Love You, Dragonfly - Armin Petras startet als Hausregisseur am Theater Bremen mit einem Stück seines alters ego Fritz Kater
Utopie in Katerstimmung
von Andreas Schnell
Bremen, 14. September 2018. Klar, Witze mit Namen gehen natürlich gar nicht, erst recht nicht in Überschriften – aber diese trifft dann doch mehr als nur ein bisschen auf "Love You, Dragonfly" zu. Auf dieses Gefühl einer Verlorenheit am Ende eines Jahrhunderts, das einst mit dem Versprechen auf eine neue Zeit begann. Das dann immer wieder exzessiv eskalierte, um heute eher unappetitlich auf beinahe überwunden geglaubte Ideen zurückzukommen. Die gesellschaftlichen Utopien des 20. Jahrhunderts sowie verschiedene sich kritisch darauf beziehende Sinnstiftungskonstruktionen sind wesentlicher Teil des Stoffs, mit dem sich Armin Petras am Theater Bremen nun als neuer Hausregisseur einführt.
Verknüpfung von Freiheit, Liebe, Sozialismus
Geschrieben hat er das Stück selbst, oder halt, natürlich Fritz Kater, Petras' alter ego, was dann doch nicht das gleiche ist. "Sechs Versuche zur Sprache des Glaubens" lautet der Untertitel des 2016 von Alice Buddeberg in Bonn uraufgeführten Werks. Und das deutet schon an, dass hier nicht so sehr eine große Form geschmiedet wird, zumal jene sechs Versuche inspiriert sind von so unterschiedlichen Autoren wie Jules Verne oder Tschingis Aitmatow und zwischen diversen dramatischen und postdramatischen Formen schillern. Dramaturgin Simone Sterr charakterisiert im Programmblatt die Episoden als "kleine Stücke". Die Petras allerdings mit durchaus großer Geste zu einem dreistündigen Theaterabend verschneidet, der einen mitnimmt, ohne sich dabei allzu leichtfertig zu entäußern.
Es beginnt in der Sowjetunion Mitte der 1930er-Jahre, führt ins Ungarn der späten 1960er, in die USA des Jahres 2020 und nach Kirgistan im Zweiten Weltkrieg. Immer sind da Menschen, die ihr Leben umkrempeln, es gar riskieren für Freiheit, Liebe, Familie, Sozialismus – oder eben einfach das nackte Leben. Die historische Bedingtheit der Episoden verführt Petras nun nicht dazu, per Kulisse und Kostüm die jeweiligen Settings nachzustellen. Im Gegenteil. Figuren sind auf mehrere Schauspieler verteilt, treten mal in die Erzählung zurück, mal explodieren sie regelrecht auf der Szene, sodass im emotionalen Ausbruch die Sprache gleichsam verschwindet.
Ensemble-Leistung
Die Bühne von Peter Schickart, von Norman Plathe-Narr markant ausgeleuchtet, bietet dem Publikum auch keine vertrauenswürdigen, weil zuverlässigen Leitplanken: Mal beherrscht ein großes Podest die Bühne, mal verengen bewegliche Wände den Spielraum auf ein hinten zulaufendes Dreieck. Mal rahmt ein Vorhang eine Fläche, auf der Videos (Rebecca Riedel) das Geschehen davor verdoppeln, vertiefen, hintertreiben. Dann wieder gähnt weit der schwarze Bühnenraum, an dessen Seite am Klavier der Musiker Philipp Poisel sitzt, der mit seinen fragmentierten Songs gut in diesen Abend passt.
Überhaupt trägt das Ensemble ganz wesentlich zum Gelingen des Abends bei. Die Bremer Neuzugänge Ferdinand Lehmann und Deniz Orta sowie als Gast Manolo Bertling machen allesamt eine gute Figur. Mit Alexander Angeletta, Mirjam Rast, Simon Zigah und Fania Sorel bilden sie ein spielfreudiges Ensemble, dass den Text souverän meistert.
Schönste Hoffnungen
Der bewegungsintensive Abend zwingt das Ensemble mal in Formationen, die an zeitgenössisches Tanztheater erinnern, mal müssen nicht nur zwei lebensgroße Puppen recht brachial mit dem Boden Bekanntschaft machen: Ihre menschlichen Meister werfen sich gleich hinterher, immer wieder, dass man schon vom Zusehen blaue Flecken bekommt.
Diesen Bildern und Geschichten eine kompakte Botschaft abzulauschen, scheint darob vergebens. Es ist eher eine Ahnung, dass angesichts der Vergeblichkeit menschlichen Strebens und der daraus resultierenden Katerstimmung zu Euphorie wenig Anlass besteht. Zumindest, was das Leben angeht. Fürs Theater gibt dieser Abend Anlass zu den schönsten Hoffnungen für die neue Spielzeit am Theater Bremen.
Love You, Dragonfly
Sechs Versuche zur Sprache des Glaubens
von Fritz Kater
Regie: Armin Petras, Bühne: Peter Schickart, Kostüme: Patricia Talacko, Puppenbau: Judith Mähler, Musik: Philipp Poisel, Florian Ostertag, Videodesign: Rebecca Riedel, Dramaturgie: Simone Sterr, Musikdramaturgie: Sophie Seybold
Mit: Alexander Angeletta, Manolo Bertling, Ferdinand Lehmann, Deniz Orta, Mirjam Rast, Fania Sorel, Simon Zigah.
Dauer: 3 Stunden, eine Pause
www.theaterbremen.de
"Zu sehen waren aneinander geklebte Szenen – Fragmente – aus dem Leben verschiedener Menschen – aus verschiedenen Zeiten, Epochen – bis hin zur Gegenwart." So berichtet Marcus Behrens im Radio Bremen (15.9.2018) von dieser Premiere. "Entspannt war vermutlich niemand. Obwohl – ich habe noch nie so viele Menschen im Theater schlafen gehört." Der Kritiker fragt sich: "Muss man sich den Abend zwei Mal ansehen – oder muss man sich einfach nur ganz viel Zeit geben, über alles nachzudenken, was angerissen, angesprochen und angesungen wurde? Ich empfehle, nicht alleine in diese Vorstellung zu gehen! Zeit mitnehmen um anschließend über das reden zu können, was von dem wirren Chaos noch im Kopf ist."
"So viel Palimpsest wird selten gewesen sein. Schön, dass Kater und Petras auch in Bremen überschreiben und Puppen tanzen lassen", jubelt Hendrik Werner im Weser Kurier (15.9.2018). "Die Zuschauer, die am Ende für Bremer Verhältnisse durchaus stürmisch applaudieren, werden auf Textinseln der Unordnung ausgesetzt; stilistisch geschult an den Dramen Bertolt Brechts und seiner Epigonen, teils weiteren Hausgöttern des Autors abgelauscht, der ein exzessiver Literat auf zweiter Stufe ist." Petras' "Bombardement der Bilder" sei "absichtsvoll sperrig"; sein "Theater der Verausgabung fordert jede Menge, gibt aber ungleich mehr zurück".
Es sei nicht so einfach, schreibt Till Briegleb in der Süddeutschen Zeitung (24.9.2018), in diesem Abend einen roten Faden zu finden, außer im Begriff der Sehnsucht. Auch der nach inszenatorischer Freiheit. Denn alles menschliche Streben unter den Begriff des Glaubens zu subsumieren, wie es der Untertitel des Abends unternehme, klärt den Kritiker nicht auf über den kräftigen Antagonismus von Glauben und Wissen auf, der die Geschichte aus seiner Sicht vorantreibt, "sondern schafft nur kraftlose Gleichsetzungen. Und deswegen ist das viel sentimentalere Werkzeug, was diese sechs Szenen zart zusammenhält, das menschliche Sehnen nach Glück und Anerkennung, und zwar in Konfrontation mit sozialen und politischen Zwängen."Doch eine "Atmosphäre des verletzlichen Wollens" macht die zerbrechliche Collage der Schicksale für Briegleb "am Ende zu einer anrührenden Lesart von Geschichte."
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