Du sollst keine Angst haben!

von Henryk Goldberg

Rudolstadt, 28. Januar 2017. In der Mitte der Baum. "Die Bibel, 1. Akt" steht auf der Pappe. Die Pfosten und Bretter. "Nein", sagt der Mann mit dem Headset, "es ist dunkel." Und: "Er sagt, es soll Licht sein", und: "Er sagt, es ist gut so". So spricht der Regisseur, der Herr, so wird die Welt erschaffen auf den Brettern, mehr ist hier nicht zu sehen. Und Menschen. Der Mann, die Frau, beide nur im Slip, naiv und schön. Ein Bühnenarbeiter schlurft vorüber, "Ich hab hier ne Ladung Holz", es sind drei Kreuze. "Hier ist Probe!", wird er beschieden.

In der Tat, hier ist Probe – und was sie probieren, das ist die Menschwerdung. Der schwedische Autor Niklas Radström hat kein Stück über Theologie geschrieben, nur eines über Ideologie. Er zitiert zentrale Motive des Alten wie des Neuen Testaments; ein wenig von beiden zu wissen, ist von Vorteil für den Zuschauer, aber nicht Bedingung. Denn Radström interpretiert nicht die Schrift, er nimmt sie gleichsam beim Nennwert, als Material. Kain, den die Ungerechtigkeit des Herrn zum Mörder macht, Abraham, der seinen Sohn opfern soll zum Zeichen der Demut, Moses, der die Dreitausend erschlägt, die einem anderen Gott opferten, und dessen Gott alle Erstgeburten erschlug in Ägypten, Hiob, der gemartert wird, um die Unerschütterlichkeit seines Glaubens zu bezeugen, Lots Weib, die das Grauen sieht, das der Herr als Strafe sandte nach Sodom. So kann man die Schrift lesen, und dann sieht man: Die Brutalität, mit der Gehorsam eingefordert und erzwungen wird; das Grauen, das aus absoluter Überzeugung wächst. Das Alte Testament als Einübung des Menschen in Gehorsam und Demut, in Erdulden und Erleiden.

Leiden als Auflehnung

Nur die beiden Menschen des Beginns, die gehen durch die Zeiten und Motive. Sie, Anne Kies und Johannes Geißer, drängen sich aneinander, sie ertasten die Bühne, die Welt, sie suchen ihren Platz darin. Sie wollen, was Menschen wollen, ein Zuhause, Kinder. Und erfahren, wie wenig selbstverständlich das Selbstverständliche ist. Sie schmuggeln sich als blinde Passagiere auf die Arche, Noah würde sie ersaufen lassen in der Sintflut. Sie mogeln und tricksen sich durch Tod und Zerstörung, durch Feuer und Schwert. Sie sind die, um die es geht.

DieBibel1 560 Ganser Geier Kies Koehn FriederikeLuedde uAchtung, Mitmenschen! – Jochen Ganser, Johannes Geißer, Anne Kies, Jakob Köhn
© Friederike Lüdde

Der Text ist eine Art Revue, die viel Raum bietet für Theater und nach dieser deutschen Erstaufführung Karriere machen könnte in der Übersetzung des Intendanten Steffen Mensching. Alejandro Quintana geht mit diesem Angebot gleichsam sehr diszipliniert um, er überdreht es nicht, er hat Sinn für den Humor mancher Szenen – aber seine Liebe, sein Grund für diesen Abend, das sind die Leidenden.

Abraham (Horst Damm)  – "Ich gehorche, was sonst" – ein alter Mann, zerbrechlich und gebrochen durch Gehorsam, verhört von den Engeln des Herrn, die Markus Seidensticker führt mit viel Dezenz. Hiob (Marcus Ostberg), der sich hier auflehnt, bis auch er gebrochen ist, an sein Bett gefesselt, die Ärzte neben sich; nur ein Verrückter zweifelt schließlich an der Gerechtigkeit und Gnade des Herrn. Lots Weib (Ute Schmidt), mit einem sehr eindrücklichen Entsetzen über das Leid, das der Herr aus erzieherischen Gründen brachte über ihre Stadt. Und die Kämpfer reckten vorher ihre Gewehre in die Höhe und riefen vor dem brennend roten Hintergrund: "Alle in Sodom werden sterben!".

Zuwenig Action im Neuen Testament

Moses hingegen (Matthias Winde) sitzt vor dem brennenden Radio, ein Dornbusch war grad nicht zur Hand, als die Stimme des Herrn ihn zu den Waffen rief – und er wird sie führen mit ungerührter Brutalität, er hat einen Auftrag und ein Ziel, und ehe er abtritt, wird sein Volk über zwei Videowände eingeschworen auf die Eroberung des Landes. Der Mann aber, der den Menschen etwas Neues über die Liebe zu den Feinden erzählt (Tino Kühn ohne jede alberne Christus-Pose), steht nur auf einem Hocker, und das Publikum läuft ihm weg.

DieBibel2 Stahl 560 Harald Wenzel uEine einzelne (Marie Luise Stahl) vor Gemeinschaftsfeuer © Harald Wenzel

Das ist eine sehr überzeugende Arbeit von Alejandro Quintana mit einem geschlossen wirkenden Ensemble, so hat die Truppe mit Fortune ihre Interimsspielstätte eröffnet. Die reichlich zwei Stunden bis zur Pause sind gut getimt, zumal es nicht fehlt an heiteren Zwischenspielen, wie dem Turmbau mit der Sprachverwirrung, wie einer hübschen Comedy-Nummer. Nach der Pause aber wird es lang und länger, das ist das Problem des Stückes: Denn was Radström und Quintana erzählen wollen, das geht wunderbar mit dem Alten Testament, lauter Geschichten, lauter Mord und Totschlag. Das Neue Testament indessen hat wenig davon, so greifen sie, nach dem Urteil des Pilatus, noch einmal zurück auf Hiob und Jona. Und der Rest ist dann das Gegenteil von Schweigen, er ist geschwätzig.

Am Ende kniet Jona (Marie Luise Stahl) an der Rampe und verbindet die Offenbarung so intensiv mit der Gegenwart, als wäre sie in Gretchens Kerker. Ein Kind wird geboren, das vielleicht Teil einer anderen Welt wird, und das Ensemble ruft beschwörend: "Keine Angst!".

Allerdings, der Abend zeigt mehr Gründe für die Angst als dagegen.

Die Bibel
von Niklas Radström
Regie: Alejandro Quintana, Bühne/Kostüme: Mathias Werner, Choreografie: Julieta Figueroa, Musik: Uwe Steeger, Dramaturgie: Michael Kliefert, Johannes Frohnsdorf.
Mit: Johannes Arpe, Verena Blankenburg, Joachim Brunner, Hans Burkia, Horst Damm, Jochen Ganser, Johannes Geißer, Ulrike Gronow, Anne Kies, Lisa Klabunde, Tino Kühn, Jakob Köhn, Andreas Mittermeier, Marcus Ostberg, Ute Schmidt, Markus Seidensticker, Marie Luise Stahl, Manuela Stüßer, Matthias Winde, Musiker: Thomas Voigt.
Dauer: 3 Stunden 45 Minuten, eine Pause

www.theater-rudolstadt.de

 

Kritikenrundschau

Hartmut Krug berichtete in der Sendung Fazit auf Deutschlandradio (28.1.2017) er sei "angeregt" gewesen und "fast überfordert von der Fülle der Geschichten". Schon der Anfang, die Theaterprobe sei "wunderbar". "Faszinierend", die Fülle der "gewalttätigen Szenen", was man sehe, sei wie eine Philosophie mit Gewalt durchgesetzt würde, die den Menschen gar nicht gerecht wird. Die "Revue" passe gut zur Bibel, die Figuren würden "sehr genau charakterisiert". Eine Inszenierung, die dem Publikum erkläre, aber auch eine "spielerische Ader" habe, allerdings etwas langatmig sei. Erstaunlich wie "prägnant" das eigens zusammengestellte Ensemble aus 19 Schauspier*innen gearbeitet habe.

Angelika Bohn schreibt in der Ostthüringer Zeitung (30.1.2017), die Bibel" sei eine "Herausforderung" für die Akteure wie für das "Sitzfleisch" des Publikums. "Hut ab vor diesem wunderbaren Ensemble!" Es sei ein "Abend der Fragen", die Zivilisationsgeschichte werde hinterfragt, doch zu selten würden "poetische Anker" geboten.

"Ergreifende Geschichten erklären uns nicht die Welt, deshalb überleben sie", schreibt Hans-Dieter Schütt im Neuen Deutschland (31.1.2017). Ergreifende Geschichten habe das Alte Testament in "stärkerem Maße" als das Neue – "was in Rudolstadt den Szenenwirbel, die Geschehenswucht mehr und mehr ins Monologische rückt. Sei’s drum. Das Ganze zieht den Blick an, hat Ausdruckskraft, ist ein bewundernswerter Abend."

"Nach vier atemberaubenden Stunden Jubel und wildes Getrampel. Auch der Ostkurveur, skeptisch angereist, war biblisch begeistert", schreibt Christoph Dieckmann in seiner Kolumne 'Ostkurve' in der Zeit (9.2.2017). 

Kommentare  
Die Bibel, Rudolstadt: nur lapidare Worte
Leider eine Kritik, die mir Nichts sagt über das Stück, die schauspielerische Arbeit, die Inszenierung, geschweige denn, dass eine Empfehlung ausgesprochen wird, ob man das Stück sehen oder sich besser anderen Dingen zuwenden sollte.
Was sollen uns solche Sätze sagen, wie:
"Der schwedische Autor Niklas Radström hat kein Stück über Theologie geschrieben, nur eines über Ideologie."
Solche Sätze verstehe ich nicht, zumal ich den weiteren Sätzen nur entnehmen kann, dass der Autor eher eine Vorliebe für letztere hat?
Über Quintana, den Regisseur, findet der Rezensent nur lapidare Worte, wie:
"Alejandro Quintana geht mit diesem Angebot gleichsam sehr diszipliniert um, er überdreht es nicht, er hat Sinn für den Humor mancher Szenen – aber seine Liebe, sein Grund für diesen Abend, das sind die Leidenden."
Was soll ich diesem geschwurbelten, gedrechselten Sprech eigentlich entnehmen? War die Inszenierung gut, war sie annehmbar, war sie empfehlenswert? Versteht er sein Handwerk? Und schließlich, wie ist diese Inszenierung einzuordnen?
Ich bin perplex über diese Rezension, die die Dinge nicht beim Namen nennt. (…) Schade.
Die Bibel, Rudolstadt: reicht doch
#1 Bin vielleicht kein so anspruchsvoller Leser wie Sie? Aber ich hatte spontan Lust, mir das anzugucken. Dachte: toll! Und ich konnte der Rezension auch entnehmen, dass es vor der Pause wohl unterhaltsamer ist als danach; zumindest nach Meinung des Rezensenten. Reicht doch fürs Erste. Oder?
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