Wilder Ritt durch Zeit und Raum

25. Februar 2024. Eine phantastische Reise durch den Postsozialismus erzählte der ukrainische Autor und Sänger Serhij Zhadan 2012 in seinem Roman. Armin Petras belässt ihn bei seiner Uraufführung in der mythischen Zeit vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine. Und doch ist der Krieg präsent.

Von Andreas Schnell

Serjih Zhadans "Die Erfindung des Jazz im Donbass", am Theater Bremen inszeniert von Armin Petras  © Jörg Landsberg

Serjih Zhadans "Die Erfindung des Jazz im Donbass", am Theater Bremen inszeniert von Armin Petras © Jörg Landsberg

25. Februar 2024. Als "Eastern" über die Anfangsjahre der unabhängigen Ukraine will Armin Petras seine Uraufführung des Romans "Die Erfindung des Jazz im Donbass" verstanden wissen, und das geht auch ganz in Ordnung. Zwar hat das, was in Serhij Zhadans Roman, der vor dem Angriff Russlands auf den Donbass 2014 entstanden ist, mit ein paar Abstrichen auch für andere postsozialistische Länder Gültigkeit. Aber die in den ukrainischen Nationalfarben Blau und Gelb gehaltene Bühne verortet das Geschehen zum zweiten Jahrestag des Kriegsbeginns konkret in der Zeit nach der Wende.

Die Ankunft von Gesetz und Unternehmertum

Die Assoziation zum Western, die im Begriff Eastern steckt, erschließt sich in Serhij Zhadans Roman recht schnell: Ein Mann kommt in eine kleine Stadt in der Provinz und gerät dort, bevor er sich recht versieht, zwischen die Fronten der lokalen Politik. Die entscheidende Konfliktlinie ist, wie auch oft im Western, die Ankunft von Gesetz und freiem Unternehmertum. Zwar geht es hier nicht um Viehherden, aber doch um die Rechte an dem, was vormals zumindest nominell allen gehörte: Land und Produktionsmittel.

Im klassischen Western ist die vorher geltende Gesellschaftsordnung in der Regel ziemlich wumpe. Bei Zhadan (und Petras) ist sie Sehnsuchtsort für all jene, denen die neue Freiheit bedrohlich vorkommt. Immerhin haben sie es sich in den zuvor bekannten Verhältnissen eingerichtet, wie bescheiden auch immer. Und zugleich mag die alte Ordnung zwar abgeschafft sein, aber zumindest ihre Funktionäre haben noch einiges zu sagen, und sei es als Mafiosi.

Zauberhafte Kulissen an Musik

Zankapfel in diesem Fall ist die Tankstelle, die dem verschwundenen Bruder des Protagonisten gehört. Herman ist ein typischer Städter, den Sitten der abgehängten Provinz entwöhnt, die, wie es der Schauspieler und Kabarettist Josef Hader so schön sagt, international ist. Den Kampf, den er nicht gewinnen kann, nimmt Herman – jugendlich-drahtig gespielt von Ferdinand Lehmann – dennoch beherzt auf.

Jazz im Donbass 11 Ferdinand Lehmann Foto Joerg LandsbergEin Held, dem jeder Heroismus fehlt: Ferdinand Lehmann als Herman © Jörg Landsberg

Für seine Geschichte, die weniger plotgetrieben als atmosphärisch gebaut ist, hat der Lyriker, Prosaautor und Sänger Serhij Zhadan ein Ensemble skurriler Gestalten erschaffen, die Petras mit großem Ensemble, viel Musik und meist angenehm leichtem Witz auf der Bühne zum Leben erweckt (und mit ukrainischen Übertiteln versieht). Die Kulissen sind zauberhaft stilisierte gelbe Fassaden, die per Hand auf- und abgebaut werden. Ein elektrisch betriebenes Moped düst gelegentlich durchs Bild, eine (gelbe) Autotür steht fürs ganze Gefährt, und immer wieder wird musiziert, wobei es etwas eigentümlich wirkt, dass dabei meist auf Englisch gesungen wird (auch wenn ein den deutschen Romantitel erläuternder Exkurs eine Erklärung andeutet).

Hinter einem märchenhaften Schleier

Die Uraufführung ist ein ziemlicher Kontrast zu Petras' letzter Bremer Arbeit, dem düster-schweren Stalinismus-Exorzismus "Leben und Schicksal". Zugleich ist "Die Erfindung des Jazz im Donbass" freilich wieder ein klassischer Petras: mit Live-Musik, Film und animierten Zeichnungen – sowie einem gelegentlich durchschlagenden Herrenwitz. Der fällt hier aber nicht so sehr ins Gewicht. Toll dafür die Atmosphären, die der Regisseur mit wenigen Utensilien und kluger Lichtregie auf die Bühne zaubert. Sie überziehen das Geschehen mit einem märchenhaften Schleier, der an die Filme von Emir Kusturica erinnert, in denen das Leben nach dem Sozialismus ja auch immer wieder eine große Rolle spielt.

Jazz im Donbass 10 Ensemble FOTO Joerg LandsbergGeschichten erzählen als Licht im Dunkeln: das Bremer "Jazz"-Ensemble © Jörg Landsberg

Mit Jazz im engeren Sinne hat das dann – kaum überraschend – wenig zu tun. Auch wenn Zhadan in einer Episode, die Petras aus einem alten Buch biblischen Umfangs vorlesen lässt, die Behauptung, der Jazz sei im Donbass erfunden worden, mit einer fantastischen Geschichte ausführt, in der amerikanische und ukrainische Anarchisten, eine obskure christliche Gemeinde und vier Musikerinnen vorkommen. Der Roman selbst trägt im Original ohnehin einen ganz anderen Namen, nämlich den der Stadt Woroschylowgrad, die wir spätestens aus den Nachrichten der letzten 24 Monate als Luhansk kennen. Die Offenheit der politischen Lage, das Suchende der darin herumwurstelnden Figuren, ihre spontane Interaktion und Reaktion auf einander und auf den (politischen) Raum, kurz: die Improvisation – das ist formal dann aber doch irgendwie Jazz.

 

Die Erfindung des Jazz im Donbass
Nach dem Roman von Serhij Zhadan
Regie und Bühnenfassung: Armin Petras, Bühne und Zeichentrick: Peta Schickart, Kostüme: Annette Riedel, Musik: Johannes Hofmann, Video: Maria Tomoiagă, Licht: Norman Plathe-Narr, Dramaturgie: Klaus Missbach, Choreografische Mitarbeit: Magali Sander Fett.
Mit: Ferdinand Lehmann, Alexander Swoboda, Andreas Leupold, Susanne Schrader, Simon Zigah, Lisa Guth, Patrick Balaraj Yogarajan, Christian Freund, Maria Tomoiagă, Fania Sorel, Timos Papadopoulos, Viktor Lamert, Barbara Poblenz, Ksenia Sobotovych.
Premiere am 24. Februar 2024
Dauer: 3 Stunden, eine Pause

www.theaterbremen.de

Kommentare  
Die Erfindung des Jazz..., Bremen: Buchstabendreher
Peter Schickart, genannt Peta, heute hier auch mal als Petra anzutreffen...

(Vielen Dank für den Hinweis, ist korrigiert! MfG, Georg Kasch / Redaktion)
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