Rosé à Marxeille - Das Kollektiv 'Leien des Alltags' um Nele Stuhler und Jan Koslowski eröffnet die 'Utopie'-Reihe am Volkstheater Rostock
Einen Dreh weiter
von Christian Rakow
Rostock, 27. Oktober 2018. "Rosé à Marxeille" heißt der Titel, mit einem "x" für ein "s", quasi "Ein Gläschen Rosé in Karl-Marx-Stadt", aber mediterran umweht. Und die Truppe nennt sich "Leien des Alltags", nicht mit "a", sondern eben mit "e", praktisch: Alltag ausborgen, mit leisen Anklängen an die Laien vulgo "Experten des Alltags" bei Rimini Protokoll.
Da merkt man gleich, das sind welche, die den Dreh weiter sein wollen, die mit Wörtern und Dingen tricksen, ein X für ein U vormachen und so. Nele Stuhler und Jan Koslowski, die hier als "Leien des Alltags" firmieren, haben sich an der Berliner Volksbühne bei der Jugendabteilung P14 kennengelernt. Beide sind auch in anderen Konstellationen aktiv, Stuhler, ausgebildet in Gießen, u.a. bei den Metatheaterbastlern FUX.
Kiez an der Küste
In Rostock eröffnen die Leien des Alltags eine Reihe: "Utopie", für junge, textorientierte Performancetheater-Macher*innen. Juri Sternburg, Sören Hornung und Paula Thielecke werden noch erwartet. Thielecke ist an diesem Auftaktabend bereits als Spielerin aktiv. Das Netzwerk ist dicht. Wir sehen Berliner Szene in der Außendependance, Kiez an der Küste. Konsequenterweise haben sie sich für die Premiere nicht das Volkstheater gesucht (wo die Arbeit später noch im Atelier läuft), sondern die ungleich cooleren Räumlichkeiten der Kunsthalle, die seit ihrer Übernahme durch Direktor Uwe Neumann wieder eine Aura gewonnen hat. Am Volkstheater selbst kämpft man noch mit dem schlechten Karma vergangener Jahre und ringt um politische Mehrheiten für den seit Jahrzehnten überfälligen Theaterneubau.
In dieser Umgebung nimmt sich "Rosé à Marxeille" wie eine frische Theaterbrise aus. "Was machen wir, bis der Kommunismus kommt? Und warum kommt er eigentlich nicht?", fragen die fünf Spieler*innen, die zwischen zwei Videowänden und den kantigen Säulen der Kunsthalle vortreten. Wohl wissend, dass der Größe der Frage schon der Absturz in den Gemeinplatz eingeschrieben ist. Da hilft nur: Fallschirm spannen und Wortnebelkerzen zünden! "Liberal, liberal, lieber Aal", singt Nele Spuhler und entschuldigt sich bei "Bruder Broccoli", dass dieser Abend "nur für Menschen" ist, die Deutsch verstehen, "oder kein Problem damit haben, nicht so viel zu verstehen".
Man macht reihum das Vorstellungsgespräch – "Ich stelle mich vor, ich stelle mir vor, ich stelle mich vor dich" – und weist es vollmundig als "Experiment: Theaterszene spielen" aus. Denn, so hatten Nele Stuhler, Jan Koslowski, Sarah Gailer, Paula Thielecke und Luis August Krawen schon eingangs erklärt, bei diesem Theater handelt es sich um "experimentelles Theater".
Dieser Fuchs ist Hegelianer
Warum das mit dem Kommunismus nun also nicht geklappt hat? Weil der Mensch dem Menschen ein Wolf ist, hat das Team in der "empirischen" Befragung Rostocker Bürger*innen herausgekriegt. Und also befragen sie nunmehr einen Wolf bzw. einen Fuchs, weil ein Wolf gerade nicht zu haben war oder weil der Fuchs als roter Wolf gilt. Und der ausgestopfte Fuchs, obgleich als "Frau Fuchs" angesprochen, erklärt dann mit Männerstimme und mit Hegel: "Der Mensch ist das Wesen, das gut und böse sein kann, das Schuld haben kann – nicht schuldig ist, sondern Schuld haben kann, dialektisch …". Alles klar? Man kommt jedenfalls in Schwingung beim Pendeln der Wörter und Vorstellungen.
Von der "Ellenbogengesellschaft" geht’s in eine Tanzchoreographie mit Ellenbogen-Move; ein "Action-Deo" mit echtem Fabrikarbeiterschweißgeruch wird erfunden (Stuhler: "Jetzt haben wir zwar ein cooles neues Produkt, aber der Kommunismus ist immer noch nicht da."). Eine listenreiche Anrufung von Karl Marx, "dem einflussreichsten Denker aller Zeiten, laut BBC", gibt’s auch. Und das Schmunzeln wird breiter.
Der Abend trippelt leichtfüßig auf den Pfaden des gepflegten Metatheaters Gießener Prägung, mit seiner parodistischen Lecture-Anmutung, mit dem Wörterschnippen, mit dem Understatement des Auftritts, der sich in der rosa Kostümwahl plastik-poppig pubertär gibt. Die finale Utopie Marxeille, die Utopie der Allmende, zeichnen sie allenfalls in hauchdünnen Wasserfarben. Kein roter Schimmer am Horizont. Eher nur ein Rosé. Aber was anderes hatten sie ja auch nicht versprochen.
Rosé à Marxeille
von Leien des Alltags (Nele Stuhler, Jan Koslowski)
Text und Inszenierung: Jan Koslowski und Nele Stuhler, Kostüm, Styling und Supervision: Svenja Gassen, Ausstattung und Artwork: Leien des Alltags, Live Animation: Luis August Krawen, Dramaturgie: Anna Langhoff, Regieassistenz: Susanne Menning, Paul Soldan.
Mit: Sarah Gailer, Paula Thielecke, Jan Koslowski, Nele Stuhler, Luis August Krawen.
Dauer: 1 Stunde 15 Minuten, keine Pause
Kooperation mit der Kunsthalle Rostock
www.volkstheater-rostock.de
www.kunsthallerostock.de
Ansatz der jungen Theatermacher sei es, "komplexe Fragestellungen auf eine naive Weise zu behandeln, um so doch zum Kern der Probleme zu gelangen", schreibt Matthias Schümann in der Ostseezeitung (29.10.2018). Entstanden sei ein "Nummernprogramm" aus Szenen, Liedern, Animationen, das seinen Reiz aus "absurden Verballhornungen" beziehe.
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