Achilles - Theater Basel
Holländische Slapstick-Griechen
16. März 2024. Antú Romero Nunes hat sich erneut einen Homerischen Klassiker vorgenommen. Und verjazzt den Griechen gemeinsam mit Jörg Pohl und Gala Othero Winter zu etwas ganz Eigenem. Wonderbaarlijk!
Von Tobias Gerosa
16. März 2024. Zuckersüß: Griechischer Sandstrand mit Liegestühlen, blau-weißer Hintergrund, Sirtaki-Musik auf üppigem Streicherteppich. Die Musik von Anna Bauer und Max Kühn begleitet die eindreiviertel Stunden überhaupt wie ein kitschiger Filmsoundtrack. Doch die Säulen im Hintergrund sehen nach Plastik aus und sind, Kapitelle nach unten, auch falsch aufgestellt.
Sie sind so falsch wie die Jugend, die die beiden Figuren auf der Bühne behaupten. Die aufgetakelte, klunkerbehangene Tante, die längst neben ihren Absätzen läuft, und bald danach der "Fitnesser" aus den 1980ern: Seltsame Figuren, überzeichnet und pastellschrill in den Kostüme von Helen Stein und Lena Schön noch bevor sie zu sprechen beginnen.
Kunstsprache mit Komikpotenzial
Am Theater Basel hat man schon Klassiker (unangekündigt) auf Schweizerdeutsch gemacht. Mit einer Odyssee in einer Art Kunstschwedisch war Antú Romero Nunes 2018 zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Wenn Nunes nun "Achilles – ein Stück mit Fersen" inszeniert, scheinen die Figuren holländisch zu sprechen: "Duits is een belachelik spraach!" Wobei man dieses Holländisch rasch erstaunlich gut versteht und es viel Wortwitz und Potential für Situationskomik birgt.
Regisseur Antú Romero Nunes und seine beiden fulminanten Darsteller Gala Othero Winter und Jörg Pohl (er wie Nunes ja Teil der vierköpfigen Schauspielleitung am Theater Basel) haben diese Kunstsprache in der Erarbeitung entwickelt und performen sie nun, als bewegten sie sich in ihrer Muttersprache. Das Prinzip: als hörten heutige Griechen Altgriechisch, erklärt die Dramaturgie; die Handlung rückt, nebst der Erzeugung vieler Lacher, auch weg von uns. Braucht die an Homers Ilias angelehnte Geschichte diesen Verfremdungsmoment?
Ursprünglich hieß das Projekt noch "Ilias", weil schließlich aber nurmehr Motive von Homers Epos blieben, benannte man um zu "Achilles – ein Stück mit Fersen". Der Nachsatz bleibt, außer dass er auf die Komödie verweist, aber blindes Motiv.
Immer ist irgendwas
Die beiden Figuren am Strand, die sich benehmen wie Beckett'sche Verzweiflungclowns, sind Odysseus, hier Ulysses oder schlicht Uli genannt, und Achilles' Mutter Thetis. Seit zehn Jahren warten sie darauf, Achilles' Asche zu bestatten – aber immer kommt etwas dazwischen: ein Furz, ein Fitnesstrainer, ein falscher Wind oder eine verrutschte Frisur.
So sitzen sie am Strand wie Touristen, die verzweifelte unsterbliche Göttin und der verzweifelnde prollige Krieger, und kommen nicht los voneinander. Sie verstricken sich in Spiele, die immer Machtspiele sind, sie spielen Achilles nach – und fallen sofort aus den Rollen, sie slapsticken sich über den falschen, von gemalten Bühnengassen gefassten Strand, den Matthias Koch dafür gestaltet hat.
Aber wer hat nun diesen Achilles "gemacht", der die beiden zusammenkettet? Die Mutter, die ihn aus dem Krieg raushalten wollte und ihn als Mädchen verkleidet versteckte, oder Ulysses, der ihn zum Krieger und damit Helden machte? Wer ist schuld an seinem Tod? Pohl und Winter nutzen diesen ersten Teil mit enormer, ansteckender, körperlicher Spiellust. Sein Unverständnis fließt unmittelbar in die Körperhaltungen der Figur, während sie lange untergründiger bleibt.
Etwa in der Hälfte schaffen sie die Bestattung doch. Nicht Asche, nicht aus der Urne, die zehn Jahre waren vielleicht doch zu lang. Wie sie den Toten dann doch loswerden, ist einer der überraschenden Witze. Odysseus' Sturm&Drang-Auflehnung gegen Zeus kommt jedenfalls zu spät.
Mit Pats in der Unterwelt
Der zweite Teil beginnt in einer ironietriefenden Historienschinkenszene mit Schwert, Schild und Bühnennebel. Nach dem Strand sieht man nun einen fast barock illusionistisch vermittelten Hades, in dem man Achilles (gespielt von Gala Othero Winter) begegnet.
Diverse Motive und Fäden aus dem ersten Teil werden verknüpft, etwa wenn Achilles hier seinen Geliebten Patroklos (oder Pats, den man am Anfang kennen sollte, um den Fortgang zu verstehen) wieder trifft und aus dem Endlosschleifenliebesschwur flugs ein Beziehungsstreit wächst.
Aus dem bleibt Achilles, nun in heutigen Trainerhosen mit "Trust no one" über den Arschbacken, so allein zurück wie Odysseus/Uli, der (auch ganz ohne Zyklopen) ein "Niemand" zu sein glaubt. Wofür das alles, der Weg über den Alligatorenstrand, das Warten mit der Mutter, der Weg in den Hades? Während Winter hier virtuos mehrere Rollen ausfüllt, nutzt Pohl die Möglichkeit, seiner einen Figur unerwartete Tiefe zu geben.
Die Inszenierung lässt sich auch dafür, wie im ersten Teil, recht viel Zeit. Die existenzielle Wendung führt die Komödie aber zurück zur Vorlage Homers, diesem Grundlagentext, und zeigt, dass unter dem Pseudo-Holländisch und dem sehr komödiantischen Beginn der doppelte Boden der Verzweiflung lauert(e).
Achilles – ein Stück mit Fersen
eine Stückentwicklung angelehnt an Homer von Antú Romero Nunes mit Jörg Pohl und Gala Othero Winter
Inszenierung: Antú Romero Nunes, Bühne: Matthias Koch, Kostüme: Helen Stein und Lena Schön, Komposition: Anna Bauer und Max Kühn, Licht: Vassilios Chassapakis, Dramaturgie: Michael Gmaj.
Mit: Jörg Pohl und Gala Othero Winter.
Premiere am 15. März 2024
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, ohne Pause
www.theater-basel.ch
Kritikenrundschau
"Zwischen der Ilias und heute, zwischen Griechenland und Holland, zwischen Komödie und Tragödie, zwischen Epos und Klamauk" sieht Simon Baur von der Basler Zeitung (18.3.2024) diesen Abend. Anerkennung zollt der Kritiker den Akteueren: "Zwei Stunden lang in einer, für das Publikum schwer verständlichen, Sprache zu kommunizieren und dabei in zahlreiche unterschiedliche Rollen zu schlüpfen, ist hohe Kunst und verdient grosse Anerkennung."
"Spaßtheater mit Heldendekonstruktion" sah Siegmund Koitzki vom Südkurier (18.3.2024). Zur Wahl der Kunstsprache heißt es: "Vielleicht wollte Nunes den antiken Versen das hohe Pathos nehmen und die Vorlage zugleich klamaukisieren. Oder er möchte uns damit sagen, dass Verständigung in diesen Krisenzeiten unmöglich ist. Wir geben zu, nicht jede Anspielung auf Anhieb verstanden zu haben."
Florian Oegerli vom St. Galler Tagblatt (18.3.2024) stößt unter anderem die abrupte Wendung ins Ernste im Finale dieser Inszenierung auf: Sie sei "stark", wirke aber "nach eineinhalb Stunden Komik eher aufgesetzt – fast so, als wäre dem Regisseur kurz vor der Fertigstellung noch eingefallen, dass ausserhalb des Schauspielhauses momentan mehrere Kriege stattfinden. So bleibt am Ende trotz aller Kreativität ein fader Beigeschmack, über den auch die Spielfreude von Gala Othea Winter und Jürg Pohl und das kreative Bühnen- und Lichtkonzept nicht hinwegtrösten können."
"Homers Epos heißt hier 'Achilles - ein Stück mit Fersen', es ist Erinnerung, Essenz und sehr lustig", schreibt Egbert Tholl in der Süddeutschen Zeitung (18.3.2024). "Winter spielt mit Größe, Pohl mit Präzision, zusammen sind sie grandios." Bei aller allerbesten Komik wehe allerdings auch die Wehmut der Erinnerung über die Bühne.
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