Verstrick mich

3. März 2024. Maria Stromberger war Krankenschwester in Auschwitz, Widerstandskämpferin und lange vergessen. Ihr Leben und die Frage, warum sie erst so spät gewürdigt wird, thematisiert Gerhild Steinbuch in ihrem neuen Stück. Bérénice Hebenstreit hat die Uraufführung inszeniert.

Von Christa Dietrich

"Stromberger oder Bilder von allem" in Bregenz © Anja Köhler

3. März 2024. "Zu danken haben Sie mir nicht. Es war meine moralische Verpflichtung als Mensch für Leidende etwas zu tun, welche durch meine Nation in diese Situation gebracht worden sind", schreibt die österreichische Widerstandskämpferin Maria Stromberger nach 1945 an die Verlobte von Edward Pyś. Sie war Krankenschwester im KZ Auschwitz, er Häftling, den sie pflegte, rettete, der ihr Wirken Historikern zu Protokoll gab. Die Sätze fanden Aufnahme ins Stück "Stromberger oder Bilder von allem" von Gerhild Steinbuch.

Es ist dennoch keine dramatisierte Biografie, wie sie Thomas Arzt schon zwei Mal dem Vorarlberger Landestheater lieferte. Nach Uraufführungen in den Jahren 2020 und 2023, nämlich von Hollenstein, ein Heimatbild über die Malerin Stephanie Hollenstein (1886–1944) – emanzipiert lesbisch lebend, aber im NS-Regime mehr als nur Mitläuferin – sowie von Wunsch und Widerstand über Max Riccabona (1915-1997), Jurist, Schriftsteller und KZ-Überlebender, setzt sich auf der Bregenzer Bühne die Reihe regionaler Themen in aktuellen Stücken fort.

Das ist ein hervorzuhebendes Engagement von Intendantin Stephanie Gräve, wobei sich die beiden genannten Stücke mit Vorarlberger Protagonisten und vor allem der neue Text von Gerhild Steinbuch selbstredend auch auf österreichische beziehungsweise europäische Geschichte beziehen. Erst vor wenigen Wochen wurde in der 600 Kilometer von Bregenz entfernten Stadt Graz eine Straße nach Maria Stromberger (1898-1957) benannt.

Gegen den Opfermythos

Steinbuchs Perspektive ist jene von Menschen, die in den 1990er-Jahren Kinder waren. Mit überdimensionierten Kopfmasken bringt Regisseurin Bérénice Hebenstreit sie auf die Bühne. "Zu klein, um schon etwas mitzukriegen", sagt Luca als eine der vier Figuren, die im Stücktext die Vornamen der Schauspielerinnen tragen. Hinter ihnen befindet sich ein großer, einem Webrahmen nachempfundener Kubus als bestens erdachtes, weil sowohl in der Handlung verankertes als auch symbolhaftes Requisit der Bühnen- und Kostümbildnerin Mira König. Beim ersten Auseinanderziehen der engen Kettfäden werden Stimmen laut. Kurz eingeblendete Zeugnisse von Verharmlosung und erneuter Hetze sind es, überlappte Reden von Antisemiten sowie Schuldleugnern unter den Politikern der unmittelbaren Nachkriegszeit in Österreich, mit denen die Regie den dokumentarischen Aspekt des Stücks betont.

Stromberger 2 CAnjaKoehler uAuf und hinterm Webgarn: Vivienne Causemann, Isabella Campestrini, Rahel Jankowski, Luca Hass © Anja Köhler

Denn der Abend beginnt mit dem Verweis darauf, dass sich der einstige Bundeskanzler Franz Vranitzky offiziell gegen den Opfermythos in Österreich verwehrte. "Schiebt uns raus aus der Opferrhetorik, so als ganzes Land raus aus ...", sagt Isabella, "Wir bekennen uns zu allen Taten unserer Geschichte und zu den Taten aller Teile unseres Volkes, zu den guten wie zu den bösen ...", zitieren alle die Vranitzky-Rede 1991 im Nationalrat. Dann legen Rahel Jankowski, Isabella Campestrini, Vivienne Causemann und Luca Hass ihre Kopfmasken ab. Ihre Figuren sind erwachsen geworden, erleben 2019 die Demos und den Bruch der Regierungskoalition aus ÖVP und FPÖ. Sie sind Stickerinnen, aber auch Chronistinnen, "Nachseherinnen", die das "Geschichtsgewebe auf Ungereimtheiten kontrollieren."

"Sehen, wie es wirklich ist"

Im polnischen Chorzów, wohin sich die aus Kärnten stammende und in Bregenz zur Krankenschwester ausgebildete Maria Stromberger versetzen ließ, nachdem sie von Verbrechen in der Wehrmacht erfuhr, "um zu sehen, wie es wirklich ist und vielleicht etwas Gutes zu tun", kam sie mit ehemaligen KZ-Häftlingen in Kontakt. Sie meldete sich für Auschwitz und trat 1942 den Dienst an. Dort besorgte sie unter Lebensgefahr Medikamente für Häftlinge und beförderte Informationen sowie Waffen für die Widerstandsbewegung.

Nach ihrer Rückkehr musste sie mehrere Monate in einem Entnazifizierungslager neben NS-Tätern verbringen und wurde erst nach der Intervention von ehemaligen Häftlingen aus Polen bei den französischen Besatzungsbehörden freigelassen. Sie sagte in Warschau im Prozess gegen den KZ-Kommandanten Rudolf Höß aus und verbrachte die letzten Jahre gesundheitlich geschwächt als Arbeiterin in einem Vorarlberger Textilunternehmen. Erst fast 30 Jahre nach ihrem Tod fand die Geschichte ihres Widerstands Erwähnung in einem Text des Historikers Meinrad Pichler. Das Buch "Ein Engel in der Hölle von Auschwitz" seines Kollegen Harald Walser diente Gerhild Steinbuch als Quelle.

Präzise Bilder

"Steh in den unterschiedlichen Gedenklandschaften, die über mir zusammenklappen", ruft Rahel einmal, "verstrick mich, hänge fest ich, fahr Fäden entlang", ergänzen Isabella, Vivienne und Luca. Steinbuchs lyrische Sprache ist eine Herausforderung, ebenso das Einflechten historischer Tatsachen und der Diskurs, in dem die Schauspielerinnen verdeutlichen, dass es die Strategie von Populisten widerspiegelt, wenn Sachverhalte unterkomplex verhandelt werden. Für diese Herausforderungen findet Bérénice Hebenstreit präzise Bilder. Den inneren Konflikt der Recherchearbeit illustriert sie mit projizierten Porträts. Der Wechsel zwischen Dialogen und ans Publikum gerichteten Erläuterungen driftet durch die Selbstverständlichkeit, mit der alle vier Schauspielerinnen agieren, nicht in Belehrung ab.

Stromberger 3 CAnjaKoehler uBrückenschlag ins Heute: Rahel Jankowski, Luca Hass, Isabella Campestrini, Vivienne Causemann © Anja Köhler

Auch dann nicht, wenn über Erlebnisse einer der vier Figuren die Widerstandsgeschichte und ihre Aufarbeitung mit dem Erstarken des Rechtsextremismus deutlich wird. Das gilt auch für das Aufzeigen der Kontinuität von Karrieren in und nach der NS-Zeit am Beispiel des Industriellen und Politikers Rudolf Hämmerle, der von der NSDAP zur ÖVP wechselte und als ehemaliger Funktionär des NS-Regimes Nationalratsabgeordneter wurde.

Seinen Titel trägt dieses Stück in Anlehnung an das Buch "Bilder trotz allem" von Georges Didi-Huberman, in dem der Philosoph dazu auffordert, sich ein Bild von Auschwitz zu machen. Durch ihren sorgsamen Umgang mit historischen Fakten gelingt Steinbuch und Hebenstreit Beachtenswertes, nämlich zeitgemäßes, agitationsfreies Dokumentartheater.

Stromberger oder Bilder von allem
von Gerhild Steinbuch
Uraufführung
Regie: Bérénice Hebenstreit, Bühne und Kostüme: Mira König, Musik: Sandro Nicolussi, Dramaturgie: Michael Isenberg, Licht: Simon Tamerl.
Mit: Isabella Campestrini, Vivienne Causemann, Luca Hass, Rahel Jankowski.
Uraufführung am 2. März 2024
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.landestheater.org

 

Kritikenrundschau

Gerhild Steinbruch habe "ein dichtes, vielschichtiges Werk geschaffen und nähert sich der Figur der Maria Stromberger behutsam, man ist versucht zu sagen 'stiefmütterlich', fast 'fahrlässig', erst nach und nach schält sich die Figur Stromberger aus der unglaublichen Textfülle heraus und nimmt Gestalt an", berichtet die/der Korrespondent*in mit dem Kürzel THS in den Vorarlberger Nachrichten (4.3.2024). Das Ensemble meistere die Herausforderung dieses Abends "mit Bravour und spielerischer Leichtigkeit".

Julia Nehmiz schreibt im Standard (5.3.2024): "Der Abend droht anfangs zu zerfasern. Doch was zuerst bedeutungsschwanger wirkt, entwickelt mit der Annäherung an Stromberger Sog und Kraft." Das liege an der starken Ensembleleistung, vor allem aber an Bérénice Heben¬streits Regie. Sie und und Ausstatterin Mira König fänden für ihr Dokumentartheater epische Bilder.

Von Sieglinde Wöhrer heißt es in der Neuen Voralberger Tageszeitung (5.03.2024): "In 'Stromberger oder Bilder von allem' ist es auf kompakte Weise gelungen, regionale Erinnerungsgeschichte mit einem zeitgemäßem Zugang zu verbinden. Auch wenn sich das Publikum anfangs erst in den textlastigen Szenen zurechtfinden musste, hat Hebenstreit dieses komplexe Stück und die verschiedenen zeitlichen Bezüge am Ende gut durchdacht zusammengeführt."

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