Motion choreografierten Faustkampf zu. "Die Menschen sind gut!" Wusch. Kinnhaken. "Nur das Leben lässt es nicht zu, dass sie ihr Herz zeigen." Bam, noch ein Schlag. "Sie haben alle die selben gleichen gleichgültigen entsetzlichen Visagen!" Im Hintergrund eine Schwingtür, hinter der ein sechster Mann steht und schaut, während sich die anderen Alptraumfiguren immer heilloser ineinander verkeilen. Die Flügel der Tür scheinen vernäht, geschlossen. Aber das sieht nur so aus. Denn man kommt mühelos durch sie hindurch. Zu mühelos vielleicht. Und der Mann hinter der Tür ist auch nicht Beckmann: Alle sechs Männer, die in dieser eigenwilligen Lesart des schulbuchnotorischen Dramas zu sehen sind, sind Beckmann. Und sie sind es nicht.
In der Larmoyanz-Schachtel
Sie waren schon da, als man den kleinen Kammerbühnensaal betrat. Bühnenbildner Christoph Ernst hat ihn ganz mit Pappkartons ausgekleidet, die den Raum in einen Riesenkarton verwandeln, in dem nun Zuschauer und Schauspieler gleichermaßen sitzen. Die Schauspieler werden da auch am Ende wieder so sitzen. In schlabbrigen Trainingshosen und -jacken lungern sie auf ollen Sofas herum, bevor sie beginnen, sich langsam in das alte Drama vom Kriegsheimkehrer, der sterben will und nicht sterben kann, hineinzuschrauben wie in ein altes Trauma, aus dem es kein Entkommen gibt.
Wo sind wir? In einem Obdachlosenasyl? Einem Männer- oder Flüchtlingsheim? Klar ist, wir sind irgendwo drinnen. Auf keinen Fall draußen vor der Tür. Die Schwingtür ist bloß Requisit und Albtraumgegenstand. Draußen, das muss ganz woanders sein. Irgendwo hinter den Wänden des Riesen-Pappkartons, in dem wir hier alle sitzen. Und hier, tief drinnen in dieser klaustrophobisch verschlossenen Schachtel also, lässt Katka Schroth sechs halb verwahrloste Männer sich langsam Borcherts Beckmann-Geschichte anverwandeln. Sie hat das Drama des Außenseiters, der nicht in die Gesellschaft zurückfindet, umgedreht: "Draußen vor der Tür" ist in Cottbus zum Drama des Innenseiters geworden, der im selbstreferenziellen Dauerloop sich immer wieder nur larmoyant und aggressiv in der Soße des eigenen (deutschen) Traumas wälzt – Deutschland, ein Männerheim, dessen Insassen Erlösung (oder wenigstens etwas Frischluft) von außen dringend gebrauchen könnten. Aber sie kasteln sich immer tiefer ein und zerfleischen sich schließlich selbst.
Hier kommt die neue Flut
In Cottbus spielt ein starkes und präzises Männerensemble diese Beckmann-Wiedergänger (die man sich heute randalierend vor Flüchtlingsheimen denken könnte): Oliver Breite, der sich am Ende mit Packband noch den Kopf verpackt und zuklebt, Thomas Harms, der den Abend mit der Melancholie des ewigen Losers anreichert, Gunnar Golkowski, Mirco Reseg, Henning Strübbe und Johannes Kienast. Und es ist faszinierend, wie die sechs Männer für Borcherts Text plötzlich ganz andere Lesarten ermöglichen. Die Flut der Toten, die Beckmann fantasiert, sind nicht mehr gefallene Wehrmachtssoldaten, sondern plötzlich die Toten (oder Überlebenden) der neuen Kriege, die nun (in den Wahnvorstellungen dieser Beckmanns) Deutschland überfluten. Borcherts (für heutige Ohren) nicht immer ganz kitschfreies Pathos klingt plötzlich nach Pegida-Wahn: "Eine furchtbare Flut kommen sie angeschwemmt, unübersehbar an Zahl, unübersehbar an Qual! ... Und das Brüllen wächst und rollt und wächst und rollt!" Ja. Am Ende des Abends wird passend Paul van Dyks und Peter Heppners doppeldeutige Hymne Wir sind Wir. Ein Deutschlandlied angestimmt.
Katka Schroths radikale Inside-Out-Version des Stücks funktioniert nicht durchgängig. Manchmal sperrt es sich gegen diesen Zugriff, und dann entstehen regelrechte Drop-Outs im Fluss des Abends. Aber eine faszinierend neue Lesart dieses Dramas, das sie zum Psychogramm des von der Gegenwart überforderten Deutschen macht, eröffnet sie mit ihrem tollen Ensemble doch.
Draußen vor der Tür
von Wolfgang Borchert
Fassung von Katka Schroth und Bettina Jantzen
Regie: Katka Schroth, Bühne und Kostüme: Christoph Ernst, Dramaturgie: Bettina Jantzen
Mit: Oliver Breite, Gunnar Golkowski, Thomas Harms, Johannes Kienast, Mirco Reseg, Henning Strübbe.
Dauer: 1 Stunde 40 Minuten, keine Pause
www.staatstheater-cottbus.de
Frank Dietschreit sah für Kulturradio (22.2.2016) eine überzeugende Neubearbeitung des Stoffes: "Der alte Borchert-Text ist da, er wird nur völlig anders und vielfach gebrochen intoniert und zu einem überzeugenden Stimmen-Konzert und Oratorium der Verzweifelten und Todgeweihten." Schroth und Jantzen würden Borcherts Text als "als Steinbruch für eine aufregende Versuchsanordnung" benutzen. Am Ende schleicht Dietschreit "zutiefst aufgewühlt aus dem Theater."
Eine "berührende und irritierende Premiere" sah Hartmut Krug für die Lausitzer Rundschau (22.2.2016). Zwar habe die Regisseurin "Borcherts teils doch arg muffigen Text (..) nicht konsequent gekürzt, sodass er immer noch recht geschwätzig wirkt", aber insgesamt sah Krug dennoch einen Theaterabend, "der das alte Stück nicht gerade rettet, aber ihm neue Fragen aufzwingt. Nicht alle angebotenen Assoziationen überzeugen, aber das Spiel der Schauspieler umso mehr." Zum Schluss geht er "berührt, irritiert, erschöpft, kritisch und nachdenklich" nach Hause und fragt: "Was will man mehr?"
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