Protestant – Die Schweizer Compagnie Jours Tranquilles beim Zürcher Theaterspektakel
Lachtraining unter Plastikpalmen
von Felizitas Ammann
Zürich, 28. August 2007. Jours Tranquilles, ruhige Tage, so nennt sich die Compagnie in bewusster Verdrehung der Tatsachen, denn seit bald zehn Jahren macht sie – je nach Deutungsart – mit kraftvollen bis geschmacklosen Abenden von sich reden. "Den Körper des Zuschauers genauso ansprechen wie seinen Kopf", das wollen die Lausanner und greifen dafür auch zu gewalttätigen Themen und viel Theaterblut. Schonungslose Identifikation ist ihr Ziel, bis sich der Zuschauer den eigenen Begierden und Leidenschaften gegenüber sieht. Oder wie Regisseur Fabrice Gorgerat es in seinen "notes d'intentions" formuliert, bis zum "Augenblick, in dem Bestie und Philosoph im Menschen ihre Kräfte messen". Das klingt nach Ideen aus den Sechzigern und Ästhetik aus den Achtzigern – tatsächlich aber vertritt die "Cie. Jours Tranquilles" eine junge Schweizer Theatergeneration.
Zu Hause umstritten
Die Gruppe um den 36-jährigen Fabrice Gorgerat wurde 2005 gleich mit zwei Stücken zur Zürcher Nachwuchsplattform "Gipfelstürmer" eingeladen. Die Themen dazu bezog sie bei Shakespeare ("Die Schändung der Lukretia" für den Theaterabend "To be or to be") und aus der Bibel ("Judith"). In der Westschweizer Presse ist die Gruppe umstritten – was ihrem Selbstverständnis keinen Abbruch tut. Selbstbewusst schreibt Gorgerat, dass man mit den Jahren immer stärker merkte, dass das Thema eines Abends eigentlich sekundär sei, "wichtig ist unser Verhältnis zum Thema." Ausgerechnet zum Thema Protestantismus aber haben sie offensichtlich weder ein inniges noch ein konfliktträchtiges Verhältnis: Für "Protestant" ist der Compagnie neben den zu erwartenden Klischees nicht allzu viel eingefallen. Doch schön der Reihe nach, denn der Anfang wenigstens ist großartig.
Fegefeuer schon zu Lebzeiten
Eine dickliche Frau setzt sich behäbig hinter einen Holztisch und begrüsst uns zu ihrem "Demonstrationsvortrag über das Lachen". Aufreizend langsam und übergenau prononciert sie jedes einzelne "Ha" und "Ho" – und hängt diese dann zu einem Lachen zusammen, das die Heiterkeit einer Maschinengewehrsalve hat. Mit grenzenlosem Enthusiasmus hält sie ihre endlose Lektion, die erst todkomisch und bald unheimlich wirkt, scheint doch hinter der verordneten Heiterkeit eine unvorstellbare Leere auf. Schließlich geht im Wohnzimmer daneben das Licht an. In Zeitlupe und mit ausdruckslosen Mienen werkeln Vater, Mutter und Kind am Mittagstisch. Zu essen gibt es Gesteinsbrocken. Ohne Widerspruch wird daran herumgesäbelt, die Serviette wieder gefaltet, der Tisch abgeräumt. Beklemmend ist diese Szene, unendlich lang, losgelöst aus Zeit und Raum. So also schaffen sich die schuldbewussten Protestanten das Fegefeuer schon zu Lebzeiten. Beeindruckend.
Starker Anfang, plumpe Durchführung
Und dann kommen fast nur noch Klischees: Der Sündenfall unter Plastikpalmen und überhaupt viel Natur in allen Varianten. Eine Frau, die sich in der Erde wälzt, die ironisch vorgetragene Geschichte von Bambi, Stellwände mit Fototapete von idyllischer Bergwelt, Autobahn oder der gezähmten Natur im Wintergarten. Das alles wirkt ziemlich einfallslos und – wenn dann auch noch ein lautes Pfeifen das Publikum traktiert oder in allzu eindeutigen Tanzszenen die Sehnsucht nach und die Angst vor Berührung gezeigt wird – einfach plump. Nur selten noch ist etwas von der Intensität des Anfangs zu spüren, von dieser beunruhigenden Mischung aus Beklemmung und Absurdität.
Vielleicht sollten sich die "Ruhigen Tage" als nächstes wieder etwas weniger Blutleeres vornehmen. Auch wenn sie sagen, dass ihnen das Thema an sich nicht wichtig sei – wir hoffen auf ein katholisches.
Protestant
von Jours Tranquilles
Konzept: Fabrice Gorgerat, Bühne: Estelle Rullier.
Mit: Ludovic Barth, Stéphane Blok, Mathylde Demarez, Marie-Madeleine Pasquier, Karin Vyncke.
www.jourstranquilles.com
www.theaterspektakel.ch
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