Ulysses - Schauspiel Wuppertal
Dubliner Irrfahrt
18. Februar 2024. Wie bringt man James Joyces "Ulysses"-Roman-Koloss auf die Bühne? Regisseur Nicolas Charaux holt sich in Wuppertal Hilfe bei vielen spielerischen Gimmicks wie Autos oder Schlauchbooten auf Rollen. Tee wird auch eine gefühlte Ewigkeit aufgebrüht.
Von Martin Krumbholz
18. Februar 2024. Der Typ da im scharlachroten Wams unter keck geschrägtem Matrosenhut, der sich eine Minute vor halb noch in die dritte Reihe zwängt, gehört der vielleicht dazu? Nein. Hätte ja sein können. Ist aber nur Publikum. Wir sind im Wuppertal-Barmer Opernhaus, bekannt für aufreizende Auftritte (Pina Bausch!). Jetzt gehen die Lichter im Saal aus. Auf der Bühne stehen ein weiß gedeckter Tisch und eine Anrichte mit Teekanne, könnte auch für einen Tschechow sein. Wir sehen aber: "Ulysses", nach dem Roman von James Joyce, inszeniert von Nicolas Charaux.
120 Jahre Bloomsday, das muss gefeiert werden. Am 16. Juni 1904, einem heißen Sommertag, von Klimawandel ist noch keine Rede, spielt die Handlung dieses legendären 1000-Seiten-Romans. 90 Minuten nur dauert es in Wuppertal. "Ulysses" ist die konstruktive Parodie der "Odyssee" von Homer. Parodieren: die Form übernehmen, den Inhalt ersetzen. Zehn Jahre Irrfahrt (mit angenehmen Zwischenstopps) komprimiert in knapp 24 Stunden. Die episodische Struktur des Epos (Hades, Kirke, schwimmende Felsen etc.) vollgestopft mit feistem Dubliner Alltag. Eine fundamentale Erfahrung hat Joyce begriffen wie kaum ein anderer: Das Leben ist kurz, der Tag jedoch lang.
In Zeitraffer
Wie bringt man so einen Koloss auf die Bühne? Der berühmte Abbreviaturen-Stil, eine Unmenge an Neologismen, aber auch der unwiderstehliche Sog eines nimmermüden Sprachrauschs, das schreit nicht unbedingt nach Szene. Es gibt ja nicht einmal eine überzeugende Verfilmung. Charaux entscheidet sich zunächst für eine quasi-filmische Übersetzung: Die fünf Akteure bewegen sich im Zeitraffer, dann schreit ein imaginärer Regisseur Stopp!, und alle frieren ein. Diesen Ansatz, das ist schon jetzt klar, wird Charaux nicht durchexerzieren können, er erschöpft sich und wird spätestens mit der Beerdigungsszene begraben. Was dann?
Zunächst einmal wird, leider, Text aufgesagt. Alle sitzen am Tschechow-Tisch. Thomas Braus, der den Leopold Bloom spielt, brüht eine gefühlte Ewigkeit Tee für seine Molly auf, das ist ganz lustig. Doch verpasste Pointen machen misstrauisch. Wenn Molly sich beschwert, er habe für den Tee aber lang gebraucht, ist das kein Vorwurf, sondern Heuchelei: Denn sie hat in der Zwischenzeit den Brief ihres Liebhabers gelesen. Eine Kleinigkeit, aber fehlender Sinn für Zwischentöne ist von Nachteil bei einem derart sprachinsistenten Werk. Zwei Tendenzen müssten hier zum Zug kommen: Ironie und Erotik.
Fluidum des Alltags
90 Minuten, eigentlich lächerlich kurz für so einen ausufernden Text, können sich paradoxerweise lang anfühlen, wenn man weiß, welches Programm noch zu absolvieren ist. Charaux behilft sich mit Zwischentiteln, die die einzelnen Stationen kurz erklären, kein schlechter Schachzug, auch wenn es dem Nichtkenner des Romans vermutlich kaum nützt. Man will nichts Wesentliches auslassen und verpasst gerade dadurch das Eigentliche: das spezifische Fluidum, die Chuzpe einer Romanhandlung, die sich auf Stuhlgänge ebenso einlässt wie auf Berufsalltag, Kneipenbesuche und missglückende erotische Abenteuer.
Als Leser kann und darf man Passagen ohne schlechtes Gewissen überspringen, als Zuschauer kann man das nicht. Die Bühne, gestaltet von Albert Frühstück, wartet mit allerlei Gimmicks auf, mit Requisitenscherzen wie Schlauchbooten oder Autos auf Rollen, aber all dieser Aufwand verrät nur die Verlegenheit, 90 Minuten möglichst attraktiv anzufüllen. Inhaltlich herrscht dagegen oft peinliche Ebbe. Der Zyklop beispielsweise, "der Bürger", wie Joyce ihn nennt, ist ein waschechter Faschist, allein diese Episode hätte unendlichen Sprengstoff enthalten, etwas Unheimlich-Aktuelles. In Wuppertal huscht man beiläufig darüber hinweg, als bestünde die Hauptattraktion des Zyklopen in seiner Kostümierung.
Heterogen
Man kann also nicht behaupten, die Inszenierung ließe nichts aus, obwohl alles irgendwie vorkommt, auch die eher unterbelichtete Figur des jungen Intellektuellen Stephen Dedalus, gespielt von Konstantin Rickert. Dieser Abend wirkt in seiner Form heterogen und auch irgendwie unfertig. Warum er auf der riesigen Opernhausbühne spielen muss trotz kammerspielartiger Besetzung, erschließt sich ebenfalls kaum.
Um es mal mit James Joyce zu sagen: Der nicht unbegabte Nicolas Charaux (er hat ja einen ganz spannenden "Faust" hingelegt) war der Regisseur an dem Abend; leider bestand zwischen ihm und dem "Ulysses"-Text eine leichte Unstimmigkeit. Vere dignum et iustum est, was in so einer Rezension steht? Gottchen nee, wer würde den eigenen Mund so vollnehmen. Das anwesende Publikum hat jedes Recht, offen oder stillschweigend zu dissentieren. Drei Pinten, bitte!
Ulysses
nach dem Roman von James Joyce
Aus dem Englischen von Hans Wollschläger, in einer Bühnenfassung von Nicolas Charaux
Regie: Nicolas Charaux, Bühne & Kostüme: Albert Frühstück, Dramaturgie: Marie-Philine Pippert.
Mit: Thomas Braus, Julia Meier, Silvia Munzón López, Alexander Peiler, Konstantin Rickert.
Premiere am 17. Februar 2024
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause
www.wuppertaler-buehnen.de
Kritikenrundschau
Von einer "anspielungs- und actionreichen Show mit ihren vielen abrupten Wechseln" berichtet eine begeisterte Monika Werner-Staude in der Westdeutschen Zeitung (19.2.2024, €). Regisseur Nicolas Charaux verweigere "einen melancholischen, gar tragischen Ton" und setze "von Anfang an auf Skurrilität und Überzeichnung, ohne respektlos zu sein", so die Kritikerin. Am Ende stehe "plötzlich eine mögliche, kraftvolle Antwort auf die Frage nach dem (wahren und zukunftsfähigen) Heldentum im Raum". Fazit: "Diese Inszenierung hat das Zeug, junges Publikum zu gewinnen – für 'Ulysses' und fürs Theater."
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