12 - Torsten Diehl bearbeitet und inszeniert den Herakles-Mythos am monsun theater Hamburg
Auf die Zwölf
von Katrin Ullmann
Hamburg, 22. August 2013. Es gibt Helden und Mythen, Götter und Schweine. Es gibt Krokodile, Showmaster und Untergrundaktivisten. Es gibt dreiköpfige Hunde, neunköpfige Schlangen und blinde Seher. Es gibt andauernd Mikrofone, Musikeinspielungen und jede Menge Videoprojektionen. Es gibt Taten und Schandtaten, Mut, Mord und Schuld. Es gibt sechs Tänzerinnen, Thomas Gottschalk, Sonja Zietlow, Cindy, Amphitryon, Zeus, Penelope, Kreon, Hera, Aigisth, Orest und natürlich Herakles. Es gibt Austern und Holunderlikör, Fliegensurren und vielsagende Blicke gen Bühnenhimmel. Es gibt Blitze und Donner und Liegestühle, Zentauren, Sonnenbrillen, stumme Schreie und Endlosmonologe.
Nichts Geringeres als den Herakles-Mythos hat Regisseur Torsten Diehl bearbeitet. Am Hamburger monsun theater inszeniert er die Geschichte und die Geschichten dieses wackeren Helden der griechischen Sage: goldene Äpfel, Hirschkuh, Stier des Poseidon, Löwe, Höllenhund Kerberos etc. Und natürlich erzählt Diehl auch und vor allem von dessen gespaltener Seele.
Bei Zeus, bei Fuß!
Diehl inszeniert auf einer weitgehend leeren Bühne, ein rollendes, flaches Podest ist voller Requisiten, die Wände voller Videos. Er gewinnt dem kleinen Theaterraum alle Möglichkeiten ab, lässt seiner Fantasie freien Lauf, versieht den Hades mit Luftblasenprojektionen und leisem Geplätscher. Er lässt die Darsteller in verschiedene Rollen, Kostüme und Perücken schlüpfen. Er lässt sie singen, witzeln und wüten. Fluchen und hadern. Sehr, sehr freundlich betrachtet könnte man sagen: Diehl versucht einen Abend à la "Stemann für Arme".
Doch selbst wenn er an manchen Stellen eine geschickte erzählerische Abkürzung nimmt, die zwölf Taten etwa im Karteikartenflug erzählt werden, und er seine durchweg ordentlichen Darsteller hin und wieder mit kuriosen Tiermasken ausstattet: Der Abend zieht sich hin wie billiges Kaugummi mit Erdbeergeschmack. Keine Idee wird ausgelassen, keine Haltung bezogen, keine Idee fokussiert, kein Kalauer vergessen: "Bei Zeus, bei Hades, bei Fuß" oder "Ich bin Kassandra, Profi im Prophezeien".
Es gibt Inszenierungen, die möchte man lieber nicht gesehen haben. Es gibt Abende, die hätte man lieber in der benachbarten Bar verbracht, von der aus ausgelassenes Lachen ins Theater dringt. Es gibt unerträglich ambitionierte, quälend ausschweifende und fassungslos banale Theaterabende. Es gibt überflüssige Theaterabende, selbstgefällige und langweilige. Es gibt solche, bei denen das Wohlwollen irgendwann einfach unauffindbar verloren geht. Es gibt "12".
12
von Torsten Diehl nach Aischylos, Euripides, Sophokles
Uraufführung
Regie: Torsten Diehl, Bühne: Torsten Diehl, Video: Rued van de Schlaaf, Dramaturgie: Laura Dabelstein.
Mit: Abel Dennis Yosef, Francis Rodrigues Lopes, Malick Bauer, Lina Kmiecik, Ines Nieri, Martin Westhof, Alexej Lochmann, Christoph Rabeneck, Mira Helene Benser, Alissa Borchert, Kristina Greif, Mariann Yar, Julian Laybourne, Laura Doleski, Lydia Hallfeldt, Ceren Ece Disdis, Ramona Rinke, Ben Gageik, Dorine Regiber, Elwira Bardles.
Dauer: 3 Stunden, 10 Minuten, eine Pause
www.monsuntheater.de
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sehr zutreffender ausdruck; jedoch: daraus liesse sich zumindest noch ein fader pseudo-original-geschmack herausschmecken, der nach einigen sekunden verblasste.
diehl jedoch lässt von der ersten sekunde an merken, wer hier am werk ist: ein (...)-regisseur, der peinliche sprüche gegen melodramatische heulerei setzt; alles schön verpackt mit der aufschrift „qualität: orientierung an gängigen theatergrößen“. all das wäre durchaus - abgesehen von den viel zu hohen eintrittspreisen für diese witzshow - noch amüsant.
wirklich tragisch ist jedoch der umstand, dass dieser (...) „schauspielschüler/innen“ damit derart blamiert, dass sie von dem zeitpunkt an in der schauspielszene nicht mehr wirklich ernst genommen werden können.
Als begeisterte Schauspielhaus-Abonennten haben wir uns damals überreden lassen, dieses Stück anzusehen, was sehr ärgerlich war. Jede riskante Inszenierung junger Regisseure oder Regisseurinnen hatte irgendeinen interessanten Aspekt zu bieten, zumindest eine Idee. Doch als ambitionierte Theatergänger/innen im Raum Hamburg/Berlin/München ist hier leider zu sagen, dass diese Inszenierung eine einzige Peinlichkeit war.
Vera und W.