Wie einst Kasimir und Karoline

13. Januar 2024. Mariedl und Herrmann sind zwei Figuren aus der Dramenwelt des 1994 tragisch und zu früh verstorbenen Grazers Werner Schwab. Sie tauchen in seinen Stücken immer wieder auf, jedoch niemals im selben. Erst jetzt bringt sie der Regisseur David Bösch zusammen: in der Schwabgasse 94.

Von Reinhard Kriechbaum

"Schwabgasse 94. Eine Hommage an Werner Schwab" am Schauspielhaus Graz © Stella Kager

13. Januar 2024. Herrmann ist der verkrachte Poet aus "Volksvernichtung oder meine Leber ist sinnlos", das Alter Ego von Werner Schwab, der da eigene Jugenderfahrungen aufarbeitete. Mariedl kennen wir als jene Reinigungskraft aus den "Präsidentinnen", die Gummihandschuhe mit Entschiedenheit ablehnt und mit bloßen Händen jeden WC-Abfluss wieder frei kriegt. Eine ungeöffnete Gulaschdose holt sie da heraus und eine Flasche Bier. Beides ist ihr sehr willkommen, sie gönnt sich ja sonst nichts als den Erwerb von Heiligenfiguren.

Taugen Mariedl (Annette Holzmann) und Herrmann Wurm (Mervan Ürkmez) für eine Liebesgeschichte? Es reicht erst mal nur zur Frage nach Feuer, aus gehöriger Distanz. Ein einziges Mal lässt David Bösch diesen Herrmann näher kommen: Er reißt ein Blatt von der Klopapierrolle und kritzelt ein Liebesgedicht drauf. Überreicht es Mariedl skrupulös. Deutet ihr, die zögert, sie möge das Blatt auseinanderfalten. Und sie winkt ihm dann, er solle näherkommen – eine Geste, die er nicht minder skrupulös und unbeholfen erwidert.

Exzesse ausgelebter Bösartigkeit

Das war's auch schon mit Herrmann und Mariedl und ihrer Sekunden-Intimität. Es ist ja drumherum sagenhaft viel los an der Adresse Schwabgasse 94. David Böschs vertrauter Ausstatter Patrick Bannwart hat auf der Drehbühne eine Halde aus abgewohntem Mobiliar errichtet. Unter der übergroßen Silhouette des Woityla-Papstes poltern und krakeelen Schwabs Protagonisten. Wortgewaltiges Einander-Malträtieren ist angesagt. Diese Leute schenken sich nichts.

Gleich zu Beginn sind wir in der ärmlichen Küche von Frau Wurm (Olivia Grigolli) und ihrem Sohn Herrmann und damit mitten im Disput zwischen leidlicher Überlebens-Bewältigung der Mutter und der Künstler-Spintisiererei des Sohns. Unvereinbare Positionen, bis zum Exzess ausgelebte Bösartigkeit. "Wie kann man nur ein volles Leben vertrinken", zetert die Mutter.

Schwabgasse2 1200 Stella Kager uVon Möbeln und Menschen: Patrick Bannwarts sprechende Bühne  © Stella Kager

In der Nachbarwohnung geht es nicht viel nobler zu. Da kraftmeiert Herr Kovacic (Franz Solar), umgeben von Frau in Lockenwicklern und zwei Töchtern, die mit der Maniküre beschäftigt sind. Alle vier stecken in unsäglichen pinken Freizeitanzügen. Den Hamster hätte Herr Kovacic doch lieber nicht im Zorn totgetreten. "Das war kein familiärer Vorgang", mahnt die Gattin und ordnet fast im gleichen Atemzug an: "Hol ihm ein Bier, unserem Möbelverdiener."

Aufgefalteter Sozial-Horizont

Anfang der 1990er Jahre hat der Grazer Werner Schwab (1958–1994), der ursprünglich ein Leben als bildender Künstler anstrebte, in dichter Folge Dramen veröffentlicht und damit so recht Furore gemacht. "Volksvernichtung" und "Präsidentinnen" werden heute noch gern gespielt, auch "Der reizende Reigen nach dem Reigen des Reizenden Herren Arthur Schnitzler". Vor dreißig Jahren hat der Autor 4,1 Promille Alkohol nicht überlebt. Für die Hommage nun im Grazer Schauspielhaus hat David Bösch ein Konglomerat aus Stücken zusammengestellt und mit Fragmenten aus Schwabs Arbeitsbüchern verbunden. Er faltet damit des Autors Sozial-Horizont weit auf.

All diese Figuren ergehen sich in gar wüsten Monologen. "Die Welt abstechen wie eine Sau" sagt einer, aber das wollen fast alle hier. Und doch offenbaren sich in den oft exzesshaften Tiraden ganz reale Befindlichkeiten und vor allem Sehnsüchte. "Die Wirklichkeit schaut manchmal so aus wie der Herrmann Wurm", heißt es einmal – und das ist kein Kompliment. Das "Schwabische" führen diese Leute als Kunstsprache im Mund und wirken dabei schmerzlich-nahbar. All das Nicht-Eingelöste der jeweiligen Lebensumstände wird greifbar.

Schwabgasse3 1200 Stella Kager uStilleben mit Personen vor Kurt-Waldheim-Porträt © Stella Kager

David Bösch arbeitete mit einem sehr disziplinierten Ensemble. Da weiß jeder Einzelne, wann des Outrierens genug ist. Auf größten Rumor folgt Leises, und das mutet dann an, als schaue man durch Gucklöcher in die verwundeten Seelen. Einige einnehmende, verinnerlichte Monologe hat Rudi Widerhofer in mehreren Rollen, etwa als Hundsmaulsepp aus dem weniger bekannten Stück "Mein Hundemund".

Was noch zu überprüfen wäre

Es bleiben in dieser dicht gebauten Szenenfolge Freiräume, die einen nachdenken lassen über die literarische Position von Werner Schwab. Der Einfluss Thomas Bernhard'scher Figuren mit ihren Suaden ist greifbar. Was von der Formulier-Drechslerei der Elfriede Jelinek motiviert scheint, ist damals wohl in der Luft gelegen. Was noch zu überprüfen wäre: der lokale Einfluss der Grazer Forum-Stadtpark-Autoren, der in den 1968ern hier tätigen Stückeschreiber im Umkreis von Wolfgang Bauer.

Und in größerem Zusammenhang: Bei Schwab wirkt das Volksstück à la Ödön von Horváth stark nach: Herrmann und Mariedl könnten so enden wie einst Kasimir und Karoline.

 

Schwabgasse 94
eine Hommage an Werner Schwab von David Bösch
Regie: David Bösch, Bühne und Kostüme: Patrick Bannwart, Kostümmitarbeit: Vibeke Andersen, Musik: Karsten Riedel, Licht: Anton Oswald, Dramaturgie: Male Günther, Dramaturgische Mitarbeit: Ingeborg Orthofer.
Mit: Olivia Grigolli, Annette Holzmann, Karola Niederhuber, Luisa Schwab, Franz Solar, Mervan Ürkmez, Rudi Widerhofer, Chen Emilie Yan, Franziska Hirschberger.
Premiere am 12. Januar 2024
Dauer: 1 Stunde 50 Minuten, keine Pause  

schauspielhaus-graz.buehnen-graz.com

 

Kritikenrundschau

"Schwab wollte zum Lachen reizen, um die menschliche Monstrosität auszustellen; Bösch folgt diesem Diktat, und dabei gelingt ihm ein kurzweiliger Abend, ein Schwab-Medle", schreibt Ute Baumhackl in der Kleinen Zeitung (14.1.2023). "Wie das glänzend eingestellte Ensemble Schwabs entfesselte Sprache zum Schillern, Sprühen, Stinken bringt, gehört zu den Verdiensten des Abends. Doch wie bei jeder Best-of-Revue erfährt man über Schwabs künstlerisches Begehren nur wenig."

Norbert Mayer von der Presse (14.1.2024) schreibt: "Der totale Schwab im vollen Rausch" sei in Graz zu erleben, "wild gemischt wie der Leberkäs seines Herrn Wottila. Kann so etwas gut gehen? Wie sich bei der Premiere zeigte, mundet die Melange tatsächlich, obwohl den Episoden die dramatische Stringenz fehlt." Das Bühnenbild von Patrick Bannwart mache die Inszenierung zum "Gesamtkunstwerk". Als ein Höhepunkt gilt dem Kritiker der Auftritt von Rudi Widerhofer, der Schwab persönlich gut kannte: "Er spielt eine herrliche Farce aufs Genitalische: Wurst aus der Unterhose! Und wenn er im Geiste des wilden Dichters monologisiert, sieht man unter all diesem Schrecklichen sogar das Schöne."

Regisseur David Bösch verschmelze das Schwab'sche Material "zu einem Pandämonium des Allzumenschlichen, vor allem aber zu einer vielschichtigen Hommage an die facettenreiche Sprache des Dichters und Dramatikers" schreibt Heidemarie Klabacher im Standard (15.1.24, €). "Diese wird von den Ausführenden genussvoll und gekonnt beiläufig – als würden im Gemeindebau alle so reden – auch sprechtechnisch brillant über die Rampe gebracht."

"Der Impuls dieser 'Hommage an Schwab' selbst bleibt ambivalent. Was ihn aber grunderfreulich macht, ist das zur Schau gestellte Vertrauen auf die Unverwüstlichkeit des Schwabschen Werkes für ein Theater, das auch 'dreißig Jahre später' der Brutalität der wirklichen Verhältnisse (vielleicht) gewachsen bleibt", schreibt Stefan Schmitzer im nd (18.1.2024). Das "Greatest-Hits-Medley" gelinge "genau so weit, wie das Ensemble sich auf die brutal komischen Charakteristika des Werks stützt und das empathisch Tragische umgeht. Die gesellschaftskritischen Elemente werden so zu Kolorit der historischen Genese ihrer Stoffe."

Kommentare  
Schwabgasse 94, Graz: Hingucker
....ein erstaunlich liebevoller fast zärtlicher Blick auf den Kosmos Schwab, ohne dass die Schärfe und das brutale Gnadenlose seiner Sprache verloren ginge. Klare und scharfe Figuren bevölkern die Bühne, wie aus dem Kopf des Autors Schwab selbst.
Der Abend macht Lust sich wieder mit der Schwabwelt-und sprache zu beschäftigen. Ein kurzweiliger auch unterhaltsamer böser Abend mit zum Teil großartigen Schauspieler/innen! Danke.
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