Als wäre es ein Gedicht

23. September 2023. Vom Unterwegs- und Nie-so-recht-Zuhause-Sein – die Dramatikerin Anja Hilling erinnert an die 1975 verstorbene jüdische Poetin Mascha Kaléko und ist damit auch einer fernen, schönen Sprache auf der Spur. Regisseurin Christina Tscharyiski bringt das mit drei Maschas musikalisch zur Uraufführung.

Von Michael Laages

"Mascha K (Torurist Status)" am Schauspiel Frankfurt © Felix Grünschloß

23. September 2023. Auch Dota Kehr, eine der profundesten Koryphäen deutschsprachiger Liedermacherei, ist ihr gerade sehr nahe gekommen: als sie einmal mehr Gedichte von Mascha Kaléko vertonte. Die Lyrik der 1907 im später polnischen Chrzanów geborenen Dichterin wirkt zugleich sowohl präsent als auch immer wieder wie vergessen im literarischen Kanon des Landes, dem sie sich zwar durch die Sprache sehr verbunden fühlte, in dem sie aber nie wirklich auf Dauer zu Hause sein konnte.

Die gebürtige Golda Malka Aufen aus jener Region am Rand vom alten Kaiserreich Österreich-Ungarn, die Galizien hieß, Tochter eines russischen Vaters und einer österreichischen Mutter, ist auch das Muster einer jungen Frau, die sich selbst zu ermächtigen versucht – im Konflikt wie im Einklang mit der eigenen Familie, dem Ehemann und der literarischen Welt, in der sich die Dichterin durchzusetzen beginnt. So jedenfalls porträtiert sie jetzt am Frankfurter Schauspiel die Dramatikerin Anja Hilling.

Drei Maschas, drei Stimm(ung)en

Zu dritt lässt sie sie in die Welt treten; Christina Tscharyiski, Regisseurin der Uraufführung, schickt drei Schauspielerinnen auf die Suche nach spielerischen, aber auch austausch- und verwechselbaren Profilen, die Leben, Weg und Karriere von Mascha Kaléko begleiten. Lotte Schubert, Anna Kubin und Melanie Straub haben von Kostümbildnerin Miriam Draxl zunächst völlig gleiche Kostüme angezogen bekommen (weißes Hemd zu schwarzen Sport-Shorts), wenn sie "ins Bild" treten im hintersten von mehreren kamera-artig gestaffelten und unterschiedlich grau gehaltenen Portalen auf der effektvoll abstrakten Bühne von Devin McDonough.

Mascha 1 Felix GruenschlossDrei Mal Mascha: Melanie Straub, Lotte Schubert, Anna Kubin © Felix Grünschloß

In den Portalen davor liegen Hosen aus Samt in unterschiedlichen Farb-Tönen: in Rot sowie leichtem und tieferem Lila. Die ziehen die drei Maschas an, zu Schuhen fast in Pink. So sind die einander extrem ähnlich, sozusagen "Dreimal Ich"; und zugleich wird optisch spürbar, dass das Publikum der immer ein wenig traurig, besser: melancholisch wirkenden Poetin in changierenden Stimmungen und mit wechselnden Stimmen begegnen wird.

Wie nah war Ernst Rowohlt dem Lyrik-Star?

Das ist das Bild; bereichert wird es durch sparsame Effekte – wenn etwa das spätere Ehepaar, Kaléko sowie Komponist Chemjo Vinaver, im amerikanischen Exil familiär posiert mit dem Sohn, den sie Steven nennen und der sehr amerikanisch aufwächst, weit weg von der Welt, die einst Österreich-Ungarn und Galizien hieß, weit weg aber auch vom alten Berlin in der Zeit des heraufziehenden Nationalsozialismus. Dort hatte ja die intensive, aber kurze Karriere der Dichterin Kaléko begonnen.

Dafür beschwört Autorin Hilling auch den prägenden Verleger Ernst Rowohlt, der den Weg der Lyrikerin fördert und begleitet – als zwiespältige Figur. Wie nah ist er dem neuen jungen Star am Literatur-Himmel wirklich? Wie intensiv lässt er sich aber auch ein auf die politisch-gesellschaftlichen Regeln und Zwänge der faschistischen Machthaber? Sollte die herausragende Vertreterin der frisch kreierten "Neuen Sachlichkeit" nicht zügig eintreten in die Reichsschrifttumskammer – weil sonst massive Behinderungen der Veröffentlichungen bis hin zu offiziellem Schreibverbot drohen?

Unterm Brennglas

Hilling verwebt Politik und Geschichte fein, aber kraftvoll in die dreifache Kaléko-Beschwörung – und tatsächlich ist die Sprache das Kraftzentrum des Theaterabends. Immer wieder in zwei Jahrzehnten hat sich Anja Hilling ja zu Wort gemeldet mit Texten, deren starker, konzentrierter Kern das Wort war; stets verdichtet die Dramatikerin mit großer Energie die Bewegungen, die die Geschichte jeweils nimmt.

Und Tscharyiski verdichtet hier mit – die drei Facetten literarischer Persönlichkeit legt sie wie unter das Brennglas. Das Bild ist zugleich sehr eng und möglichst weit; oft hat Hilling auch Passagen aus Kalékos Gedichten in die eigene Sprache herüber geholt. Das klingt dann fast, als habe das Objekt der Beschwörung gelegentlich mit beschworen: das sind Momente von großem Zauber.

Mascha 2 Felix GruenschlossAm Boden: Sebastian Reiß, Melanie Straub, Gabriel Turré © Felix Grünschloß

Ab und an wird der Text auch sehr musikalisch, und die drei Mascha-Figuren scheinen zu singen zum Live-Sound von Thorsten Drücker rechts vorn auf der Bühne. Sehr dezent ist zudem die literarische Welt von damals in die heutige herüber gespiegelt: wenn etwa für damals vom "Cafe" als zentralem Ort des Gesprächs über Dichtung die Rede ist, und heute eben von der "Talkshow" …

Und die Männer?

Und was machen die Männer, die die eigenwillige und selbstbewusste, allerdings auch immer sehr reflektierte, selbstkritische Künstlerin umgeben? Verleger Rowohlt (in den Bildern des Karriere-Mannes, wie sie Sebastian Kuschmann zeichnet) und Gatte Vinaver (der mit Sebastian Reiß immer ein Fremder bleibt noch in der allergrößten Nähe) strahlen wie aus fremden Galaxien in die Welt der Mascha Kaléko hinein; in der Reichshauptstadt der deutschen Barbarei, im amerikanischen wie im israelischen Exil umkreisen sie die Künstlerin. Aber niemand kann sie halten. Immer bleibt sie unterwegs, Status: Touristin.

Mehr szenische Außenwelt wäre denkbar – hier aber steht im Zentrum immer die ganz auf's eigene Ich konzentrierte Dichterin, die gegen Ende noch über die eigene lebensbedrohende Krankheit sprechen kann, als wäre das der Entwurf für ein Gedicht. Ein Leben, ein Denken und Fühlen voll von Poesie muss das gewesen sein – wie unerträglich die wirkliche Welt, wie schrecklich und schmerzhaft der Alltag zwischen den Stationen der Heimatlosigkeit auch gewesen sein mag. Wie die Chanson-Sängerin Dota führt auch Anja Hilling das Publikum auf die Spur einer außergewöhnlichen Frau in sehr dramatischen Zeiten.

 

Mascha K. (Tourist Status)
von Anja Hilling
Regie Christina Tscharyiski, Bühne Devin McDonough, Kostüme Miriam Draxl, Live-Musik Thorsten Drücker, Licht Jan Walther, Dramaturgie Lukas Schmelmer.
Mit: Anna Kubin, Sebastian Kuschmann, Sebastian Reiß, Lotte Schubert, Melanie Straub; Thorsten Drücker, Thomas Oliver Mehltreter und Gabriel Turré.
Premiere am 22. September 2023
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.schauspielfrankfurt.de

Kritikenrundschau 

"Eein kleiner melancholischer Abend in einem gut gesetzten Rahmen", befindet Judith von Sternburg in der Frankfurter Rundschau (24.9.2023). Im Text "verweben sich Hillings Worte und Mascha-Kaléko-Worte bis zur glasklaren Untrennbarkeit". In Tscharyiskis Inszenierung passe derweil alles zusammen; Mascha Kalékos Leidenschaft sei "ansteckend" – "ihre Klugheit hoffentlich auch".

Als "ein klangvolles Stück Theater, voll Zuneigung zum Leben" beschreibt Christiane Lutz in der Süddeutschen Zeitung (26.9.2023) den "grandiosen Text" von Anja Hilling. Regisseurin Christina Tscharyiski lasse die drei Maschas auf einer dreigeteilten Bühne spielen – "ein Rahmen in einem Rahmen in einem Rahmen". Jede von ihnen sei voller Schreibwut, und jede müsse unter ihren Möglichkeiten bleiben. "Keine Klage aber, kaum Schwermut ist auf der Bühne".

 

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