Soko Tatort - Schauspiel Köln
Ohne Leiche kein Anfang
8. Dezember 2023. Die Deutschen lieben ihren "Tatort" so gesamtgesellschaftlich wie sonst kaum etwas. Nele Stuhler hat dem TV-Phänomen nun eine theatrale Hommage gewidmet, in der die Gags auch mal tief zielen dürfen – und prominente Ermittler*innen ans Werk gehen.
Von Max Florian Kühlem
8. Dezember 2023. Von der gesellschaftlichen Bedeutung des allsonntagabendlichen Fernseh-Tatorts kann das Stadttheater nur träumen. Durchschnittlich 8,1 Millionen hängen dann vor der Mattscheibe, in den Spitzen noch wesentlich mehr – und das seit 54 Jahren und 1250 Folgen. Da bleibt dem Theater eigentlich nur, sich lustig zu machen – und zwar von einer Position, auf die es sich gern begibt: der Meta-Ebene. Dieses Lustig-Machen gelingt Nele Stuhlers Uraufführung mit dem genialen Titel "Soko Tatort" im Schauspiel Köln allerdings überraschend gut. Nur an der Institutionskritik verhebt sie sich bei der Inszenierung ihres eigenen Texts etwas.
Kommissar*innen Bär, Wuttke und Prahl
Wie im Fernsehen, so auf der Bühne: Ohne Opfer kein Anfang. Aber wer soll das Opfer spielen? Keine*r der sechs Schauspieler*innen möchte so richtig, denn immerhin sind die, die das Opfer spielen, ja schnell aus dem Spiel. Schon die ersten Minuten dieses Gerangels geben vor, wie die nächsten exakt 90 Minuten – denn genau so lange ist im "Tatort" Zeit, auch die komplexesten Fälle zu lösen – aussehen werden: Die Dialoge nehmen Struktur und soziokulturelle Wirkung des Fernsehkrimis auseinander und aufs Korn. Denn immer noch feiert die Kritik es beispielsweise als avantgardistische Großtat, wenn am Sonntagabend in den ersten Minuten keine Leiche auftaucht. Der Zuschauer schaltet deswegen möglicherweise sogar ab, wenn nicht wenigstens Jan Josef Liefers ein paar Witze erzählt – zum Beispiel über kleinwüchsige Menschen.
Die Kommissar*innen in dieser Sonderkommission Tatort heißen Bär, Wuttke oder Prahl – nach bekannten Schauspielern der Reihe. Sie könnten aber auch Frank Drebin heißen wie der von Leslie Nielsen gespielte Lieutenant aus der Filmreihe "Die nackte Kanone" (falls sich noch jemand erinnert), denn auf deren kalauerndes Witzniveau lässt sich die Inszenierung manchmal herab – was ihr als Hommage aber durchaus gut steht.
Auf der Oury-Jalloh-Straße
Gut stehen ihr auch allerlei kurze Dialoge oder kleine Details von großer Hintergründigkeit. Da knipst zum Beispiel eine Kommissarin ein Selfie und sagt: "Das stell ich gleich mal in die Chatgruppe." Zusammen mit einem Schild im Bühnenbild, dass die Oury-Jalloh-Straße ausweist, reicht das, um auf das Problem rechter Gesinnung in der Polizei aufmerksam zu machen. Oury Jalloh war ein in Deutschland geduldet lebender Afrikaner, der in einer Gewahrsamszelle in Sachsen-Anhalt tot aufgefunden wurde. Bis heute wurde der Fall nicht aufgeklärt. Das Stück begnügt sich mit seinem Namen als Zeichen und nimmt das Thema nicht weiter ernsthaft auf. Nur karikaturhaft deutet Stuhler eine Art Anti-Rassismus-Workshop an: Friedhelm Friebe, der als Ältester im Kreis des Abend-Ensembles zwischendurch auch den Schülerpraktikanten Justin spielt, wiederholt mit den immer gleichen Worten: "Seid! Bitte! Keine! Nazis!"
Wer hat ein Alibi im Bühnenbild von Marilena Büld? © Thomas Aurin
In zwei Anrufen bricht das Stück rechtsphilosophische Fragen auf angenehm konsumierbare Länge herunter: Ein Anrufer beschwert sich, weil ein Mitfahrer in der U-Bahn einen Sitz mit seiner Tasche belegt. "Was würden sie sich wünschen, das wir tun?", fragt die Polizistin, und der Fahrgast fantasiert ein Szenario, in dem der Sitzblockierer in eine Bahn steigt, wo jeder Sitz, den er gern einnehmen würde, immer gleich von einer Tasche blockiert wird. In einem anderen Anruf beschwert sich "die Mehrheitsgesellschaft" über Menschen, die auf einer Wiese in der Nachbarschaft sitzen, die zu betreten verboten sei. Schließlich offenbart sie, dass sie allzu gern selbst den Reiz des Verbotenen auskosten und sich dazusetzen würde.
Großartig schnoddrig
"Soko Tatort" ist voll von gelungenen Gags, die nicht nur die bekannten Traditionen und die Evolution der Fernseh-Tatorte aufs Korn nehmen (Warum muss zum Beispiel immer irgendein Kommissar irgendwelche Kinder irgendwo hin bringen?), sondern auch die Frage stellen, was uns eigentlich fasziniert an der Form des Krimis. Stillen sie unsere Sehnsucht nach einer gesellschaftlichen Normalität, die am Ende ja meistens hergestellt wird? Brechen sie die komplexen Zusammenhänge in dieser Welt auf leicht konsumierbare Geschichten herunter? Sind das eigentlich neue Märchen, die aber behaupten, sich aus der Tuchfühlung mit realen Vorgängen zu bilden?
An zwei Stellen verhebt sich dieses großartig schnoddrige Stück mit einem blendend aufgelegten Ensemble (besonders toll als ins Absurde gespreizte Kommissarinnen: Ines Marie Westernströer und Lisa Hrdina) allerdings: Da der Mord des Abends in einer Theatergruppe stattfindet, gibt es auch ein Stück im Stück, das mit einer merkwürdigen Fantasie-Sprache und rudimentären Szenen unser System von Überwachen und Strafen herzuleiten versucht. Und in einem längeren Monolog gegen Ende transportiert Lisa Hrdina Kritik an der ausführenden Staatsgewalt als solcher. Im Prinzip sagt sie, müsse man sich doch nur mehr Zeit nehmen, miteinander zu reden – anstatt immer gleich die Polizei einzuschalten. Das klingt zwar schön, hätte aber vielleicht doch noch einmal weitere 90 Minuten gebraucht, um es weiter auszuführen.
Soko Tatort
von Nele Stuhler
Regie: Nele Stuhler, Künstlerische Mitarbeit: Lisa Schettel, Bühne: Marilena Büld, Kostüme: Svenja Gassen, Live-Video: Nazgol Emami und Nora Daniels, Musik und Sound: Nils Michael Weishaupt und Max Wutzler, Licht: Jan Steinfatt, Dramaturgie: Jan Stephan Schmieding.
Mit: Paul Basonga, Nikolaus Benda, Friedhelm Friebe, Lisa Hrdina, Irina Sulaver, Ines Marie Westernströer.
Premiere am 7. Dezember 2023
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause
www.schauspiel.koeln
Kritikenrundschau
"Das ist tatsächlich ziemlich, zum Teil sogar sehr lustig“, schreibt Christian Bos vom Kölner Stadt-Anzeiger (9.12.2023). "Allein: Lösungen oder auch nur tiefere Einsichten hat der Abend keine zu bieten. Dass man gar keine Polizei mehr brauche, wenn man nur mehr miteinander reden und die Nervigkeit der anderen aushalten würde - das ist inhaltlich dünner als mancher moralisierende Fernsehkrimi."
Im ersten Teil habe "das Stück das Zeug zur Komödie -- die Dialoge sind flott, das Timing exzellent, die Figuren herrlich schräg", so Axel Hill in der Kölnischen Rundschau (9.12.2023). Danach ergehe es Stuhler "wie manchem Polizeibeamten: Der Fall entwickelt sich nicht weiter, man tritt auf der Stelle, vergeblich auf einen Durchbruch hoffend." Das Sextett auf der Bühne schaffe es dennoch, den Energielevel hochzuhalten.
Der Abend sei ziemlich überdreht und stark auf Pointen hin ausgelegt, so Christoph Ohrem im WDR (11.12.2023). "Das Ensemble ist voll dabei und hat sichtlich Spaß an der Blödelei." Viele Themen würden angerissen, aber nicht ausgeführt. Fazit: "Ein unterhaltsamer Abend. Tiefgang hat er nicht wirklich." Auf Deutschlandfunk Kultur (7.12.2023) hatte Ohrem zuvor ausgeführt, dass die Produktion offenbar mehr Zeit gebraucht hätte: "Das ist alles mit sehr heißer Nadel gestrickt." Der schönen Sammlung von Szenen fehle der rote Faden.
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