Yvonne, Prinzessin von Burgund - Matthias Kaschig inszenierte Witold Gombrowicz’ Groteske
Attrappenkönig und Menschenfeind
von Brigitta Niederhauser
Bern, 12. April 2008. Mit ihr kann man machen, was man will. Mit Yvonne, dem Mädchen mit dem stumpfen Blick und von dem man nicht so recht weiss, ob es überhaupt sprechen kann. Mit ihr kann man machen, was man will. Und noch viel mehr. Und das machen sie alle, der König, die Königin und die Hofschranzen, seit der Königssohn aus einer Laune heraus Yvonne zu seiner Verlobten gemacht hat. "Je einfacher der Witz, umso grösser der Spaß", sagt der Kammerherr des Königs. Und weil die Yvonne, dieser Fettfleck am Hof, aus lauter Mängeln besteht, ist der Spaß beträchtlich. Und gefährlich, weil er außer Kontrolle gerät, zum Sprengstoff wird. Dass die Lunte bis tief hinein in die Abgründe des Verdrängten reicht, kommt erst heraus, als es zu spät ist.
Witold Gombrowicz' Yvonne, Prinzessin von Burgund, ist eine der hässlichsten Heldinnen der Theatergeschichte und eine der faszinierendsten. 1937 veröffentlichte der polnische Autor das tiefschwarze Stück, aufgeführt wurde es aber erst zwanzig Jahre später. Zeitlos ist die Groteske, die unzählige Deutungen zulässt, so wie ihre Heldin eine wunderbare Projektionsfläche für verschiedenste Ängste und Bedrohungen abgibt. Gegen allzu explizite Interpretationen wehrte sich Gombrowicz genauso wie gegen eine Klassierung des Stücks. Dass er wegen "Yvonne" zum Begründer des absurden Theaters erklärt wurde, freute ihn nicht.
Rosablättrige Hundsblume
In der Blackbox des Berner Stadttheaters in den Vidmarhallen lässt der junge Freiburger Regisseur Matthias Kaschig Yvonne als rosablättrige Hundsblume aufblühen. Ein vegetatives Wesen, gefallen aus der Zeit und den Konventionen, eine Falle, in der nicht nur der Prinz hoffnungslos gefangen bleibt. Kaschig hat einen Teil von Gombrowicz' Personal gestrichen und das Stück um fast ein Drittel auf zwei Stunden gekürzt. Denn weniger die kollektive Hatz steht in seinem Gesellschaftsspiel im Vordergrund, als vielmehr die Verstörung der einzelnen Figuren, die wegen dieser Yvonne langsam dem Wahnsinn anheim fallen, die einfach "da steht wie ein Gewissensbiss".
"Wir stecken in ihr", sagt der Prinz, als er realisieren muss, dass er sie nie mehr loswird, auch als er sie fortschickt, sie durch die liebliche Isa ersetzt. Der Prinz und seine ganze Entourage stecken so sehr in ihr, dass auch das königliche Schloss keinen Schutz mehr gewährt. Kaschig lässt es krachen, so ramponiert wie die Gemüter sind bald auch die trutzigen Mauern (Bühne: Michael Bühler), und zur Notbehausung wird der rote Teppich.
Arroganz und Melancholie
Luca Wirth zeigt die lethargische Yvonne, die den ganzen Abend kaum mehr als drei unvollständige Sätze von sich gibt, bodenlos leer. Doch dieses Nichts entwickelt einen mächtigen Sog, saugt alles Verdrängte an die Oberfläche. Aus dem Prinzen und aus dem Königspaar, das ständig nervös jene armselig dünne Hülle an Würde zurecht zu zupfen versucht, die den heutigen gekrönten Häuptern ohne politische Macht eigen ist. Ernst C. Sigrist gibt einen jener perfekten Attrappenkönige wie sie von den Titelblättern der Illustrierten grinsen. Um dessen Contenance ist der Kammerdiener besorgt, versucht sie mit Klebeband und anderen unbrauchbaren Hilfsmitteln in Form zu halten. Stefano Wenk macht aus dem beflissenen Untertan ein durch den höfischen Leerlauf aufgeplustertes Faktotum, das sich viel Gummi überstülpt, um sich vor Yvonnes Gift der Erkenntnis zu schützen.
Da stockt der Klamauk
Im Slapstickschritt wird der steile Pfad in die persönliche Unterwelt hinuntergestolpert. So sehr der Regisseur auf Situationskomik setzt – dabei die Königin (Henriette Cejpek) ein wenig zu lang in der Hölle der Karikatur schmoren lässt – immer wieder stockt der Klamauk berückend poetische Momente lang. Wenn zum Beispiel die fischmaulige Yvonne unvermittelt den Kopf auf die Schulter ihres Prinzen legt, dieser sie gewähren lässt, die gemeinsame Wortlosigkeit die beiden einen unerfüllbaren Traum lang zu einem wahrhaftigen Liebespaar macht.
André Benndorf taucht die Befindlichkeit dieses Prinz Überdruss in ein Wechselbad aus Arroganz und Melancholie, Trauer und Wut. Seine fieberhafte Zerrissenheit sorgt entscheidend dafür, dass die Geschichte von einem, der auszog, die Naturgesetze zu überwinden, allem bitterbösem Witz zum Trotz nicht zum Totlachen ist.
Yvonne, Prinzessin von Burgund
von Witold Gombrowicz. Deutsch von Olaf Kühl
Inszenierung: Matthias Kaschig, Bühne: Michael Bühler, Kostüme: Stephan Klie, Musik: Michael Frei.
Mit: Ernst C. Sigrist, Henriette Cejpek, Stefano Wenk, André Benndorf, Lucy Wirth, Friederike Pöschel, Sebastian Edtbauer, Patricia Bornhauser, Sabine Martin und Heiner Take.
www.stadttheaterbern.ch
Kritikenrundschau
In der Berner Zeitung (14.4.2008) schreibt Oliver Meier, es handele sich um eine "bitterböse Farce, erst allmählich auf Touren kommt". Matthias Kaschig nehme das Stück als Parabel und lasse keinen Zweifel daran, dass hier die Moderne gemeint sei. Er spiele all die "leeren Rituale und Konventionen" durch, um sie "allmählich ins Absurde zu drehen". "Wildwut" mache sich breit im Hause Burgund. Und je "verschrobener" die Szenen würden, desto mehr gewinne die Inszenierung an Dynamik, werde zum "grellen Unterhosentheater", in dem der Hofstaat als Horde von Irrsinnigen auftrete. Das gehe zwar auf Kosten der Psychologie, schade aber nicht. Die Inszenierung überzeuge gerade dort, wo sie alle Logik hinter sich lasse und "sich das Theater selber feiert".
In der Neuen Zürcher Zeitung (14.4.2008) bedauert Beatrice Eichmann-Leutenegger, dass Matthias Kaschig in seiner Berner Strichfassung von Gombrowicz' "Yvonne" ausgerechnet jenen Satz "der störrischen Braut" dahin fallen lasse, "in dem sie darum bittet, in Ruhe gelassen zu werden." So gerate Yvonne "zum stumm duldenden Wesen, und das subversive Element, das in ihrer konsequenten Verweigerung steckt, schwächt sich ab." Während Michael Böhlers Bühne, eine "Herrlichkeit aus Styropor", eine "zwingende Metapher für die Brüchigkeit" der adligen Gesellschaft liefere, sei "nicht einzusehen, warum Kaschig in billiger Manier übertreiben muss". Einzelne Szenen zerdehnten sich "bis zum Überdruss, reduzieren sich auf Kasperlespiele, um einzig die Lachmuskeln zu aktivieren. Dabei erstickt dieses Lehrstück der Perfidie das Lachen bald einmal im Keim. Raffinement wäre gefragt."
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