Die Aufdrängung - Theater Basel
Verbarrikadiertes Dasein
28. Januar 2023. Einen Gast lädt sich die Frau ins Haus – und arbeitet sich, in gewaltvollen Machtfantasien und misslingenden Zärtlichkeitsversuchen, an ihrem stummen Mitbewohner ab. Den Debütroman von Ariane Koch hat Marie Bues nun in Basel erstmals für die Bühne adaptiert.
Von Claude Bühler
28. Januar 2023. Frohlocken in der Fachpresse: Der mehrfach ausgezeichnete Roman "Die Aufdrängung" (2021) der Baslerin Ariane Koch sei ein "grandioses" Debut, das in Relation zu Franz Kafka zu setzen sei, befand die NZZ. Gemeint bei dem Vergleich war vermutlich die innere Eingesperrtheit eines Ichs. Andernorts wurde Thomas Bernhard als Referenz herangezogen, wohl weil hier eine namenlose Ich-Erzählerin ihre Sätze zuweilen rhythmisiert und, mit dem Festzurren ihrer Gedanken, nicht selten zynischen Erörterungen und Erinnerungen in fixierenden Sentenzen, so etwas wie Wirklichkeitsbewältigung versucht.
Der Roman habe das "Zeug zum Klassiker", hieß es in Zeit online; vielleicht ja auch als Zeitdokument, denn geschildert wird eine "unberührte Existenz", gar ein "verbarrikadiertes Dasein", das einem bei der Lektüre anhand lebender Beispiele oder Zeitungsberichte über die zunehmende Vereinzelung sofort bekannt vorkommt. Aus Mitleid oder Neigung, so klar wird das nicht, nimmt die Ich-Erzählerin einen namenlosen "Gast" in ihrem Haus auf, kommentiert ihn unentwegt abwertend, seltener auch mal gerührt, zwingt ihn zu Hausarbeiten und will ihn mit einem despotischen Reglement unter ihre Fuchtel nehmen.
Die Aufgabe, die Kochs Erzählstil stellt
Dabei wird nie so ganz klar, ob ihr letzteres auch wirklich gelingt. Denn Koch versetzt uns, geordnet wie in einem Tagebuch, in ein vielfältig deutbares Zwischenreich, wo vieles Metapher sein könnte, wo die Grenzen zwischen Fantasie und Wirklichkeit fluide zu sein scheinen und man ungefähr der "mittleren" Spur folgt. So steigt beim Lesen unweigerlich der Gedanke hoch, der offenbar fremdsprachige (aber auch das ist nicht sicher!) und für uns sprachlose Gast sei in den touristisch ausgewerteten Bergort geflohen. Was auch nicht sein muss. Sicher ist, es kommt zu mutwilligen Spielchen, Machtproben, Gewaltfantasien, Zärtlichkeitsversuchen.
Die Neugierde richtet sich so nicht nur auf den Fortgang der Geschehnisse, sondern auch auf die Art des Bewusstseins, das hier in luziden Gedankenblitzen, kühl formulierten Berichten, möglicherweise aber auch kognitiven Dissonanzen von sich Kunde gibt. – Diese lange Vorrede soll klarstellen, welche Aufgabe Regisseurin Marie Bues und Dramaturg Michael Gmaj bei der Erstaufführung des Romans auf sich genommen haben. Sie haben sich in die Verdinglichung und ins tradierte Schauspielhandwerk gerettet und sich einer Deutung aus Distanz enthalten.
Text im Stillstand
Pia Maria Mackert hat einen hohen Raum vor das Publikum gestellt, an dessen Wänden willkürlich, aber geordnet allerlei Gegenstände wie Gitarren, Hüte, Bilderrahmen, Bücher und Lampen hängen – alles nahtlos mit grauer Farbe überpinselt. Aus den Wänden ragen auch ein paar Luftschläuche, die von Zeit zu Zeit ein gespenstisches Ballett vollziehen. In diesem sterilen, gruseligen Szenario ohne Türen rezitieren drei Frauen, die sich silbergrau ins Inventar einfügen und sich die Kernstücke des Romans, also den Text der Ich-Erzählerin, untereinander aufteilen.
Sie geben sich allerhand Mühe, den Text mal heulend, mal keifend, leidenschaftlich, öfters auch klamaukig, dann wieder schneidend, verliebt oder resigniert mit Leben zu füllen. Sie machen "Aktion", werfen den Kopf auf die Tischplatte, schwingen mordlustig ein Beil, sprechen die Sätze auf einer Leiter, im Chor oder von oben herab aus aufklappbaren Bilderrahmen. Aber der spröde, meist linear durchgeführte Text bewegt sich nicht. Oft wirkt die Emotion wie platt ausgespielt oder draufgesetzt.
Stumm tänzelnder Hausgast
Zwischendurch hat auch der "Gast" seine Auftritte. Zunächst als pelzbewachsenes Ungetüm mit Augenscheibe, gemahnend an die B-Movie-Monster der 1950er Jahre, später als eine Art Alien, am Ende als Mensch mit Jackett und Hose – mutmaßlich, weil die Erzählerin ihn immer besser wahrnimmt. Sagen darf er nichts, also trippelt und tänzelt er frohgemut herum, macht einen Ringkampf mit den Schläuchen, zelebriert wie einen Zaubertrick das An- und Ausschalten der Lampen und flirtet.
Zunehmend stellen sich zwei Effekte ein: Die Zeit scheint still zu stehen, und die Ich-Erzählerin wird zu einer im Dilemma zwischen Zuneigung und Abstoßung, den Gast betreffend, gefangenen Frau profaniert. Erschwerend kommt hinzu, dass bei einem präzis gesetzten Gedankentext die versierte Artikulation und stimmliche Führung unbedingt vonnöten, leider aber nicht immer gegeben ist. Es stellt sich die Frage, ob man statt auf den inszenatorischen Aufwand nicht eher auf Tisch, Stuhl, Lampe und Wasserglas, eine konzentrierte Lesung, gesetzt und auf das Leben im Satz fokussiert hätte.
Die Aufdrängung
Nach dem gleichnamigen Roman von Ariane Koch in einer Fassung von Marie Bues und Michael Gmaj
Inszenierung: Marie Bues, Bühne: Pia Maria Mackert, Kostüme: Claudia Irro, Musik: Anton Berman, Lichtdesign: Mario Bubic, Dramaturgie: Michael Gmaj.
Mit: Elmira Bahrami, Carina Braunschmidt, Raphael Clamer, Vera Flück.
Premiere am 27. Januar 2023
Dauer: 1 Stunde 40 Minuten, keine Pause
www.theater-basel.ch
Kritikenrundschau
Von Manipulation und Inbeschlagnahme des Hauses werde in der Inszenierung "mehr palavert, als dass es spürbar würde", schreibt ein:e namentlich nicht genannte:r Autor:in in der Badischen Zeitung (30.1.2023). Bizarr fremdartig trete der Gast auf, in Krümelmonsterfell und Astronautenhelm, doch "mehr als Bebilderung des Prinzips 'Gast'" gestehe die Regie dem Schauspieler Raphael Clamer kaum zu. Der Gast bleibe ohne Sprache, und was als literarisches Spiel wunderbar funktioniere, bleibe auf der Bühne staubig: "Denn im Grunde gibt es keine Entwicklung, schon gar nicht zwischen der Hausbesitzerin und dem schweigenden Gast. So kommen die oft raffinierten und sprachlich tollen Monologe irgendwann nicht mehr voran." Reizvoll findet der:die Autor:in die wiederkehrenden Litaneien, "die effektvoll rhythmisiert zu Thomas Bernhard hinüberwinken", oder eine Parodie auf die Schweizer Überfremdungsdebatten. Doch bald seien alle Requisiten bespielt.
Lange Absätze, null Dialoge, kaum Handlung und eine einzige Erzählperspektive: diese Eigenschaften von Ariane Kochs Roman hätten die Regisseurin Marie Bues und den Dramaturgen Michael Gmaj darauf bringen müssen, "dass sich dieser Text nicht für eine theatralische Umsetzung eignet", schreibt Markus Wüest in der Basler Zeitung (30.1.2023). Das Erkennen der psycho-pathologischen Verhaltensmuster der Frau, die sich auch gegenüber ihrem Gast äußerten, und ihre Gleichsetzung mit der Schweiz als übersättigtem Land, "krank, in sich faul, das nicht mehr wirklich lebensfähig ist", ergäben nicht genug Stoff her für eine fast zweistündige Aufführung. Auch wenn es "ein paar hübsche Regieeinfälle und ein recht originelles Bühnenbild" zu sehen gebe, so der Kritiker über die "überlange szenische Lesung am Theater".
Als "auffällig beklemmendes Kammerspiel in Grau" führe die Basler Inszenierung rasch zu Ernüchterung, schreibt Mélanie Honegger in der Aargauer Zeitung (30.1.2023). Auf der Bühne werde nicht ersichtlich, wie nuanciert Koch in ihrem "wunderbar leichten" Roman voll Komik und schwarzem Humor die Beziehung zwischen Gast und Gastgeberin gestalte – ihre Annäherung, Anflüge von so etwas wie Liebe. Die Regie hingegen setze "die Hauptfigur als selbstverliebte, herrische Frau in Szene", die "mal aufgesetzt freundlich, mal diabolisch, nie aber mit ehrlichem Interesse am Gegenüber" auftrete, und treibe die Angst vor dem Fremden und dessen Ablehnung zunehmend auf die Spitze. Schwere hafte der Inszenierung an, die weder Witz noch Hoffnung auf Versöhnung zulasse. "Dass ausgerechnet ein Roman aus der Feder einer begnadeten Theaterautorin in einer derart lustlosen Inszenierung endet, ist bedauerlich. Für die Bühnenadaption hätte es wohl einer konsequenten Übersetzung in die gesprochene Sprache bedurft", so Honegger.
"Stark surrealistisch" bebildere Marie Bues die an sich schon kafkaesken Szenen der Romanvorlage, schreibt Jürgen Scharf im Südkurier (30.1.2023). "Die symbolhafte Bedeutung" von Kochs Parabel über die Begegnung mit dem Fremden und über Gastfreundschaft komme gut herüber. "Albtraumhaft inszeniert sind die Macht- und Mordfantasien", aus dem komischen Humor von Ariane Koch werde "eine absurde Groteske, die das Irreale der Handlung noch betont".
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nur der Kunst willen so eine Literatur zu - ja ich muss es leider sagen – zu prostituieren für ein peinliches ästhetisches Regiekonzept, wo doch die poetische Achse bei Frau Koch ganz klar mit Hoffnung und Trauer im Sinne der Abwesenheit oszilliert. . .