Marx' Bankett - Triers neuer Intendant Manfred Langner bringt Joshua Sobols Stück zum Geburtsjubiläum von Karl Marx zur Uraufführung
Picknick mit Promis
von Rainer Nolden
Trier, 15. September 2018. Beine, die in den (Bühnen-)Himmel ragen; der Saum eines Gehrocks. Schwere Bronze auf monumentalem Piedestal, darauf die Plakette mit dem Namen und den Lebenseckdaten: "1818 KARL MARX 1883". Mehr sieht man nicht von der Statue, die in der Geburtsstadt des durch dieses Denkmal Geehrten für zahlreiche Diskussionen sorgte. Erstens: Ein Geschenk aus China. Zweitens: Karl Marx eben, also Kapital und Kommunismus, beides, je nach Sichtweite, ziemlich igitt. Drittens: Trier. Ein Ort, der mit seinem berühmtesten Sohn lange fremdelte, bis er ihn als Tourismusmagneten in die Arme geschlossen hat, weil er nicht nur übers Kapital geschrieben hat, sondern jetzt auch jede Menge einbringt.
Trier ist Karl Marx, und Karl Marx ist Trier, jedenfalls in diesem seinem Gedenkjahr. Dem kann sich auch das Theater nicht verschließen. Also zollt es dem großen Denker und Revolutionär Tribut. Mit einer Uraufführung von immerhin Joshua Sobol: "Marx' Bankett", auf Trierer Verhältnisse zurechtgestutzt von Manfred Langner, der ab dieser Spielzeit die Geschicke des Theaters leitet.
Dispute und revolutionäre Lieder
Zunächst betritt Anna Blume die Bühne. Sie läuft zügig von rechts nach links und würdigt das Monument keines Blickes. Sie hält nicht einmal in dessen Mitte an, um ihr Geschäft zu verrichten. Wäre natürlich ein Brüller gewesen, denn Anna Blume ist ein Hund, der unter seinem Klarnamen mitwirkt, allerdings im weiteren Verlauf des Abends keine Rolle mehr spielt – ebenso wenig wie Kurt Schwitters, der nämliche Anna Blume in einem Gedicht gewürdigt hat; 1919 war das, also 36 Jahre, nachdem Marx auf dem Friedhof im Londoner Stadtteil Highgate beerdigt wurde. Überhaupt geht es zeitlich, räumlich und personell in diesem Stück drunter und drüber, vom 19. ins 20. und 21. Jahrhundert und wieder zurück.
Der Titel, "Marx' Bankett", spielt an auf die Mitte des 19. Jahrhunderts in Frankreich populären "banquets révolutionnaires", bei denen sich die Bürger zwecks Austausch von politischen Ideen und Idealen trafen. Die fanden unter dem Deckmantel von harmlosen Picknicks statt, weil König Louis Philippe öffentliche Veranstaltungen, bei denen sich seine Untertanen gegenseitig gegen ihn und den Staat aufhetzten, verboten hatte. Hier treffen also Marx und Heine, der Verleger Moses Hess, Friedrich Engels und Marx' Frau Jenny von Westphalen und jede Menge Gendarmen, Agenten, Prostituierte und andere Arbeiter und Arbeitslose zusammen – und diskutieren und disputieren, was das Zeug hält. Dazwischen gibt's Moritaten, revolutionäre Lieder und Barrikadengesänge mit Jodeleinlagen.
Marx zwischen Ayn Rand und Thomas Piketty
Marx' Thesen als Theaterstück. Kann das gutgehen? Nein, kann es nicht. Schade eigentlich, denn die Ideen, die verkündet werden, sind natürlich nach wie vor hoch aktuell, um nicht zu sagen brisant. Aber ein politisch-philosophischer Diskurs hat nun mal nicht das Zeug zu einem Drama mit Exposition, Steigerung, Wendepunkt und Katastrophe. Und ein echter Komödienstoff sieht auch irgendwie anders aus.
Da müssen also die Regie und die Schauspieler ran, um dem raschelnden Papier wenigstens ein paar sprühende Funken zu entlocken. Manfred Langner, der sich mit der Inszenierung dieser Uraufführung seinem neuen Publikum vorstellt, hat (fast) sein ganzes Schauspielensemble aufgeboten, um dem Abend Schwung zu verleihen. Zu dem tragen vor allem die allwissenden antagonistischen Symbolfiguren bei: "Ayn Rand", die russisch-amerikanische Autorin, die den US-Republikanern viel Munition für ihre marktwirtschaftlich-libertäre Politik geliefert hat, sowie "Thomas Piketty", der französische Wirtschaftswissenschaftler und Autor von "Das Kapital im 21. Jahrhundert". Stephanie Theiß und Martin Geisen verkörpern auf ebenso intelligente wie humorvolle (!) Weise mit pointenreichen und schlagfertigen Wortgefechten die beiden Systeme, die sich bis in alle Ewigkeit abstoßen werden wie Öl und Wasser.
Benjamin Schardt ist als Gründer der Kölner "Rheinischen Zeitung" ein besorgter und fürsorglicher Ziehvater des jungen Marx, dessen ganz und gar unbürgerliches Rebellentum ein Nagel zum Sarg seines leiblichen Vaters (Klaus-Michael Nix) wird. Gideon Rapp muss seinen Heinrich Heine als überdrehten Komiker verkaufen. Dafür haben Marsha Zimmermann als Marx' Ehefrau ein paar sehr nachdrückliche und Anna Pircher als Prostituierte ein paar sehr anrührende Momente. Paul Behrens gibt einen weltläufigen und diskret großzügigen Friedrich Engels, der seinem Freund Karl und dessen Familie das Überleben garantiert, indem er ihnen bei seinen Besuchen häufig mit Geldnoten gefüllte Umschläge in die Hand drückt, die von der peinlich berührten Jenny Marx schnell versteckt werden.
Schwieriger Bühnenstoff
Und der junge Karl Marx selbst? Den spielt, nicht wirklich überzeugend und mit recht verdruckster Körpersprache und Gestik, der sehr junge Robin Jentys, der es am unbedingt nötigen Esprit und Feuer fehlen lässt, die dem echten Karl bestimmt in die Wiege gelegt worden waren. So bleibt die Titelfigur leider die blasseste im Kreis eines Ensembles, das aus den ohnehin beschränkten Möglichkeiten, die die Textvorlage bietet, das Bestmögliche zu machen versucht.
Lokalpatriotisch gesehen war es gewiss ein ehrenwertes Experiment des neuen Intendanten, Leben und Werk des berühmtesten Sohnes der Stadt zum Ende seines Geburtstagsjahres zu würdigen. Bisher konnte allerdings noch keines der wenigen Bühnenstücke, die sich mit dem Philosophen und Systemumstürzer beschäftigen, einen durchschlagenden und langlebigen Erfolg verbuchen. "Marx' Bankett" ist da nur der jüngste Beweis dafür, dass es Stoffe gibt, die offenbar wirklich nicht fürs Theater geeignet sind.
Marx‘ Bankett
von Joshua Sobol
Uraufführung
Regie: Manfred Langner, Bühnen- und Kostümbild: Beate Zoff, Musikalische Leitung: Uli Schreiber, Dramaturgie: Philipp Matthias Müller.
Mit: Paul Behrens, Angelo Boutzoufiries, Fabian Daubenspeck, Martin Geisen, Paul Hess, Michael Hiller, Robin Jentys, Petra Klink, Klaus Michael Nix, Anna Pircher, Gideon Rapp, Benjamin Schardt, Stephanie Theiß, Paul Trappen, Philipp Voigtländer, Marsha Zimmermann, Alexander Konrad (Akkordeon), Bernd Dahlmanns, Christoph Haupers (Gitarre).
Dauer: 2 Stunden 10 Minuten, eine Pause
www.neuespielzeiten.de
"Nicht nur den historischen Marx anschauen, sondern den Philosophen in die Gegenwart holen –, das hatte Langner als Devise ausgegeben. Das gelingt bei vielen aktuellen Bezügen, doch ist das Stück, vor allem im zweiten Teil, über weite Strecken Geschichtsstunde, inszenierte Historie in schönen zeitgenössischen Kostümen (…)", schreibt Anne Heucher im Volksfreund (17.9.2018). "Lehrreich ist das allemal. Auch wenn Marx sich von seinem Wesen her sperrt gegen einen Bühnenknaller."
Thomas Rath berichtet im Saarländischen Rundfunk SR 2 (17.9.2018) über einen "Abend des Disputs" mit einem Ensemble, "wie es Trier lange nicht hatte". Regisseur Manfred Langner gelängen "wundervolle historische Momentaufnahmen, oft auch sehr amüsant". Alle Rollen seien "hervorragend besetzt", an erster Stelle Robin Jentys als Karl Marx, "scharfsinnig, sensibel". Die "Leichtigkeit", mit der das Stück als Revue angelegt sei, werde dem Autor des "Kapitals" freilich "nicht ganz gerecht", "zumal diese Leichtigkeit gelegentlich zum Klamauk gerät". Dennoch sei dies "mehr als ein nur unterhaltsamer Abend, denn Manfred Langner macht solides, sinnliches Theater (...)".
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Besonders die uneitle und eher zurückhaltende Darstellung des jungen Marx hat mir sehr gut gefallen. In dieser Inszenierung poltert er eben nicht so wie man ihn aus anderen Stücken kennt. Vielmehr wird er als introvertiert und nachdenklich dargestellt, was ihn sympathisch macht. Dies ist dem Hauptdarsteller ausgezeichnet geglückt.
Die Protagonisten regten förmlich zum „Mitmachen“ an. Sei es durch die Disskussion gleich zu Beginn, bei der die Schauspieler als Theatergäste auftraten, als so manch ein echter Gast mit diskutieren wollte oder die vielen musikalischen Szenen. Als Beispiel ist hier sicherlich „Bella Cioa“ und „die Gedanken sind frei“ zu nennen. Prostitution, Armut, Reichtum, Verhältnislosigkeit und die Liebe sind nur einige Schlagworte die aufzeigen, dass ein Karl Marx und seine Geschichte immer irgendwo aktuell bleibt. Welche Schauspieler überzeugen oder nicht sollte jeder Gast selbst entscheiden. Diese Bewertung steht niemandem zu, da wir auf der einen Seite von Persönlichkeiten sprechen, die weit vor unserer Zeit gelebt haben und deren „EIGENschaften“ uns nur übermittelt werden. Auf der anderen Seite bringt jeder Regisseur und vor allem jeder Schauspieler seinen eigenen Touch in die Rolle und genau das ist es doch, was es immer wieder aufs neue spannend macht.
https://www.opus-kulturmagazin.de/folklore-statt-erkenntnis/
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